Mit Neuroökonomie aus der Finanzkrise?

Graphik: MW
Wirtschaft Elger

Sind Banker aus freien Stücken gierig oder können sie nicht anders? Eine junge Disziplin versucht zur Beantwortung solcher Fragen, Hirnforschung, Wirtschaftswissenschaft und Psychologie in ein gegenseitiges Gespräch zu bringen.

Veröffentlicht: 20.02.2015

Niveau: mittel

Das Wichtigste in Kürze
  • Was wir heute als Gier kennen, hat sich womöglich als adaptives Verhalten bei Nahrungsknappheit entwickelt. Und findet sich als solches noch heute bei Naturvölkern.
  • Unser ökonomisches Verhalten wird stark von Ethik, Moral und Fairness beeinflusst – auch bei hohen persönlichen Kosten.
  • Gleichwohl führt Geld – genauso wie Schokolade und Kokain – zur Aktivierung des Belohnungssystems.
  • Die Aktivierung des Belohnungssystems führt zu einer Verminderung von hirneigenen Kontrollinstanzen des Stirnhirns.


Mesolimbisches System

Mesolimbisches System/-/mesolimbic pathway

Ein System aus Neuronen, die Dopamin als Botenstoff verwenden und das entscheidend an der Entstehung positiver Gefühle beteiligt ist. Die Zellkörper liegen im unteren Tegmentums und ziehen unter anderem in die Amygdala, den Hippocampus und – besonders wichtig – den Nucleus accumbens, wo sie ihre Endköpfchen haben.

Präfrontaler Cortex

Präfrontaler Cortex/-/prefrontal cortex

Der vordere Teil des Frontallappens, kurz PFC ist ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC gilt als Sitz der exekutiven Funktionen (die das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt steuern) und des Arbeitsgedächtnisses. Auch spielt er bei der Bewertung des Schmerzreizes eine entscheidende Rolle.

Über den Autor

Christian E. Elger studierte in Münster Humanmedizin und habilitierte sich in den Fächern Physiologie (1982) und Neurologie (1986). Seit 1990 ist er Direktor der Universitätsklinik für Epileptologie Bonn. Elger ist Gründungsdirektor und seit 2009 Direktor des Centers for Economics and Neuroscience (CENs). 1997 wurde er zum Fellow of the Royal College of Physicians (FRCP) ernannt und u.a. mit dem Zülch-Preis (2005) und dem European Epileptology Award der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) (2012) ausgezeichnet.

Natürlich gibt es gierige Banker, und natürlich können sie manchmal nicht anders, weil ihre Persönlichkeit entsprechend ist. Die viel interessantere Frage ist jedoch, ob es auf dem Gebiet der Neurobiologie Erklärungen dafür gibt, dass eine größere Zahl der Banker in den letzten Jahren offensichtlich einem Casino-​Kapitalismus verfiel, bei dem die Finanzierung von Geschäftsvorgängen in der Realwirtschaft als klassisches Kerngeschäft der Banken in den Hintergrund trat zugunsten risikoreicher, aber wesentlich gewinnträchtigerer Geschäfte auf dem Finanzmarkt. Die dort auf Kosten anderer erwirtschafteten Gewinne waren unvorstellbar hoch, ebenso die Gewinnbeteiligungen der Investmentbanker; Jahreseinkommen von mehreren zig Millionen Dollar sind noch immer keine Seltenheit.

Wikipedia umschreibt Gier als Habsucht oder Raffsucht und als übersteigertes Streben nach materiellem Besitz. In zahlreichen Kulturen wird das Streben nach mehr Besitz kritisch beäugt. Der Besitz eines hochwertigen Fahrzeuges ruft zumindest in europäischen Ländern häufig eher Misstrauen hervor – woher hat der nur das ganze Geld? –, während er in osteuropäischen Ländern oder auch in den Vereinigten Staaten eher Bewunderung auf sich zieht, da der Besitzer doch offensichtlich geschickt agiert hat. „Gier“ im Sinne einer Maßlosigkeit hat bei uns einen negativen Klang; gieriges Verhalten empfinden wir in gewisser Weise als „krankhaft“, weil wir dem Maßhalten eine große gesellschaftliche Bedeutung zuschreiben.

Die Frage, mit der wir uns aus neurobiologischer Sicht auseinandersetzen müssen, lautet demnach, ob gieriges Verhalten natürlicherweise in uns angelegt ist, dann aber normalerweise durch Erziehung kaschiert wird und nur unter bestimmten Umständen – zum Beispiel gewissen wirtschaftlichen Umständen – reaktiviert werden kann.

Zur Beantwortung dieser Frage trägt möglicherweise eine persönliche Erfahrung mit den Buschleuten in Namibia bei. Die San zählen zu den so genannten Naturvölkern und haben ihr Verhalten trotz des Einflusses der modernen Zivilisation in den letzten Jahrhunderten wenig verändert. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung wollten wir Bonbons an die zahlreichen Kinder verschenken. Die San sind dafür bekannt, Nahrungsmittel innerhalb der Gruppe sehr gerecht zu verteilen. Wir gaben also einem der Kinder die große Tüte mit den Bonbons, welche dann tatsächlich fair geteilt wurden.

Das für uns Überraschende war, dass nahezu alle Kinder innerhalb kürzester Zeit sämtliche Bonbons aufgegessen hatten – die Mehrzahl der Kinder bekam sogar Bauchschmerzen. Ein ganz ähnliches Verhalten beobachteten wir bei Erwachsenen, wenn der Regierungs-​Lkw eintraf und die wöchentliche Maismehl-​Ladung in die Dorfgemeinschaft brachte. Die Lieferung wurde bereits sehnsüchtig erwartet, da die Dorfgemeinschaft seit Tagen hungerte. Die Maismenge war so ausgelegt, dass das Mehl für eine Woche reichen sollte. In unserer Gegenwart wurde die Nahrung in zwei Tagen völlig verspeist. Ein Regierungsvertreter teilte uns mit, dass dies seit Jahren so laufe.

Nach unserer obigen Definition wären die beschriebenen Verhaltensweisen ein „Verhalten ohne Maß“, also ein Ausdruck von „Gier“. Warum macht dieses in vielen Dingen außerordentlich kluge und maßvolle Volk dies, ohne dass die Erfahrung, anschließend über mehrere Tage hungern zu müssen, ihr Verhalten korrigiert? Fragt man die Buschleute, gibt es eine klare Antwort: „Weißt du denn, ob der Wagen mit dem Mais je wiederkommt und dann wieder so viel Maismehl mitbringt? Esse, was du bekommst, du weißt nie, wann das nächste Essen kommt.“ Dieses Verhalten ist außerordentlich archaisch, und es ist keinesfalls „ohne Maß“ oder gar „gierig“. Man nimmt vielmehr mit, was im Moment geboten wird, weil die Zukunft zu ungewiss ist. „Gier“ ist ein adaptives Verhalten bei Nahrungsknappheit. Hier wäre umgekehrt ein „maßvolles“ Verhalten mit einem Überlebensrisiko für die gesamte Gruppe verbunden. Mit anderen Worten, der Mammut, der vorbeikommt, muss sofort erlegt und vollständig verspeist werden, da er nicht konserviert werden kann.

Archaische Verhaltensmechanismen sind immer noch verhaltensbestimmend und können auch das Verhalten des modernen Menschen dominieren. Gibt es in der Neurobiologie Erklärungsversuche für dieses Verhalten und lässt sich diese Erklärung übertragen auf das Wirtschaftsverhalten von Menschen?

Das Ultimatumspiel ist wohl das Experiment, das am deutlichsten zeigt, wie Verhalten die Ökonomie bestimmt. Eine Person A erhält eine bestimmte Summe Geld, die sie jedoch mit einer ihr unbekannten Person B, die sie niemals wiedersehen wird, irgendwie teilen muss. Wenn B mit dem angebotenen Anteil unzufrieden ist und den Vorschlag zurückweist, verliert auch A sein Geld. A möchte also möglichst wenig abgeben, ohne die Zustimmung von B zu riskieren. Experimente zum Ultimatumspiel sind mit vielen sogenannten Naturvölkern durchgeführt worden. Der erfolgreich angebotene Anteil erreicht regelmäßig eine Größenordnung zwischen 45 und 55 Prozent; eine Halbierung der Summe hat die beste Chance auf Akzeptanz.

Streng ökonomisch betrachtet, ist es überraschend, dass B überhaupt irgendein Angebot von A verweigert; denn bei jeder Annahme gewinnt B ja mehr Geld als bei Verweigerung. Wir nennen ein solches Verhalten „altruistisches Bestrafen“, weil B Kosten auf sich nimmt, um A für ein aus seiner Sicht unsoziales Verhalten abzustrafen. Dies hat wenig mit Ökonomie im Sinne unmittelbarer Gewinne zu tun, hier geht es eher um mittel– und langfristige Wirkungen auf das Verhalten im Sinne von Ethik, Moral und Fairness.

Die Effekte des hier als Spiel dargestellten altruistischen Verhaltens merken wir im Alltag an vielen Stellen. Fühlen wir uns durch eine Ware von schlechter Qualität um unser Geld betrogen, werden wir viel Energie aufwenden, diesen Kauf rückgängig zu machen; diese Energie kann weit größer sein als die Summe, um die es sich handelt: Wir bestrafen den Verkäufer altruistisch für den Verkauf nicht einwandfreier Waren.

Welche Not leiden die Banker?

Warum nehmen wir diese Kosten auf uns? Was geschieht in unserem Gehirn, während wir andere altruistisch bestrafen? Die Arbeitsgruppe von Ernst Fehr in Zürich hat bereits vor vielen Jahren festgestellt, dass eine zentrale, im Hirn gelegene Struktur während der altruistischen Bestrafung beim Ultimatumspiel deutlich aktiviert wird: der Nucleus accumbens, eines der Lustzentren in unserem Gehirn.

Das Belohnungssystem im Gehirn wurde in den 1950er Jahren von Olds und Millner bei Ratten entdeckt. Führt man bei einem Versuchstier eine Reizelektrode in den Nucleus accumbens ein und ermöglicht es dem Tier, sich selbst elektrisch über diese Elektrode zu reizen, hört dieses Versuchstier nicht mehr damit auf. Das durch diese Reizung ausgelöste Wohlgefühl ist offensichtlich durch nichts zu überbieten, denn selbst das Angebot von Nahrung nach einer Hungerperiode oder sexuell attraktive Reize konnten die Tiere nicht von der Selbststimulation abbringen. Heutzutage nutzt man diese Erkenntnisse zur Diagnose und Therapie der Depression, wenngleich sich hier vieles noch in einem experimentellen Stadium befindet. Beim altruistischen Strafen wird demnach eine Art Wohlgefühl oder Genugtuung erlebt, die die Kosten dieses Verhaltens locker aufwiegt!

Das Ultimatumspiel wurde vielfach untersucht mit verschiedenen Varianten. Es gibt z. B. das „Diktatorspiel“, bei dem A ohne Zustimmung von B bestimmen kann, was er B abgibt; B erhält jedoch die Möglichkeit, sein Gegenüber durch eine Bestrafung wissen zu lassen, dass er mit diesem Anteil nicht einverstanden ist. Solche Experimente zeigen zum Beispiel, dass die Gabe von Testosteron bei Männern die Großzügigkeit von A bei der Abgabe reduziert, aber die Rachsucht von B – d.h. die Bestrafung „unsozialer“ Teilungen – steigert.

Frauen sind in diesem Experiment weniger leicht manipulierbar als Männer: Sie zeigen auch bei wenig großzügigen Mitspielern Verständnis, und Untersuchungen der Hirnaktivität zeigen, dass Frauen bei ihren schwächer ausgeprägten Rachegedanken und Racheaktionen auch eine weniger deutliche Aktivierung des Belohnungssystems zeigen.

Wenn wir die Ergebnisse des Ultimatumspiels, der Diktatorspiele und ähnlicher Spiele interpretieren, müssen wir zu dem Schluss kommen, dass die Einforderung sozialer Fairness – auch auf eigene Kosten – ein von der Evolution und vom Gehirn belohntes Verhalten ist und von vielen Menschen um des damit verbundenen Wohlgefühls willen angestrebt wird. Das Ausbleiben von Fairness im Umgang miteinander führt zuverlässig zu Gegenreaktionen.

Wir verstehen nun noch besser, warum im Jahre 2008 das Wort „notleidende Banken“ zum Unwort des Jahres wurde. Die mittels der funktionellen Kernspintomographie möglichen Untersuchungen an gesunden Menschen, bei der eine Hirnaktivität bei einer bestimmten Aufgabe einer Hirnstruktur zugeordnet werden kann, zeigt uns, dass das Belohnungssystem für viele Dinge sehr empfänglich ist.

Dies kann so harmlos wie Schokolade sein, bei der viele Menschen nur schwer eine Einteilung schaffen und häufig die ganze Tafel auf einmal essen, auch wenn Gedanken zur Gesundheit im Hintergrund sind und nachher ein schlechtes Gewissen entsteht. Denn Schokolade aktiviert das Belohnungssystem hervorragend! Kokain tut es auch: Kokain ist eine Substanz, die offensichtlich durch die Aktivierung des Belohnungssystems das Wohlbefinden so unterstützt, dass eine große Suchtgefahr besteht, auch wenn Menschen wie Sigmund Freud von sich behaupten, dass sie die Substanz maßvoll für sich selbst haben nutzen können. Die Aktivierung des Belohnungssystems durch Kokain ist ein gutes Beispiel, um den Suchtcharakter bestimmter Stimulationen zu verstehen. Bietet man den Menschen Geld an, führt dies auch zur Aktivierung des Belohnungssystems.

Nucleus

Nucleus/Nucleus/nucleus

Nucleus, Plural Nuclei, bezeichnet zweierlei: Zum einen den Kern einer Zelle, den Zellkern. Zum zweiten eine Ansammlung von Zellkörpern im Gehirn.

Mesolimbisches System

Mesolimbisches System/-/mesolimbic pathway

Ein System aus Neuronen, die Dopamin als Botenstoff verwenden und das entscheidend an der Entstehung positiver Gefühle beteiligt ist. Die Zellkörper liegen im unteren Tegmentums und ziehen unter anderem in die Amygdala, den Hippocampus und – besonders wichtig – den Nucleus accumbens, wo sie ihre Endköpfchen haben.

Nucleus accumbens

Nucleus accumbens/Nucleus accumbens/nucleus accumbens

Der Nucleus accumbens ist ein Kern in den Basalganglien, der dopaminerge (auf Dopamin reagierende) Eingänge vom ventralen Tegmentum bekommt. Er wird mit Belohnung und Aufmerksamkeit, aber auch mit Sucht assoziiert. In der Schmerzverarbeitung ist er an motivationalen Aspekten des Schmerzes (Belohnung, Schmerzabnahme) sowie an der Wirkung von Placebos beteiligt.

Mesolimbisches System

Mesolimbisches System/-/mesolimbic pathway

Ein System aus Neuronen, die Dopamin als Botenstoff verwenden und das entscheidend an der Entstehung positiver Gefühle beteiligt ist. Die Zellkörper liegen im unteren Tegmentums und ziehen unter anderem in die Amygdala, den Hippocampus und – besonders wichtig – den Nucleus accumbens, wo sie ihre Endköpfchen haben.

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Für Rabatte ist das Hirn empfänglich

Das Wohlgefühl Geld in barer Form zu erhalten führt bei einer Großzahl der Menschen zu einem so guten Gefühl, dass dieses suchtartig immer wieder gesucht wird und zu denen in der Boulevardpresse bekannten Exzessen führt, wie zum Beispiel die Tüten von Bargeld, die der Vater von Steffi Graf seinerzeit mit nach Hause trug. Geldgewinne führen zu einer deutlichen Aktivierung des Belohnungssystems. Dies wird besonders deutlich, wenn man den Erwerb von Gegenständen untersucht, die mit Rabatt verbunden sind. Im Vergleich zu einem Gegenstand mit einem normalen Preis findet man im Gehirn eine durchaus verschiedene Aktivierung.

Ein Gegenstand mit einem normalen Preis führt im Gehirn zu einer Aktivierung in einer Region, die ein rationales Abwägen zwischen Preis und Leistung vornimmt und sich mit der Frage beschäftigt, ob ich dieses möchte oder nicht. Hat ein bestimmter Gegenstand jedoch eine Markierung, die anzeigt, dass ein Rabatt gegeben wird, zeigt die Messung eine Aktivierung des Belohnungssystems. Gleichzeitig wird aber die Aktivität des mittleren Stirnhirns herabgesetzt, die für die Rationalität einer Entscheidung verantwortlich ist.

Das heißt, dass die Aktivierung des Belohnungssystems hier zu einer Verminderung von hirneigenen Kontrollinstanzen des Stirnhirns führt. Das wird auch an einem Experiment, bei dem Dopamin, die Überträgersubstanz im Belohnungssystem, im Vergleich zu einem Placebo gegeben wurde. Der Effekt ist fatal: Dopamin vermindert die Risikowahrnehmung deutlich; das ist fatal bei Finanzgeschäften eines Bankers. Die Gier nach mehr könnte daher neurobiologisch so interpretiert werden, dass die Aktivierung des Belohnungssystems, insbesondere durch schnelle und unmittelbare Gewinne, so groß ist, dass die Kontrollinstanzen im Gehirn außer Kraft gesetzt sind, so dass eine Risikobeurteilung deutlich nachlässt. Dies ist eine fatale Spirale.

Wie einfach das Gehirn auf diesem „Klavier“ spielt, zeigen andere Experimente. Das Angebot eines Amazon-​Gutscheins von „50 Euro jetzt sofort“ wird einem zweiten Angebot „70 Euro in einer Woche“ meistens vorgezogen. Bei einem weiteren Experiment wurden die Angebote allerdings in einer geänderten Reihenfolge angeboten: Zunächst wurde ein Amazon-​Gutschein in 14 Tagen offeriert; erst dann wurde ihm mitgeteilt, er könne auch sofort einen Gutschein erhalten, dann aber nur über 50 Euro. Hier drehte sich plötzlich das Verhältnis um: Jetzt wird die Differenz tatsächlich als Geldwegnahme empfunden, und die Mehrzahl der Menschen entscheidet sich für den 70-​Euro-​Gutschein in vierzehn Tagen. Dies auf den ersten Blick sehr einfache Experiment zeigt viel über unser ökonomisches Verhalten. Die Verhältnisse unmittelbar sind offensichtlich wichtig, gleichzeitig stellt sich die Frage eines sogenannten Ankers, der einen bestimmten Wert symbolisiert, so dass sich Entscheidungen nur durch die Reihenfolge des Angebotes bestimmen lassen.

Die Neuroökonomie hat, obwohl sie eine sehr junge Wissenschaft ist und von der Verhaltensökonomie nicht getrennt werden kann, viele Dinge deutlich gemacht, die mit dem Wirtschafts– und Sozialverhalten zu tun haben. Untersuchungen zu Lohngerechtigkeit, zur Ehrlichkeit und zu Gruppenentscheidungen in ökonomischen Prozessen zeigen dies deutlich. Einschränkend muss natürlich immer gesagt werden, dass durch die wissenschaftlichen Untersuchungen in der Regel nicht Entscheidungsträger auf höherer Ebene einbezogen werden können. Die Experimente der Neuroökonomie bewegen sich in der Regel im Bereich kleiner Personengruppen – häufig Studenten – und werden in verantwortungsvollen Forschungseinrichtungen durch Verhaltensexperimente ergänzt, um die kleine Zahl der Untersuchungen in den Kernspintomographen auszugleichen.

Die Ergebnisse der Hirnforschung werden aus der Sicht der Neuroökonomen im Bereich von Politik und Wirtschaft noch viel zu wenig beachtet. Große Verhaltensexperimente in Betrieben zu bestimmten Fragestellungen können gute Antworten geben, und einer der führenden Wissenschaftler auf diesem Gebiet ist Shlomo Benartzi, der mit seinem Buch „Save More Tomorrow“ aufzeigt, wie groß die Bedeutung für die Wirtschaft sein könnte.

In einem Großbetrieb wurde ein Feldexperiment gemacht, bei dem die Frage beantwortet werden sollte, ob es aufgrund neurobiologischer Möglichkeiten eine bessere Motivationslage gibt, Menschen dazu zu bewegen, mehr für ihre Altersversorgung zurückzulegen. Er nahm eine Gruppe von Angestellten und Arbeitern, die weniger als fünf Prozent ihres Einkommens für die Altersversorgung zurücklegten. Er bot ihnen an, dass eine Einzahlung in ein Altersversorgungswerk erst in einem Jahr beginnen soll (aus neurobiologischer Sicht ist ein Jahr ganz weit weg); diese Einzahlung sei jederzeit kündbar (Ängste werden hier nicht geweckt, jahrelange Verpflichtungen zu machen); und die Einzahlung beginne immer nur dann, wenn eine Lohnerhöhung stattfinde und nehme lediglich einen Teil dieser Lohnerhöhung für die Altersversorgung (die Lohnerhöhung macht unabhängig von der Höhe eine Aktivierung des Belohnungssystems, diese fällt gleich aus, ob mehr oder weniger auftritt).

Mit diesen sehr einfach umgesetzten Regeln aus neurobiologischen und verhaltensökonomischen Experimenten gelang es im Feldversuch, die Gruppe mit zunächst weniger als fünf Prozent Alterssparrate auf über zehn Prozent Alterssparrate zu bringen. Andere Mitarbeiter des Betriebes, die nicht an diesem Experiment teilnahmen, wurden dadurch ebenfalls motiviert, ihre Altersrücklagen zu erhöhen. Dieser einfache Feldversuch zeigt, dass eine sinnvolle Umsetzung neuroökonomischer Erkenntnisse in den Alltag und in die Wirtschaft wahrscheinlich positive Auswirkungen auch im Sinne einer ethischen Wirtschaft hätten.

Die Gier könnte man unter dem Gesichtspunkt betrachten, dass sie ein unter Umständen sinnvolles archaisches Verhalten ist, die in unserer Kultur jedoch gehemmt und kontrolliert wird. Ein gieriger Banker wäre damit ein Kulturbanause – was er sicher nicht sein will.

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Mesolimbisches System

Mesolimbisches System/-/mesolimbic pathway

Ein System aus Neuronen, die Dopamin als Botenstoff verwenden und das entscheidend an der Entstehung positiver Gefühle beteiligt ist. Die Zellkörper liegen im unteren Tegmentums und ziehen unter anderem in die Amygdala, den Hippocampus und – besonders wichtig – den Nucleus accumbens, wo sie ihre Endköpfchen haben.

Präfrontaler Cortex

Präfrontaler Cortex/-/prefrontal cortex

Der vordere Teil des Frontallappens, kurz PFC ist ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC gilt als Sitz der exekutiven Funktionen (die das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt steuern) und des Arbeitsgedächtnisses. Auch spielt er bei der Bewertung des Schmerzreizes eine entscheidende Rolle.

Dopamin

Dopamin/-/dopamine

Dopamin ist ein wichtiger Botenstoff des zentralen Nervensystems, der in die Gruppe der Catecholamine gehört. Es spielt eine Rolle bei Motorik, Motivation, Emotion und kognitiven Prozessen. Störungen in der Funktion dieses Transmitters spielen eine Rolle bei vielen Erkrankungen des Gehirns, wie Schizophrenie, Depression, Parkinsonsche Krankheit, oder Substanzabhängigkeit.

Neuroökonomie

Neuroökonomie/-/neuroeconomics

Bezeichnung für ein Forschungsfeld an der Schnittstelle zwischen Neurowissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Psychoogie. Übergeordnetes Ziel der Neuroökonomie ist zu verstehen, wie Menschen ökonomische Entscheidungen treffen. Dazu untersuchen Neuroökonomen, was in der Entscheidungsfindung im Gehirn passiert. Zu diesem Zweck greifen sie häufig auf Versuchsanordnungen aus der Spieltheorie zurück, bei denen es meist um den Gewinn oder Verlust von Geld geht. Die Gehirne ihrer Probanden untersuchen sie vor allem mit bildgebenden Vefahren. Die Neuroökonomie ist ein sehr junger Forschungszweig, der auf großes gesellschaftliches Interesse stößt.

Dieser Artikel erschien erstmals am 16.07.2014 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Teil der Vortragsreihe „Hirnforschung, was kannst du? — Potenziale und Grenzen“ von Gemeinnütziger Hertie-​Stiftung und FAZ.

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