Frage an das Gehirn

Warum handeln Jugendliche oft so kopflos?

Fragesteller/in: Julian K. aus Essen

Veröffentlicht: 27.04.2012

Teenager stellen ihre Eltern und ihre Umwelt oft vor Rätsel. Warum handeln Jugendliche oft so kopflos?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Peter Uhlhaas vom Max-​Planck-​Institut für Hirnforschung in Frankfurt, Leiter der Abteilung „Neuropsychiatrie und Entwicklung“: Die Adoleszenz, der Übergang zwischen der Kindheit und dem Erwachsensein, zeichnet sich durch ein besonders stark ausgeprägtes Risikoverhalten aus. Mit Risikoverhalten bezeichnet man üblicherweise das Verhalten in Entscheidungssituationen, in denen Jugendliche sich erhöhten Risiken aussetzen, die sie durch ihr Handeln wissentlich oder unwissentlich heraufbeschwören — wie beispielsweise fahrlässiges Verhalten im Straßenverkehr, Drogenexperimente, ungeschützter Geschlechtsverkehr.

Das risikoreiche und auch ansonsten manchmal kopflos wirkende Verhalten Jugendlicher bringen Forscher heute mehr und mehr mit der Hirnentwicklung während der Adoleszenz in Verbindung. Man hat früher angenommen, dass sich nach der Kindheit die Struktur des Gehirns nur wenig verändert. Wir wissen aber nun, dass die anatomische Entwicklung weitaus dynamischer ist, als ursprünglich vermutet. Wissenschaftler haben unter anderem die Entwicklung der grauen Substanz untersucht, die sich aus den Zellkörpern, synaptischen Kontakten und den Dendriten einer Nervenzelle zusammensetzt. Sie fanden eine dramatische Zunahme des Hirngewebes bis zum 12. Lebensjahr, gefolgt von einer Abnahme der grauen Substanz bis zum frühen Erwachsenenalter. Diese Befunde weisen auf eine grundlegende anatomische Veränderung des Gehirns in der Adoleszenz hin, die sich durch den Abbau von synaptischen Kontakten erklären lässt.

Die anatomischen Veränderungen des adoleszenten Gehirns sind in bestimmten Arealen besonders stark. Hierzu zählt ein Teil des Stirnhirns, das unter anderem für die Impulskontrolle wichtig ist. Wir wissen, dass geistige Funktionen, die auf Areale des Stirnhirns zurückgreifen, erst mit dem Erwachsenenalter vollständig ausgereift sind. Das kopflose Verhalten Jugendlicher erklärte man lange ausschließlich durch diese späten Entwicklungsprozesse im Stirnhirn. Diese Veränderungen alleine können typische Verhaltensweisen in der Jugend jedoch nicht erklären, da beispielsweise in der Kindheit das Stirnhirn ebenfalls noch nicht entwickelt ist. Nun verändern sich aber im adoleszenten Gehirn auch Strukturen unterhalb der Hirnrinde erheblich — insbesondere das limbische System. Das limbische System steuert Affekte und Triebe. Seine Entwicklung ist schon früher abgeschlossen als die des Stirnhirns. Zudem zeigen Bildgebungsstudien, dass das limbische System bei Jugendlichen hyperaktiv ist.

Heute nehmen wir daher an, dass es zu einem Ungleichgewicht kommt: Das hyperaktive limbische, „emotionale“ System hat aufgrund einer früheren Entwicklung einen größeren Einfluss auf das Verhalten Adoleszenter, während das Kontrollsystem des Gehirns, das Stirnhirn, noch nicht vollständig ausgereift ist.

Aufgezeichnet von Christian Wolf

Graue Substanz

Graue Substanz/-/gray matter

Als graue Substanz wird eine Ansammlung von Nervenzellkörpern bezeichnet, wie sie in Kerngebieten oder im Cortex (Großhirnrinde) vorkommt.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Präfrontaler Cortex

Präfrontaler Cortex/-/prefrontal cortex

Der vordere Teil des Frontallappens, kurz PFC ist ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC gilt als Sitz der exekutiven Funktionen (die das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt steuern) und des Arbeitsgedächtnisses. Auch spielt er bei der Bewertung des Schmerzreizes eine entscheidende Rolle.

Präfrontaler Cortex

Präfrontaler Cortex/-/prefrontal cortex

Der vordere Teil des Frontallappens, kurz PFC ist ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC gilt als Sitz der exekutiven Funktionen (die das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt steuern) und des Arbeitsgedächtnisses. Auch spielt er bei der Bewertung des Schmerzreizes eine entscheidende Rolle.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Lizenzbestimmungen

Keine Nutzungslizenz vergeben:
Nur anschauen erlaubt.