Aristoteles – Das Gehirn als Kühlsystem

Aristoteles – Das Gehirn als Kühlsystem

Aristoteles hielt das Gehirn für ein bloßes Kühlsystem des Herzens. Das Herz galt ihm als Ort der wahrnehmenden Seele. Trotz dieser Irrtümer hatte er einen großen Einfluss auf die Geschichte der Hirnforschung.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Georg W. Kreutzberg

Veröffentlicht: 29.01.2014

Niveau: mittel

Das Wichtigste in Kürze
  • Aristoteles ist der große Empiriker unter den antiken Philosophen. Unter anderem sezierte er für seine Forschungen Seeigel.
  • Für Aristoteles ist das Gehirn nichts weiter als ein Kühlsystem für das Herz. Das Herz hingegen der Sitz der wahrnehmenden Seele.
  • Bedeutung für die Hirnforschung in den folgenden Jahrhunderten hatte er durch seine stark biologisch ausgerichtete Deutung des Bewusstseins. Außerdem beeinflusste seine Lehre vom Pneuma, einer materiellen Lebenskraft, die Hirnforscher der nächsten Generationen.

Das Gehirn ist nichts weiter als ein Kühlsystem für das Blut, das Herz hingegen der Sitz der wahrnehmenden Seele. Das erklärte zumindest der griechische Philosoph Aristoteles. Doch wie kam er zu diesen aus heutiger Sicht doch eher merkwürdigen Annahmen? Immerhin war Aristoteles unter den griechischen Denkern wohl derjenige, der am meisten auf die Erfahrung zurückgriff und dabei Berge von empirischem Material anhäufte.

Geboren wurde Aristoteles 384 v. Chr. in Stageira im Norden des heutigen Griechenlands. Schon in frühen Knabenjahren gelangte er an den makedonischen Königshof in Pella, wo sein Vater Leibarzt des Königs war. Hier kam er in den Genuss seiner ersten Bildung, und hier erwuchs auch seine Liebe zur Naturforschung. Später ging er nach Athen, um seine Bildung in der philosophischen Akademie von Platon zu vervollkommnen. Er wirkte dort zwanzig Jahre lang.

Empiriker durch und durch

Anders als sein Lehrer Platon, der zu Poesie und kühnen Gedankenflügen tendierte, war Aristoteles eher von einer gewissen Nüchternheit. Mit seiner trockenen Art neigte er dazu, fast alles zu sammeln, zu untersuchen und zu katalogisieren, was er in die Finger bekam. Alexander der Große, den Aristoteles eine Zeit lang unterrichtete, soll seine Gärtner, Fischer und Jäger angewiesen haben, diesem Exemplare aller vorkommenden Tier– und Pflanzenarten zu schicken.

Aristoteles beschäftigte sich unter anderem mit Medizin, Biologie und Physik. Er strebte wie jeder gute Wissenschaftler zwar nach dem Allgemeinen und Notwendigen. Doch immer waren ihm die sinnlichen Einzeldinge wichtig. Wie gelangte er also zu den genannten seltsamen Einsichten über Herz und Hirn?

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Das Herz als Inbegriff des Lebens

Wie in den meisten antiken Kulturen – wie Ägypten oder China – betrachtete man auch im alten Griechenland das Herz als wichtigstes Organ des Denkens. Außerdem hatte Aristoteles selbst anatomische Studien durchgeführt und dabei die verschiedensten toten oder lebendigen Tierkörper seziert, vom Seeigel bis zum Elefanten. Er hatte durchaus gute Gründe dafür, das Herz zu über– und das Gehirn zu unterschätzen. Schließlich bedeutet die Verletzung des Herzens den sofortigen Tod, während Hirnverletzungen meist weniger dramatische Folgen nach sich ziehen und sogar ausheilen können. Zudem gehen Veränderungen des Herzschlags mit Veränderungen unseres Gemütszustandes einher. Umgekehrt scheint das Gehirn empfindungslos zu sein, denn eine Berührung des Gehirns am lebenden Tier ruft keinerlei Reaktionen bei diesem hervor.

Die Bewegungen des Herzens scheinen gleichbedeutend mit dem Leben selbst zu sein. Für Aristoteles ist daher das Herz das zentrale Organ. Allerdings sieht er in ihm nur den Sitz der Wahrnehmungsseele. Die aktive Vernunft, die höchste Funktion der Seele, benötige für ihre Tätigkeit hingegen keine physiologische Grundlage, habe keinen körperlichen Ort. Das schließt Aristoteles aus der Fähigkeit der Vernunft, alles zu erkennen – während Wahrnehmungen an entsprechende Sinnesorgane gebunden sind.

Gehirn als Kühlsystem

Das Gehirn hat nach Aristoteles lediglich die Aufgabe eines Kühlsystems, das die Temperatur des heißen Blutes senken soll. Interessanterweise bezieht sich dabei auch auf die Beobachtung, dass sich das Herz warm, das Gehirn aber kalt anfühlt.

Obwohl also Aristoteles das Gehirn gerade nicht als zentrales Organ des Denkens und Empfindens erkennt, hat er doch mit seiner biologisch angehauchten Seelenlehre einen prägenden Beitrag zur Geschichte der Hirnforschung geliefert. Seine Beschreibung der, wie es der englische Neurophysiologe Charles Scott Sherrington (1857−1952) ausdrückte, „biologischen Ausstattung des Bewusstseins“ wurde von der Hirnforschung übernommen und zum Paradigma für Jahrhunderte gemacht. Schließlich handelt die Seele – ausgenommen die aktive Vernunft – mit all ihren Teilen gemeinsam mit den Körperorganen.

Nicht zuletzt bezieht Aristoteles in der Frage, ob denn nun Blut oder „Pneuma“ – eine luftige Form der Lebensenergie, vergleichbar dem chinesischen Chi und dem indischen Prana – materieller Träger der Lebenskraft sei, eindeutig Position: „Alle Tiere haben natürlich eingeborenes Pneuma und üben ihre Kraft vermittels desselben aus.“ Damit prägt er die Hirnforschung bis ins 18. Jahrhundert. Allerdings versucht Aristoteles nicht, die „Kanäle“ im Körper ausfindig zu machen, in denen das Pneuma zu den Gliedern, den Sinnesorganen und zum Herzen gelangt. Damit beschäftigten sich erst die folgenden Generationen und entdecken schließlich die Nerven.

Oeser, Erhard: Geschichte der Hirnforschung. Von der Antike bis zur Gegenwart, Darmstadt 2010.

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