Question to the brain
Ist Muskelkater neuronal bedingt?
Published: 07.01.2025
Ich habe gelesen, dass Muskelkater möglicherweise durch neuronale Mikroschäden verursacht wird. Stimmt das?
The editor's reply is:
Dr. Robert Fritz, Medizinischer Leiter des Zentrums für Gesundheit, Sportmedizin, Ernährung, Sportwissenschaften und Trainingstherapie, Sportordination Wien: Das ist möglich, aber wir wissen die Antwort nicht. Die Wissenschaft ist sich noch nicht sicher. Im Verlauf der letzten Jahre hat sich die Theorie zum Muskelkater gravierend geändert. Es gab schon viele Theorien, woher der Muskelkater kommt, die meisten davon sind aber mittlerweile widerlegt. Jetzt gibt es einen neuen spannenden Ansatz, derzeit aber nur sehr wenig wissenschaftliche Evidenz für diese Theorie. Diese ist jedoch nicht ganz aus der Welt gegriffen, und es kann gut sein, dass neuronale Mikroschäden durchaus ein Grund oder zumindest Mitgrund für den Muskelkater sind.
Die ersten Ansätze für die Erklärung des Muskelkaters argumentierten mit einer Übersäuerung des Muskels durch Laktat. Es gab Studien, die zeigten, dass Menschen mit hohen Laktatwerten eher Muskelkater haben. Dann zeigte sich jedoch, dass es auch Menschen ohne hohe Laktatwerte gibt und die trotzdem Muskelkater haben. Andersherum gab es aber auch Menschen mit hohen Laktatwerten jedoch ohne Muskelkater. Damit war der Zusammenhang zwischen Laktatwerten und Muskelkater widerlegt.
Dann gab es Theorien zum Flüssigkeitshaushalt mit Elektrolytverschiebungen. Muskelkater entsteht, da ist man sich mittlerweile einig, aufgrund einer überschießenden mechanischen Belastung, die die Belastungsfähigkeit des Muskels überfordert. Dadurch kommt es zu einem Schädigungsmechanismus.
Da stellt sich nun die große Frage, woher diese Schädigung kommt. Die letzte Theorie, die dazu verfolgt wurde, besagt, dass es zu Mikrotraumata kommt, also zu kleinen Einrissen der Ultrastruktur der Muskulatur, also in den Z-Scheiben. Es kommt eher bei exzentrischen Belastungen, also wenn der Muskel besonders stark gedehnt wird, zu Muskelkater. Da ist man sich heute aber auch nicht mehr sicher, ob das stimmt. Man weiß, dass Muskelkater besonders bei exzentrischen Belastungen auftritt, wie Treppe hinuntergehen oder bergab wandern, also Bewegungen, die den Muskel mehr fordern als man ihn aktiv ansteuern kann. Beim Treppe hinaufgehen kommt man nur so weit, wie der Muskel aktiv hinaufsteigt. Geht man die Treppe jedoch hinunter und der Muskel ist müde, muss er trotzdem das Körpergewicht abfedern und er wird überbelastet, sonst stürzt man. Dadurch kommt es zu einer überschießenden Belastung. Und die könnte ultrastrukturell im Muskel zu einer Verletzung führen.
Schaut man sich einen Muskelkater im Kernspintomographen an, erkennt man ein intramuskuläres Ödem, also eine Flüssigkeitsansammlung im Muskel. Dabei handelt es sich also um eine Schwellung. Das könnte beim Einriss der Muskulatur genauso passieren, wie durch viele andere Gründe. Da ein Muskelkater nur etwa zwei bis drei Tage anhält, könnte ein Ödem durchaus ursächlich für die Schmerzen sein.
Die Entstehung eines Ödems wiederum könnte zwei Gründe haben. Die erste Theorie beruht auf der Annahme, dass es zu einer Verletzung, einem Flüssigkeitseinstrom und einem Entzündungsgeschehen kommt. Und das zusammengenommen führt zu einem Druck im Muskel, der den Schmerz auslöst.
Die zweite, ganz neue Theorie besagt, dass es sich um eine Kompressions-Axonopathie handelt. Durch den bereits erwähnten Druck im Muskel werden die Nervenendigungen so komprimiert, dass der Nerv einen Schaden nehmen könnte.
Der wissenschaftliche Ausdruck für den Muskelkater ist „Delayed onset muscle soreness“ (DOMS), also „Verzögert auftretender Muskelschmerz“. Der Muskelkater tritt tatsächlich verzögert auf und nicht akut wie Schmerzen bei anderen Verletzungen, etwa wenn man umknickt. Die Theorie besagt, dass dies mit den Flüssigkeitsansammlungen im Muskel, dem Ödem, zusammenhängt, dass sich nicht so schnell entwickeln kann. Eine andere Theorie kommt aus der Evolutionsbiologie und besagt, dass der Schmerz verspätet kommt, damit man in einer Notfallsituation keine Schmerzen hat und noch entkommen kann. Evolutionär betrachtet könnte dies beispielsweise auf der Jagd nach Nahrung überlebenswichtig gewesen sein.
Ganz sicher weiß man, dass ein Muskelkater eigentlich wenig Konsequenzen hat, denn er hinterlässt keine bleibenden Schäden. Darüber ist man sich heute einig – auch wenn früher noch gelehrt wurde, dass es zu einer Vernarbung des Muskels führt. Da eigentlich selbst Mikroschäden in der Muskulatur tatsächlich kleinste Narben zurücklassen müssten, könnte man der Theorie über die neuronalen Mikroschäden durchaus etwas Gewicht geben: Diese würden keine Narbenbildung verursachen. Die Forschenden, die diese Theorie aufgestellt haben, heben aber selbst hervor, dass es sich bei ihrer Aussage noch um eine reine Hypothese handelt und der Beweis weiter aussteht.
Für die Sportmedizin ist wichtig, ob ein Muskelkater gefährlich ist. Das ist er sicher nicht, auch wenn er furchtbar unangenehm ist. Ein Muskelkater zeigt nur an, dass man den Muskel überlastet hat, aber man muss sich nicht davor fürchten. Daher ist es wichtig, bei einem Training klein anzufangen und sich langsam zu steigern.
Aufgezeichnet von Stefanie Flunkert