Welt der Doppelgänger

Grafikerin: Meike Ufer
Welt der Doppelgänger
Autor: Leonie Seng

Menschen mit Capgras-​Syndrom glauben, ihnen nahestehende Personen seien durch Doppelgänger ersetzt worden. Hirnforscher können erklären, wie es zu der unheimlichen Störung kommt.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Hans J. Markowitsch

Veröffentlicht: 21.09.2017

Niveau: mittel

Das Wichtigste in Kürze
  • Menschen mit Capgras glauben, eine oder mehrere nahestehende Personen seien durch Doppelgänger ersetzt worden.
  • Capgras-Patienten erkennen zwar die Gesichter, aber die dazugehörige Emotion fehlt.
  • Forscher vermuten, dass bei den Patienten der emotionale Aspekt bei der Gesichtserkennung gestört ist, etwa durch eine Hirnschädigung nach einem Unfall.
  • Demnach könnte die visuelle Information im visuellen Cortex verarbeitet, aber von dort aus nicht zum limbischen System und damit zur Amygdala weitergeleitet werden.
  • Das Capgras-Syndrom ist häufig verbunden mit psychischen Störungen wie Schizophrenie und Wahnvorstellungen oder mit neurodegenerativen Krankheiten wie Demenz und Alzheimer.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.

Capgras-Syndrom

Doppelgängerillusion/-/Capgras syndrome

Wahrnehmungsstörung, in der nahestehende Verwandte – z. B. Eltern oder Kinder – als „nicht echt“ erlebt werden. Die Patienten nehmen oft an, sie seien durch Doppelgänger oder Roboter ersetzt worden.

Neurodegeneration

Neurodegeneration/-/neurodegeneration

Sammelbegriff für Krankheiten, in deren Verlauf Nervenzellen sukzessive ihre Struktur oder Funktion verlieren, bis sie teilweise sogar daran zugrunde gehen. Vielfach sind falsch gefaltete Proteine der Auslöser – wie etwa bestimmte Formen der Eiweiße Beta-​Amyloid und Tau im Falle von Alzheimer. Bei anderen Krankheiten, beispielsweise bei Parkinson oder Chorea Huntington, werden Proteine innerhalb der Neurone nicht richtig abgebaut. In der Folge lagern sich dort toxische Aggregate ab, was zu den jeweiligen Krankheitserscheinungen führt. Während Chorea Huntington eindeutig genetisch bedingt ist, scheint es bei Parkinson und Alzheimer allenfalls bestimmte Ausprägungsformen von Genen zu geben, welche ihre Entstehung begünstigen. Keine dieser neurodegenerativen Erkrankungen kann bisher geheilt werden.

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Die Welt der Illusionen

Zu den monothematischen Illusionen gehören neben dem Capgras-Syndrom auch das Cotard-Syndrom, das Fregoli-Syndrom und eine Reihe weiterer Störungen. Menschen mit Cotard-Syndrom haben nicht nur das Gefühl gegenüber bestimmten Personen verloren, sondern Gefühle generell. Da sie keine Reaktion auf Stimuli mehr zeigen, glauben sie selbst, emotional abgestorben zu sein, ihre Seele verloren zu haben oder im Extremfall sogar tot zu sein. Das Fregoli-Syndrom könnte als Gegenstück zum Capgras-Syndrom bezeichnet werden. Patienten glauben, in wildfremden Menschen Freunde oder Bekannte zu entdecken. Äußerlich habe sich die andere Person zwar verändert, jedoch nicht gut genug, um nicht doch wiedererkannt zu werden. Unter den Oberbegriff der reduplikativen Störungen werden Störungen gefasst, bei denen Menschen glauben, dass es von einem Lebewesen oder einer Sache mehrere Varianten gibt. Betroffene sind davon überzeugt, dass ein Ort, ein Gebäude oder ein Raum mehrfach existiert.

Capgras-Syndrom

Doppelgängerillusion/-/Capgras syndrome

Wahrnehmungsstörung, in der nahestehende Verwandte – z. B. Eltern oder Kinder – als „nicht echt“ erlebt werden. Die Patienten nehmen oft an, sie seien durch Doppelgänger oder Roboter ersetzt worden.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Emotionsmessung an der Haut

Um herauszufinden, was Capgras-Patienten tatsächlich empfinden, haben Hadyn Ellis und Michael Lewis von der Cardiff University in Wales ein Verfahren verwendet, auf dem auch Lügendetektortests basieren. Sie maßen den Hautwiderstand von Betroffenen, während diese Gesichter von bekannten Personen betrachteten. Freude, Angst und andere Emotionen erzeugen eine Veränderung des Hautwiderstands, was sich auf das autonome Nervensystem auswirkt. Dieses wiederum steuert die Hautgefäße und Schweißdrüsen. Wenn die Schweißproduktion ansteigt, zeigt sich das in der Veränderung des elektrischen Widerstands der Haut. Im Gegensatz zu gesunden Probanden bleibt der Hautwiderstand bei Patienten mit Capgras-Syndrom unverändert, wenn sie das Gesicht einer bekannten Person betrachten. Obwohl sie die Gesichter zwar erkennen, löst der Anblick offenbar keine emotionale Reaktion aus.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Autonomes Nervensystem

Autonomes Nervensystem/-/autonomous nervous system

Der Teil des Nervensystems, der die Vitalfunktionen – wie Atmung, Herzschlag, Blutdruck – steuert. Unterteilt wird das autonome Nervensystem in einen sympathischen, anregenden, und einen parasympathischen, entspannenden Bereich.

Capgras-Syndrom

Doppelgängerillusion/-/Capgras syndrome

Wahrnehmungsstörung, in der nahestehende Verwandte – z. B. Eltern oder Kinder – als „nicht echt“ erlebt werden. Die Patienten nehmen oft an, sie seien durch Doppelgänger oder Roboter ersetzt worden.

Madame M. heiratet im Jahr 1898 im Alter von 29 Jahren. Viele ihrer Kinder sterben in den folgenden Jahren jung an Krankheit oder Unterernährung. In dieser Zeit stellt ihr Mann fest, dass seine Frau plötzlich sehr nervös ist. Bis auf exzessiven Kaffeegenuss, sagt er, sei sie bis dato aber ganz normal gewesen. Kurz darauf erklärt Madame M. ihrem Ehemann, er sei nicht ihr wirklicher Gatte, sondern ein Doppelgänger. Nach und nach deklariert die junge Frau auch die anderen Mieter im Haus, den Hausmeister, ihre Kinder und schließlich sogar sich selbst zu Duplikaten – die Originale seien entführt worden. Am 3. Juni 1918 meldet Madame M. beim Kommissariat in Paris mehrere Raubfälle von bekannten Personen in ihrer Umgebung. Einen Tag später wird sie in die psychiatrische Klinik Saint Anne in Paris eingewiesen. Fünf Jahre später diagnostiziert der Psychiater Joseph Capgras bei ihr ein Syndrom, das im Folgenden nach ihm benannt wird: Das Capgras-Syndrom.

Das Capgras-Syndrom wird auch als Verkennung, Illusion oder im Englischen “delusion” bezeichnet. Patienten mit Capgras-Syndrom gelten als “delusioniert”, da sie vehement an dem Glauben festhalten, dass eine oder mehrere ihnen nahestehende Personen durch Doppelgänger ersetzt worden sind. Diese Überzeugung vertreten sie selbst dann, wenn es offensichtliche Beweise des Gegenteils gibt. Da der Irrglaube das einzige Symptom der Capgras-Delusion ist, wird sie zu den monothematischen Illusionen gezählt (siehe Info-Box).

Capgras-Syndrom

Doppelgängerillusion/-/Capgras syndrome

Wahrnehmungsstörung, in der nahestehende Verwandte – z. B. Eltern oder Kinder – als „nicht echt“ erlebt werden. Die Patienten nehmen oft an, sie seien durch Doppelgänger oder Roboter ersetzt worden.

Von Feinden verfolgt

Im Gegensatz zu anderen Illusionen gelten monothematische als besonders beständig. Meist treten sie in Verbindung mit Demenz-Krankheiten wie Alzheimer, nach Schlaganfällen, Hirnblutungen oder anderen Verletzungen des Gehirns auf. Häufig werden sie begleitet von psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, die unter anderem mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen verbunden ist. Madame M. fühlte sich beispielsweise permanent von Feinden verfolgt, die angeblich ihre Angehörigen gestohlen hatten und sie selbst vergiften wollten.

Andere Erfahrungsberichte zeugen von einem Fremdheitsgefühl dieser Menschen: Alles um sie herum sehe komisch aus, wie gemalt oder unnatürlich und Gesichter erschienen oft wie Masken oder Wachsmodelle. Offensichtlich tritt das Syndrom meist in Zusammenhang mit dem Sehsinn auf. Sobald die Patienten mit ihren Angehörigen telefonieren, sei ihre Wahrnehmung plötzlich meist normal, erklären Wissenschaftler. Studien, etwa von Lucia Gallego vom Instituto de Psiquiatria y Salud Mental des Hospital Clinico San Carlos in Madrid aus dem Jahr 2011 belegen jedoch, dass Capgras auch bei Menschen entstehen kann, deren Verwandte weit entfernt wohnen und die sich nur am Telefon begegnen.

Wahrnehmung

Wahrnehmung/Perceptio/perception

Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.

Das Spiegelbild der Prosopagnosie

Zunächst glaubten viele Forscher, das seltene Syndrom begründe auf Prosopagnosie – der generellen Unfähigkeit, Gesichter bewusst zu erkennen. Ursache dieser Störung ist eine Verletzung des Gyrus fusiformis im Schläfenlappen, dem für die Gesichtserkennung zuständigen Areal. “Ist dieses Areal geschädigt, erkennt man unter Umständen nicht einmal sich selbst im Spiegel”, sagt der Hirnforscher Vilayanur Ramachandran, Direktor des Center for Brain and Cognition der University of California, San Diego. Patienten mit Prosopagnosie leugnen beispielsweise, das Gesicht eines engen Freundes schon einmal gesehen zu haben, zeigen aber gleichzeitig eine emotionale Reaktion, die dem widerspricht. Bei Menschen mit dem Capgras-Syndrom verhält es sich jedoch genau umgekehrt: Sie erkennen ihre Nächsten durchaus – zeigen aber keine emotionale Reaktion, wie sich am Hautwiderstand der Menschen messen lässt (siehe Info-Box).

Die britischen Psychologen Andrew Young von der University of York und der inzwischen verstorbene Hadyn Ellis von der Cardiff University schlugen daher in den 1990er Jahren vor, das Capgras-Syndrom als eine Art Spiegelbild der Prosopagnosie zu sehen. Sie folgen einer Theorie, die zwei Pfade der visuellen Verarbeitung im Gehirn beschreibt: Der ventrale Pfad wird für die bewusste Gesichtserkennung gebraucht und ist normalerweise bei Patienten mit Prosopagnosie beschädigt. Er verläuft vom visuellen Cortex zu den Temporallappen. Die dorsale Route zieht vom visuellen Cortex über den inferioren Parietallappen zum limbischen System und zur Amygdala – dort gewinnt das Gesicht seine emotionale Bedeutung.

“Diese Struktur bewertet die Bedeutung dessen, was man sieht: Ist es Beute, ist es ein Fressfeind, ist es ein möglicher Sexualpartner, oder etwas ganz Triviales, dem man keine Beachtung schenken muss”, erklärt auch Ramachandran. Dieser dorsale Pfad sei bei Capgras-Patienten gestört, sodass sie zwar noch ein wahrheitsgemäßes Abbild eines Gesichts mit allen angemessenen Bedeutungen bekommen, allerdings fehle ihnen ein wichtiges Set an Informationen, welches eine emotionale Bewertung des Eindrucks ermögliche. Ramachandran erklärt, ein Betroffener sehe deshalb zwar beispielsweise seine Mutter, könne dieses Bild aber nicht mit den üblichen Gefühlen für sie in Verbindung bringen: “Er sagt dann: Weil ich nichts für sie empfinde, kann das nicht meine Mutter sein, sondern eine merkwürdige Frau, die so tut, als wäre sie meine Mutter.”

Gyrus fusiformis

Gyrus fusiformis/Gyrus fusiformis/fusiforme gyrus

Der Gyrus fusiformis liegt im inferioren, also inneren Temporallappen und spielt eine wichtige Rolle bei der Erkennung von Objekten. Im rechten Gyrus fusiformis wird die Gesichtserkennung vermutet, weshalb diese Struktur auch als fusiformes Gesichtsareal bezeichnet wird.

Capgras-Syndrom

Doppelgängerillusion/-/Capgras syndrome

Wahrnehmungsstörung, in der nahestehende Verwandte – z. B. Eltern oder Kinder – als „nicht echt“ erlebt werden. Die Patienten nehmen oft an, sie seien durch Doppelgänger oder Roboter ersetzt worden.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Temporallappen

Temporallappen/Lobus temporalis/temporal lobe

Der Temporallappen ist einer der vier großen Lappen des Großhirns. Auf Höhe der Ohren gelegen erfüllt er zahlreiche Aufgaben – zum Temporallappen gehören der auditive Cortex genauso wie der Hippocampus und das Wernicke-​Sprachzentrum.

dorsal

dorsal/-/dorsal

Die Lagebezeichnung dorsal bedeutet „zum Rücken hin“ gelegen. Im Bezug auf das Nervensystem handelt es sich um eine Richtung senkrecht zur neuralen Achse, also nach oben zum Kopf oder nach hinten.
Bei Tieren ohne aufrechten Gang ist die Bezeichnung einfacher, dort bedeutet sie immer zum Rücken hin. Durch den aufrechten Gang des Menschen knickt das Gehirn im Bezug auf das Rückenmark ab, wodurch dorsal zu „oben“ wird.

Parietallappen

Parietallappen/Lobus parietalis/parietal lobe

Wird auch Scheitellappen genannt und ist einer der vier großen Lappen der Großhirnrinde. Er liegt hinter dem Frontal– und oberhalb des Occipitallappens. In seinem vorderen Bereich finden somatosensorische Prozesse statt, im hinteren werden sensorische Informationen integriert, wodurch eine Handhabung von Objekten und die Orientierung im Raum ermöglicht werden.

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.

Menschen ohne Seele

Carol Berman, Psychiaterin am New York University Medical Center, erklärt, dass Patienten durchaus erkennen, dass ihnen nahestehende Personen noch genauso handeln und aussehen, wie sie es gewohnt sind, es sei aber, als ob die Menschen ihre Seele verloren hätten. Obschon dieser Illusion häufig eine Gehirnverletzung zugrunde liegt, wird noch diskutiert, ob auch andere Ursachen eine Rolle spielen könnten. So betont etwa Michael Lewis, der mit Hadyn Ellis am Capgras-Syndrom forschte: “Es handelt sich um einen Fehler der Informationsübertragung von einem Ort im Gehirn zu einem anderen. Der Grund dafür kann eine Gehirnverletzung sein, aber genauso könnte die Verteilung der Neurotransmitter für den gehemmten Informationsfluss verantwortlich sein - zum Beispiel aufgrund eines chemischen Ungleichgewichts.”

Doch auch psychische Ursachen werden noch immer diskutiert. Denn Betroffene mit Capgras-Syndrom erklären nicht willkürlich jeden zum Doppelgänger, sondern meist Personen, mit denen sie emotional stark positiv oder negativ verbunden sind. Daher vermuten Experten wie Berman, dass bereits ein gestörtes Verhältnis zwischen Patient und der vertrauten Person vorausgegangen sein könnte. Die Erklärung zum Doppelgänger ermögliche den Patienten, Abstand zu der Beziehung zu nehmen und das Problem zu lösen, indem geleugnet wird, dass es sich um die echte Person handle. Auch psychiatrische Erkrankungen könnten ein Auslöser sein. So wird derzeit diskutiert, ob Madam M., die Capgras damals untersuchte, nicht eigentlich an einer weiterreichenden psychiatrischen Störung gelitten habe.

Wie genau das Capgras-Syndrom entsteht, muss noch weiter erforscht werden. Forscher wie Haydn Ellis sehen darin letztlich jedoch nichts anderes als eine Rationalisierungsstrategie. Aus der richtigen Beurteilung der visuellen Information – “Das ist meine Mutter” – und der mangelnden emotionalen Bestätigung – “Es fühlt sich nicht an, als wäre es meine Mutter” – entsteht ein Widerspruch, den das Gehirn auszugleichen und logisch darzustellen versucht. Man könnte das Capgras-Syndrom darum auch als Schutzmechanismus des Gehirns deuten, das versucht, die Differenz von Gedächtnis und Erleben wieder in Einklang zu bringen.

Capgras-Syndrom

Doppelgängerillusion/-/Capgras syndrome

Wahrnehmungsstörung, in der nahestehende Verwandte – z. B. Eltern oder Kinder – als „nicht echt“ erlebt werden. Die Patienten nehmen oft an, sie seien durch Doppelgänger oder Roboter ersetzt worden.

Neurotransmitter

Neurotransmitter/-/neurotransmitter

Ein Neurotransmitter ist ein chemischer Botenstoff, eine Mittlersubstanz. An den Orten der Zell-​Zellkommunikation wird er vom Senderneuron ausgeschüttet und wirkt auf das Empfängerneuron erregend oder hemmend.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

zum Weiterlesen:

  • Madoz-​Gurpide, A. et al.: Capgras delusion: a review of aetiological theories. Revista de neurologia. 2010; 50(7):420– 430 (zum Abstract).
  • Sinkman, A.: The syndrome of Capgras. Psychiatry. 2008; 71:371 – 378 (zum Abstract).

Veröffentlichung: am 28.02.2012
Aktualisierung: am 21.09.2017

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One comment

Leonie Seng 20.01.2017
Vermutlich wäre ich heute mit den Formulierungen vorsichtiger. Ich denke, dasselbe, was unter leidmedien.de für Behinderte gefordert wird, gilt auch für die Berichterstattung über (psychisch oder anderweitig) Kranke.

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