Frage an das Gehirn

Wie halten Babys verschiedene Sprachen auseinander?

Fragesteller/in: Markus B. via Internet

Veröffentlicht: 27.09.2012

Nie wieder lernt man Sprachen so leicht wie als Baby. Doch warum kommen eigentlich zweisprachig aufwachsende Babys verbal nicht durcheinander?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Professorin Barbara Höhle, Inhaberin des Lehrstuhls für Psycholinguistik mit dem Schwerpunkt Spracherwerb an der Universität Potsdam:

Bereits Neugeborene können Laut– und Rhythmus-​Unterschiede von verschiedenen Sprachen wahrnehmen: Das „th“ im Englischen ist halt etwas anderes als ein „eu“ im Deutschen. So können Neugeborene beispielsweise Französisch von Englisch abgrenzen, Deutsch von Italienisch.

Sprachen zu unterscheiden, die hingegen einen sehr ähnlichen Rhythmus haben, etwa Deutsch von Holländisch oder Spanisch von Katalanisch, das ist schwieriger. Sprachen, die einen ähnlichen Rhythmus haben wie ihre Muttersprache, können einsprachig aufwachsende Babys erst nach etwa fünf Monaten voneinander unterscheiden. Babys, die von Geburt an mit zwei ähnlich klingenden Muttersprachen aufwachsen, gelingt es schon mit vier Monaten, diese voneinander zu unterscheiden. Das haben Babys gezeigt, die im Nordosten Spaniens geboren wurden und von Geburt an mit Spanisch und Katalanisch aufwuchsen. Diese Fähigkeit haben die zweisprachig aufwachsenden Kinder also den einsprachig aufwachsenden voraus: Sie können die lautlichen Unterschiede zwischen den Sprachen sehr gut erkennen.

Was genau im Gehirn der zweisprachigen Babys geschieht, weiß die Wissenschaft noch nicht. Es fehlen neurophysiologische Studien. Bislang wird bei den Experimenten hauptsächlich auf die Aufmerksamkeit der Babys geachtet: Dabei schauen sie auf einen bestimmten visuellen Reiz, zum Beispiel eine blinkende Lampe. Parallel bekommen sie eine Reihe von kleinen Texten vorgelesen. Wenn sie zum Beispiel längere Zeit Spanisch hören, nimmt die Aufmerksamkeit ab und sie wenden sich von dem visuellen Reiz ab. Wenn man dann zu Katalanisch wechselt, erhöht sich die Aufmerksamkeit wieder. Das ist also ein Indiz dafür, dass die Babys den Unterschied zwischen beiden Sprachen erkennen.

Spannend ist auch: Wie Erwachsene Spracheigenschaften wahrnehmen, hängt damit zusammen, welche Sprache sie als Babys gelernt haben. Das untersuche ich mit meinem Team gerade anhand von Deutschen und Franzosen. Im Deutschen werden Wörter stark betont, etwa auf der ersten Silbe wie bei „Tandem“ oder auf der zweiten Silbe wie bei „Phantom“. Im Französischen gibt es solche Wortbetonungen eher nicht. Deswegen ist es für französische Erwachsene schwierig, Betonungsunterschiede wahrzunehmen. Interessanterweise zeigen deutschsprachig aufwachsende Babys bereits mit sechs Monaten eine Hörvorliebe für zweisilbige Wörter mit der Betonung auf der ersten Silbe. Französischsprachig aufwachsende Babys haben das nicht, im Gegenteil: Wir haben festgestellt, dass sie mit neun Monaten weniger fähig sind, die Betonungsmuster zu unterscheiden, als mit sechs Monaten. Bei Babys, die zweisprachig mit Deutsch und Französisch aufwachsen zeigt sich aber kein Nachlassen dieser Fähigkeit. Sie können genauso wie einsprachige deutsche Babys die Betonungsunterschiede erkennen.

Betonungen sind also eine sehr wichtige Eigenschaft von Sprache, die Babys sehr früh erkennen. Das hilft ihnen, verschiedene Sprachen voneinander zu unterscheiden.

Aufgezeichnet von Franziska Badenschier

Aufmerksamkeit

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Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

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