Frage an das Gehirn
Ab wann ist die Gehirnaktivität bei Ungeborenen messbar?
Veröffentlicht: 16.02.2020
Dass das Gehirn bereits im Mutterleib aktiv ist, gehört schon fast zum Allgemeinwissen. Doch ab wann ist die Gehirnaktivität messbar, fragt Deniz Jenke.
Die Antwort der Redaktion lautet:
Antwort von Prof. Dr. Hubert Preißl, Wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für fetale Magnetenzephalographie der Universität Tübingen und des Helmholtz Zentrums München: Die Gehirnentwicklung beginnt in der dritten Schwangerschaftswoche. Erste körperliche Reflexe bilden sich schon ab der sechsten Schwangerschaftswoche aus, diese werden aber vor allem im Hirnstamm kontrolliert, also an der Schnittstelle zwischen dem übrigen Gehirn und dem Rückenmark. Der Hirnstamm ist zum Beispiel für die Steuerung der Herzfrequenz, des Blutdrucks und der Atmung zuständig sowie für Reflexe wie Schlucken oder Husten. Um diese ersten Gehirnaktivitäten zu messen, gibt es im Humanbereich meines Wissens jedoch bislang keine Methoden.
Messbar sind Gehirnaktivitäten erst zwischen der 20. bis 24. Schwangerschaftswoche, wenn sich die Grundstruktur des Gehirns mit dem Thalamus und seinen Verbindungen zum Großhirn bereits relativ weit entwickelt hat. Gehirnaktivitäten, die hauptsächlich in der Großhirnrinde entstehen, können mit der Methode des fetalen Magnetenzephalogramm (fMEG) nicht-invasiv erfasst werden. Das weltweit zweite Messgerät für diese Methode habe ich gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern der Universität Tübingen in Kooperation mit der Universität in Little Rocks (Arkansas, USA), entwickelt. Dort steht der Prototyp. In Tübingen arbeiten wir seit 2008 mit dieser Methode.
Die Mutter lehnt sich für die Untersuchung kniend auf das Gerät, Sensoren an ihrer Bauchoberfläche erfassen kleinste Magnetfelder. Das ist notwendig, weil sich die Magnetfelder, die durch Gehirnaktivitäten des Fötus entstehen, durch eine Isolationsschicht um ihn herum kaum ausbreiten können. Sie lassen sich deshalb sehr schwer erfassen. Da auch der Körper der Mutter Magnetfelder erzeugt, müssen wir außerdem nachweisen, dass es sich bei den gemessenen Feldern tatsächlich um Gehirnsignale des Fötus handelt. Eine 3D-Ultraschalluntersuchung, die den Kopf des Fötus isoliert darstellt, prüft daher, ob die Signale dort lokalisiert sind.
Wir haben mithilfe dieser Methode untersucht, wie das Gehirn auf externe Reize reagiert, etwa auf Töne. Über einen auf dem Bauch der Mutter platzierten Ballon haben wir mehrmals Töne produziert und im Zusammenhang mit diesem Geräusch auftretende Magnetfelder gemessen. Wir konnten dabei eine spezifische Reaktionszeit des fetalen Gehirns auf die Töne feststellen. Diese verändert sich mit dem Verlauf der Schwangerschaft. Je fortgeschrittener sie ist, desto schneller folgt die Reaktion. Ab der 30. Schwangerschaftswoche reagieren Föten außerdem unterschiedlich auf Reize, die ihnen oft vorgespielt werden,und auf solche, die sie selten wahrnehmen (Mismatch-Negativity). Diese Fähigkeit zur Unterscheidung ist wichtig für die Sprachentwicklung.
Aber nicht nur Töne stimulieren das fötale Gehirn, sondern zum Beispiel auch Licht, das durch die Bauchdecke der Mutter hindurchleuchtet. Mit der fMEG-Methode lassen sich auch höhere kognitive Leistungen wie das Wiedererkennen der mütterlichen Stimme untersuchen. Und dank dieser Methode gibt es sogar erste Hinweise darauf, dass bereits Föten ein Langzeitgedächtnis besitzen.
Neben unserer Methode des fötalen Magnetenzephalogramm gibt es eine weitere Möglichkeit, Hirnaktivitäten von Föten zu messen: die funktionale Magnetresonanztomographie (fMRT). Sie liefert ein Bild der Gehirnaktivität und erfasst die hämodynamische Antwort, also den Blutfluss in den Blutgefäßen als Reaktion auf Reize. Wird ein Gehirnbereich aktiviert, braucht er mehr Sauerstoff, der übers Blut dorthin transportiert wird. Erste Untersuchungen gab es in den 2000er-Jahren. Die Methode hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt, weil festgestellt wurde, dass auch sie keine negativen Auswirkungen auf den Fötus hat.
Aufgezeichnet von Natalie Steinmann
Hirnstamm
Hirnstamm/Truncus cerebri/brainstem
Der „Stamm“ des Gehirns, an dem alle anderen Gehirnstrukturen sozusagen „aufgehängt“ sind. Er umfasst – von unten nach oben – die Medulla oblongata, die Pons und das Mesencephalon. Nach unten geht er in das Rückenmark über.
Rückenmark
Rückenmark/Medulla spinalis/spinal cord
Das Rückenmark ist der Teil des zentralen Nervensystems, das in der Wirbelsäule liegt. Es verfügt sowohl über die weiße Substanz der Nervenfasern, als auch über die graue Substanz der Zellkerne. Einfache Reflexe wie der Kniesehnenreflex werden bereits hier verarbeitet, da sensorische und motorische Neuronen direkt verschaltet sind. Das Rückenmark wird in Zervikal-, Thorakal-, Lumbal und Sakralmark unterteilt.
Thalamus dorsalis
Thalamus dorsalis/Thalamus dorsalis/thalamus
Der Thalamus ist die größte Struktur des Zwischenhirns und ist oberhalb des Hypothalamus gelegen. Der Thalamus gilt als „Tor zum Bewusstsein“, da seine Kerne Durchgangstation für sämtliche Information an den Cortex (Großhirnrinde) sind. Gleichzeitig erhalten sie auch viele kortikale Eingänge. Die Kerne des Thalamus werden zu Gruppen zusammengefasst.
Großhirn
Großhirn/Telencephalon/cerebrum
Das Großhirn umfasst die Großhirnrinde, (graue Substanz), die Nervenfasern (weiße Substanz) und die Basalganglien. Es ist der größte Teil des Gehirns. Die Rinde kann in vier Rindenfelder unterteilt werden: Temporallappen, Frontallappen, Okzipitallappen und Parietallappen.
Seine Aufgaben sind die Koordination von Wahrnehmung, Motivation, Lernen und Denken.
Langzeitgedächtnis
Langzeitgedächtnis/-/long-term memory
Ein relativ stabiles Gedächtnis über Ereignisse, die in der etwas entfernteren Vergangenheit passiert sind. Im Langzeitgedächtnis werden Inhalte zeitlich nahezu unbegrenzt gespeichert. Unterschiedliche Gedächtnisinhalte liegen in unterschiedlichen Gehirn-Arealen. Die zelluläre Grundlage für diese Lernprozesse beruht auf einer verbesserten Kommunikation zwischen zwei Zellen und wird Langzeitpotentierung genannt.
Magnetresonanztomographie
Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging
Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.