Frage an das Gehirn

Wie funktioniert Neurofeedback bei ADHS?

Fragesteller/in: Christian Kast aus Berlin via Mail

Veröffentlicht: 19.07.2014

Es fällt ihnen schwer sich zu konzentrieren und ihre Aufmerksamkeit zu steuern: Menschen mit ADHS. Eine relativ neue Behandlungsmethode ist das Neurofeedback. Wie genau funktioniert diese Therapie?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von PD Dr. Ute Strehl, Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie, Universität Tübingen:

Neurofeedback ist eine Variante des Biofeedback. Dabei lernen Menschen, eine bestimmte Körperfunktion besser wahrzunehmen und zu steuern. Zielorgan beim Neurofeedback ist das Gehirn, und genau das stellt uns vor eine große Herausforderung: Der Körper besitzt keine Rezeptoren für die Gehirnaktivität und kann sie deshalb nicht wahrnehmen.

Neurofeedback nutzt daher Hilfsmittel, um die Gehirnaktivität darzustellen. Meist erfasst man per Elektroencephalogramm (EEG) die elektrische Aktivität des Gehirns. Seltener und bislang vor allem in der Forschung werden Stoffwechselprozesse gemessen – etwa mit der funktionellen Magnetresonanztomographie oder der Nahinfrarotspektroskopie.

Die Messergebnisse lassen sich am Computerbildschirm in Echtzeit als einfache Signale darstellen. Das kann etwa ein Balken sein, der in die Höhe wächst, oder sich von rechts nach links bewegt, wenn der Proband seine Gehirnaktivität in der gewünschten Art und Weise beeinflusst. Manchmal kommen auch Computerspiele zum Einsatz, die zum Training motivieren sollen. Nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ entsteht mit der Zeit ein Gefühl dafür, wie sich die Gehirnaktivität steuern lässt.

Bei ADHS lassen sich zwei Besonderheiten ausnutzen. Charakteristisch ist eine Untererregung des Gehirns. Die Grundaktivität des Denkorgans setzt sich aus elektrischen Erregungswellen unterschiedlich schneller Frequenzen zusammen. Im Vergleich zu nicht Betroffenen zeigt sich bei Menschen mit ADHS ein höherer Anteil langsamer Frequenzen. Vereinfacht gesagt heißt das, dass die Nervenzellen verlangsamt kommunizieren, was sich dann in einer verringerten Aufmerksamkeit äußert. Durch Neurofeedback lernen die Betroffenen, verstärkt schnellere Hirnfrequenzen zu aktivieren und somit ihre Aufmerksamkeit zu steigern.

Der zweite Angriffspunkt sind die so genannten langsamen kortikalen Potentiale oder Bereitschaftspotentiale. Gemeint ist ein Gehirnzustand, der uns in Bereitschaft versetzt, gleich zu handeln. Das nutzen wir etwa, wenn wir an einer roten Ampel stehen und uns darauf einstellen, bei „Grün“ sofort loszufahren. Personen mit ADHS fällt es schwer, ihr Gehirn derart in „Habachtstellung“ zu versetzen. Im Neurofeedback-​Training lernen sie, diesen Zustand gezielt zu aktivieren und zu deaktivieren.

Wir gehen heute davon aus, dass sich das Gelernte mit der Zeit automatisiert und so auch in Alltagssituationen abrufen lässt. Im Training lässt sich der Lernerfolg prüfen, indem der Proband den gewünschten Zustand ohne Hilfsmittel herstellt. Das EEG zeigt den Erfolg. Im Alltag helfen später einfache Reize wie ein Bild vom Computerbildschirm, das sich der Betroffene anschaut, bevor er sich etwa an die Hausaufgaben setzt. Dieses Signal unterstützt ihn dabei, die gewünschte Gehirnaktivität abzurufen, und sich so besser auf seine Aufgabe zu konzentrieren.

Der klare Vorteil der Methode liegt im Lerneffekt. Sie behandelt nicht nur Symptome, sondern bewirkt tatsächlich eine Veränderung im Gehirn. Um ihre Wirksamkeit endgültig zu beweisen, benötigen wir noch mehr Daten. Nach jetzigem Stand können wir sagen, dass der Effekt für den Patienten besser ist als bei Verhaltenstherapien und mindestens ebenso gut wie bei medikamentöser Behandlung. Und 2014 ergab eine Studie, bei der 144 Kinder mit ADHS untersucht wurden: Neurofeedback ist dem muskulären Feedback, einer Methode die am Computerbildschirm gezieltes Anspannen und Entspannen trainiert, überlegen. Die Kinder, die von der Aufmerkasamkeitsstörung am stärksten betroffen waren, profitierten dabei am meisten vom Neurofeedback.

Aufgezeichnet von Stefanie Reinberger

Rezeptor

Rezeptor/-/receptor

Signalempfänger in der Zellmembran. Chemisch gesehen ein Protein, das dafür verantwortlich ist, dass eine Zelle ein externes Signal mit einer bestimmten Reaktion beantwortet. Das externe Signal kann beispielsweise ein chemischer Botenstoff (Transmitter) sein, den eine aktivierte Nervenzelle in den synaptischen Spalt entlässt. Ein Rezeptor in der Membran der nachgeschalteten Zelle erkennt das Signal und sorgt dafür, dass diese Zelle ebenfalls aktiviert wird. Rezeptoren sind sowohl spezifisch für die Signalsubstanzen, auf die sie reagieren, als auch in Bezug auf die Antwortprozesse, die sie auslösen.

EEG

Elektroencephalogramm/-/electroencephalography

Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.

Funktionelle Magnetresonanztomographie

Funktionelle Magnetresonanztomographie/-/functional magnetic resonance imaging

Eine Modifikation der Magnetresonanztomographie oder –tomografie (MRT, englisch MRI) die die Messung des regionalen Körperstoffwechsels erlaubt. In der Hirnforschung wird besonders häufig der BOLD-​Kontrast (blood oxygen level dependent) verwendet, der das unterschiedliche magnetische Verhalten sauerstoffreichen und sauerstoffarmen Bluts nutzt. Ein hoher Sauerstoffverbrauch kann mit erhöhter Aktivität korreliert werden. fMRT-​Messungen haben eine gute räumliche Auflösung und erlauben so detaillierte Information über die Aktivität eines bestimmten Areals im Gehirn.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

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