Frage an das Gehirn

Gibt es überhaupt Bewusstsein ohne Unterbewusstsein?

Fragesteller/in: Gabriella

Veröffentlicht: 27.02.2016

Kann Bewusstsein ohne Unterbewusstsein funktionieren? Mir ist aufgefallen, dass das Unterbewusstsein oft außer Acht gelassen wird, wenn man über das Bewusstsein spricht.

Die Antwort der Redaktion lautet:

John-​Dylan Haynes, Bernstein Center for Computational Neurosciences, Berlin: Nur ein sehr kleiner Teil der Prozesse im Gehirn ist bewusst, allerdings gibt es kein seriöses wissenschaftliches Verfahren, mit dem man eine Prozentzahl benennen könnte, welcher Anteil unserer Hirnprozesse bewusst ist und welcher nicht. Ein komplett bewusster Vorgang ist im menschlichen Gehirn gar nicht denkbar. Viele unbewusste Prozesse können wir uns auch nicht durch besondere Aufmerksamkeit bewusst machen – sie sind für uns nicht erreichbar. Ein künstliches intelligentes System könnte im Gegensatz zum menschlichen Gehirn rein theoretisch alle „Gedanken“ und sämtliche dazugehörigen Hintergrundvorgänge erfassen. Trotzdem wäre nicht klar, ob dieses System ein Bewusstsein hat. Wer ein schwarzes Loch auf einem Computer simuliert, hat schließlich auch keine reale Anziehungskraft erzeugt.

Bewusste Prozesse können mit der Zeit immer weiter automatisiert werden und zunehmend unbewusst stattfinden. Ein Beispiel dafür ist das Autofahren: Ein Fahranfänger muss Lenkrad, Kupplung und alle Schalthebel mühsam bedienen und bewusst darüber nachdenken. Ein geübter Autofahrer macht sich dagegen kaum mehr Gedanken darüber, was er gerade tut. Herauszufinden, ob diese Prozesse wirklich unbewusst sind, ist allerdings sehr schwer. Denn sobald wir einen Menschen während einer Tätigkeit über diese befragen, macht er sich seine Handlungen bewusst. Umgehen Forscher dieses Problem und fragen erst im Nachhinein, wissen die Personen oft nicht mehr, ob sie ihre Tätigkeiten bewusst wahrgenommen haben.

Man kann unbewusste Hirnaktivitäten jedoch mit bildgebenden Verfahren beobachten – zum Beispiel regt sich etwas im Gehirn, wenn Probanden Reize unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle sehen, ihnen also Bilder zum Beispiel nur für Sekundenbruchteile präsentiert werden. Aktivitäten im Gehirn lassen sich auch dann messen, wenn jemand vor eine Entscheidung gestellt wird, sich aber noch nicht bewusst festgelegt hat. Der amerikanische Physiologe Benjamin Libet hat schon in den 1980er-​Jahren unbewusste Gehirnaktivitäten im Vorfeld einer bewussten Entscheidung aufgezeichnet, das so genannte Bereitschaftspotenzial. 2008 hat meine Forschergruppe Libets Experimente fortgeführt und herausgefunden, dass man bereits bis zu sieben Sekunden vor einer bewussten Entscheidung anhand der Hirnaktivität vorhersagen kann, wie sich jemand entscheiden wird. Man kann diese Hirnaktivitäten als unbewussten Vorbereitungsprozess für die Entscheidung interpretieren.

Eine wichtige Frage ist jedoch, ob diese einmal in Gang gesetzte Vorbereitung zwangsläufig zu einer bestimmten Handlung führt – ob also mit dem ersten Anstoß die Entscheidung unaufhaltsam ihren Lauf nimmt, wie eine umfallende Reihe von Dominosteinen. Unsere neue an der Berliner Charité durchgeführte Studie sollte diese Frage beantworten. Dazu haben wir das Bereitschaftspotenzial, das vor einer ausgeführten Bewegung entsteht, mittels EEG in Echtzeit mitverfolgt und beobachtet, ob Probanden eine einmal in Gang gesetzte Vorbereitung zur Bewegung noch stoppen können. Tatsächlich war dies möglich – sie konnten sich entscheiden, die Bewegung abzubrechen. Dies lässt darauf schließen, dass Menschen unbewusst gesetzte Entscheidungen auch sehr kurz vor ihrer praktischen Umsetzung noch bewusst zurücknehmen können. Der Entscheidungsprozess beginnt zwar, aber der Mensch kann ihn willentlich anhalten. Auch an dieser bewussten Entscheidung sind aber wiederum immer unbewusste Prozesse beteiligt. Aus der Umschlingung durch die unbewussten Prozesse kommen wir also nicht heraus.

Aufgezeichnet von Natalie Steinmann

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

EEG

Elektroencephalogramm/-/electroencephalography

Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.

Lizenzbestimmungen

Keine Nutzungslizenz vergeben:
Nur anschauen erlaubt.