Question to the brain

Denken Asiaten anders als beispielsweise Europäer?

Questioner: Anonym

Published: 18.08.2016

Westen und Osten sind auf viele Weisen verschieden – betrifft das auch das Denken?

The editor's reply is:

Professor Georg Northoff, Neuropsychiater am Institute of Mental Health Research der University of Ottawa, Kanada: Diese Fragen kann man grundsätzlich mit “Ja” beantworten. Tatsächlich beobachten wir große Unterschiede zwischen westlicher und fernöstlicher Denkweise. Das zeigte zum Beispiel ganz deutlich eine Studie, die der US-​amerikanische Psychologe Richard E. Nisbett und sein japanischer Kollege Takahiko Masuda im Jahr 2006 veröffentlichten. Die Wissenschaftler zeigten japanischen und amerikanischen Versuchspersonen Videoclips mit Unterwasserszenen aus einem Aquarium und baten sie anschließend, diese zu beschreiben. Während die US-​Probanden vor allem vom größten Fisch im Becken berichteten, die Umgebung jedoch vernachlässigten, widmeten sich die Japaner sehr detailliert dem Gesamtbild aus Pflanzen, Steinen und der Vielzahl verschiedener Lebewesen. Dem “Big Fish” maßen sie hingegen wenig Bedeutung bei.

Dieses Beispiel ist sehr typisch: Menschen aus westlichen Kulturen denken eher inhaltsorientiert und konzentrieren sich auf herausstechende Informationen, während in fernöstlichen Kulturen der Kontext im Vordergrund steht. Nach meiner persönlichen Erfahrung gibt es dabei eine Art Kontinuum. Bereits bei Europäern ist das inhaltssorientierte Denken weniger extrem ausgeprägt, und je weiter man nach Osten reist, desto mehr gewinnt der Kontext an Bedeutung. Dies wird am deutlichsten in fernöstlichen Ländern wie Japan, China und Korea.

Ähnliches beobachten wir auch bei der Wahrnehmung des Selbst: Auch hier sind die gegensätzlichen Konzepte in den USA beziehungsweise in Japan am stärksten ausgeprägt. Nirgendwo steht das unabhängige Selbst, das Individuum, so sehr im Vordergrund wie in den USA. Vermutlich gibt es in keinem Land so viel Literatur darüber, wie man seine eigene Persönlichkeit stärken und seine Individualität gegenüber anderen abgrenzen kann. Das ist in Europa zwar auch ein großes Thema, steht aber nicht ganz so im Vordergrund. Trotzdem empfinden Menschen im nahen Osten die Europäer als äußerst ich-​bezogen. In Japan hingegen wäre dieser Trend völlig undenkbar. Dort herrscht das Konzept des abhängigen Selbst vor: Der Einzelne definiert sich nicht als Individuum sondern über sein Beziehungssystem – sowohl privat als auch beruflich. Eine Abgrenzung der eigenen Persönlichkeit gegenüber der Gesellschaft wäre dort undenkbar.

All diese Unterschiede im Denken machen sich auch auch im Gehirn bemerkbar. So zeigen bildgebende Verfahren, dass – um bei den Extrembeispielen zu bleiben – in den Gehirnen von US-​Amerikanern bei Denkprozessen vor allem die Zentren aktiv sind, die Inhalte verarbeiten. Diese spielen im Gehirn von Japanern zwar ebenfalls eine Rolle, doch sind sie stark eingebunden in Netzwerke, die den Kontext verarbeiten und so alles miteinander in Relation setzen.

Man darf jetzt allerdings nicht den Fehler machen zu glauben, Asiaten hätten von Geburt an ein anderes Gehirn als Amerikaner oder Europäer. Das Gehirn empfängt Signale aus der Umwelt, reagiert auf sie. Dadurch wird es geprägt, denn neuronale Netzwerke entstehen durch den Input von außen. Die neuronalen Netze wiederum steuern wie der einzelne agiert – was sich auf die Umgebung auswirkt. So beeinflussen sich das Gehirn beziehungsweise das Denken und die Kultur letztlich gegenseitig.

Aufgezeichnet von Stefanie Reinman

Wahrnehmung

Wahrnehmung/Perceptio/perception

Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.

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