Question to the brain
Erinnerungen an die Zeit als Baby?
Published: 19.03.2017
Kann man sich wirklich an Dinge zurückerinnern, die einem als Baby passiert sind?
The editor's reply is:
Antwort von Dr. Markus Werkle-Bergner , Entwicklungspsychologe und Senior Researcher am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin: Das ist vielleicht nicht unmöglich, es ist nur äußert unwahrscheinlich. Erinnerungen sind das Ergebnis von Lernen. Heute gehen Forscher davon aus, dass Babys im Alter von ein paar Monaten Erinnerungen bilden. Sie können auf Erlerntes mit neuem Verhalten reagieren. Dies zeigt an, dass erfolgreiches Lernen stattgefunden hat und Erinnerungen im Gedächtnis angelegt wurden. Wie sich Babys genau erinnern, wissen wir jedoch nicht.
Bevor wir uns also an etwas erinnern können, lernen wir. Durch elektrochemische Prozesse werden Übergänge an Synapsen – also an den Stellen, die zwei Neurone miteinander verbinden – verändert. Die Übertragungswahrscheinlichkeit von Informationen an Synapsen wird dabei gestärkt oder z.B. beim Extinktionslernen, reduziert. Ebenso können neue Verbindungen zwischen Neuronen gebildet oder neue Neurone in existierende Netzwerke integriert werden. Durch diese Prozesse werden Gedächtnisrepräsentationen im Gehirn langfristig abgelegt. Zu solchen Lernprozessen ist ein Baby direkt nach der Geburt fähig.
Aber wie rufen wir Erinnerungen ab? Daran arbeiten Wissenschaftler intensiv. Die gängigste Arbeitshypothese ist, dass Erinnerungen im Gehirn verteilt abgelegt sind. Das heißt, verschiedene Areale verarbeiten verschiedene Teile der erinnerten Information. Um eine Erinnerung erfolgreich zu reaktiveren, müssen all diese Bestandteile in ein gemeinsames Aktivitätsmuster überführt werden. Das funktioniert wahrscheinlich über das Zusammenspiel von präfrontalem Cortex und Hippocampus. Der Medio-Temporallappen bzw. der Hippocampus ist von seiner Struktur her ideal geeignet, um Informationen aus verschiedenen Arealen miteinander zu verknüpfen. Der präfrontale Cortex ist sehr häufig an Steuerungsfunktionen beteiligt; seine vollständige Entwicklung kann bis in die späten Teenagerjahre anhalten.
Doch warum erscheint es extrem unwahrscheinlich, dass wir uns an unsere Babyzeit zurückerinnern?
Zum einen ändert sich die Art und Weise, wie auf Erinnerungen zugegriffen wird vom Baby- bis ins Erwachsenenalter. Die Gründe dafür liegen in den Veränderungen der Gehirnstruktur und dem Erwerb von Sprache, über die Erinnerungen abgerufen und weitergegeben werden können.
Zum anderen generieren wir im Laufe unseres Lebens sehr viele neue Erinnerungen. Das führt zu Interferenz, also zur Störung während des Abrufs ähnlicher Erinnerungen. Je mehr Gedächtnisspuren im Laufe des Lebens gebildet werden, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass alte Einträge „überschrieben“ werden oder mit anderen in Konflikt treten. Auch Erwachsene sind nicht in der Lage, alle Dinge exakt wiederzugeben, die zwei Jahre zurückliegen. Noch schwerer wäre das zu sagen für den Blick ins eigene Babyalter.
Und letztlich ist Gedächtnis immer konstruktiv. Es ist sehr schwierig zu sagen, wann wir uns tatsächlich im exakten Detail an etwas erinnern – vor allem bei Dingen, die sehr weit zurückliegen. Dinge, die in dieser Form nicht wirklich passiert sind, – die also objektiv betrachtet falsche Erinnerungen sind –, können für einen selbst zu einer wahren Erinnerung werden, wenn man sie sich lange genug erzählt. Auch mit modernen bildgebenden Verfahren können wir oft nicht unterscheiden, ob eine Erinnerung wahr oder falsch ist. Im Endeffekt bleibt eine mögliche Erinnerung an sehr frühe Jahre – auch für uns selbst – immer Spekulation.
Aufgezeichnet von Martina Gauder
Gedächtnis
Gedächtnis/-/memory
Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.
Synapse
Synapse/-/synapse
Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Hippocampus
Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio
Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-CA4.
Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.
Präfrontaler Cortex
Präfrontaler Cortex/-/prefrontal cortex
Der vordere Teil des Frontallappens, kurz PFC ist ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC gilt als Sitz der exekutiven Funktionen (die das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt steuern) und des Arbeitsgedächtnisses. Auch spielt er bei der Bewertung des Schmerzreizes eine entscheidende Rolle.