Frage an das Gehirn

Ist Verhalten angeboren oder erlernt?

Fragesteller/in: Brigitte F. aus Hamburg

Veröffentlicht: 18.12.2011

Mädchen spielen lieber mit Puppen, Jungs bevorzugen Autos und raufen sich mehr. Schon früh scheinen bei Kindern Geschlechtsunterschiede aufzutauchen. Sie werfen die Frage auf: Ist Verhalten eigentlich angeboren oder erlernt? Was sind Ihre Erfahrungen hierzu – zum Beispiel bei Ihren eigenen Kindern?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Anna-​Katharina Braun, Abteilung Zoologie/​Entwicklungsneurobiologie, Universität Magdeburg: Es gibt zwei gegensätzliche Auffassungen: Die eine besagt, dass das Gehirn und die Verhaltensweisen weitgehend prädestiniert sind durch das genetische Potenzial. Demnach ist das Verhalten nur in kleinem Rahmen durch Erziehung modifizierbar – auch Nativismus genannt. Die andere postuliert, dass Menschen als so genannte „tabula rasa“ auf die Welt kommen. Das Gehirn sei also ein unbeschriebenes Blatt, das maßgeblich durch die Umwelt beschrieben und geformt werden kann.

In der heutigen Verhaltensforschung geht man davon aus, dass jegliches Verhalten eine genetische Grundlage hat und gleichzeitig durch Umwelteinflüsse moduliert wird. Die Genetik bildet demzufolge das Fundament, das sich in Wechselwirkung mit der Umwelt und eigenen Erfahrungen entsprechend entwickeln kann. Durch individuelle Lern– und Erfahrungsprozesse in der Umwelt kann die Leistungsfähigkeit des Gehirns so optimiert werden. Stellt man sich die Gene als Tasten eines Klaviers vor, dann hängt es vom Pianisten – der Umwelt – ab, welche Tasten bzw. Gene an– oder abgeschaltet werden. Das Zusammenspiel von Genen und Umwelt bestimmt also das Ausmaß und die Richtung, in die das Wachstum der Nervenzellen und der Synapsen gesteuert werden kann.

Instinkthandlungen und Reflexe sind angeboren. Dazu zählen zum Beispiel der Lidschlag bei drohender Gefahr und höchstwahrscheinlich auch die emotionale Mimik, etwa bei Wut, Trauer, Freude, Verlegenheit und Lächeln. Beobachtungen haben beispielsweise ergeben, dass blinde Sportler die Arme in die Höhe reißen und dieselben Gesten machten wie Sehende bei einem Sieg. Auch soziales Lächeln – also das „künstliche“ Lächeln, das zur Kommunikation, beispielsweise zur Bestätigung eingesetzt wird – ist angeboren und kann auch bei Blinden beobachtet werden.

Ein klassisches Beispiel für die Bedeutung frühkindlicher Erfahrungs– und Lernprozesse ist der Fall von Kaspar Hauser. Er soll als Kind im 19. Jahrhundert aufgewachsen und bis zu seinem 16. Lebensjahr eingesperrt gewesen sein. Wissenschaftlich bewiesen ist das allerdings nicht, es handelt sich um eine Legende. Durch den mangelnden Kontakt zur Umwelt fehlten Kaspar Hauser angeblich viele soziale Verhaltensweisen, wie zum Beispiel die Fähigkeit zu sprechen.

Das Beispiel zeigt, dass eine potentiell gute genetische Ausstattung auch verkümmern kann, wenn ein Kind nicht entsprechend gefördert wird. Andererseits können Gendefekte durch individuelle Förderung ausgeglichen und optimiert werden. In Anlehnung an den Kaspar-​Hauser-​Fall wurden Tierexperimente durchgeführt, die zeigen, dass die sensorischen Cortexregionen, etwa der Seh– und Hörcortex, ihre volle Leistungsfähigkeit nicht entwickeln können, wenn die Tiere im Dunkeln oder schallisoliert aufgezogen wurden.

Auch Studien an eineiigen Zwillingen beweisen den Umwelteinfluss auf die menschliche Entwicklung. Trotz identischer genetischer Ausstattung zeigen Zwillinge keine identischen Verhaltensweisen. Andererseits beweisen Studien mit Zwillingen, die in der Kindheit räumlich getrennt aufwuchsen, dass bestimmte Verhaltenscharakteristika auch angeboren sind. Wie viel Prozent dabei angeboren und wie viel erlernt ist, ist individuell ganz unterschiedlich. Ebenso schwer lässt sich festlegen, welche Eigenschaften zu möglicherweise vererbten Charakterzügen eines Menschen zählen und welche erst im Laufe der Zeit erlernt wurden.

Prinzipiell sind Menschen lebenslang lern– und anpassungsfähig. Allerdings gibt es bestimmte „sensible“ oder „kritische“ Zeitfenster, in denen die Förderung am fruchtbarsten ist. Im Kleinkinderalter sind die sensorischen Systeme besonders aufnahmebereit, die kognitiven und emotionalen Fähigkeiten – im präfrontalen Cortex – entwickeln sich hingegen noch bis zum 20. Lebensjahr. Neben dem Zeitpunkt der Förderung ist aber auch die interaktive Auseinandersetzung mit der Umwelt für die Entwicklung von Bedeutung. Passives „Berieseln“ ist weit weniger oder gar nicht wirkungsvoll für die Optimierung neuronaler Schaltkreise als der aktive Dialog und die Interaktion mit der Umwelt.

Aufgezeichnet von Leonie Seng

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Synapse

Synapse/-/synapse

Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Präfrontaler Cortex

Präfrontaler Cortex/-/prefrontal cortex

Der vordere Teil des Frontallappens, kurz PFC ist ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC gilt als Sitz der exekutiven Funktionen (die das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt steuern) und des Arbeitsgedächtnisses. Auch spielt er bei der Bewertung des Schmerzreizes eine entscheidende Rolle.

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