Frage an das Gehirn
Kann man Ängstlichkeit im Gehirn erkennen?
Veröffentlicht: 15.08.2021
Lässt sich aus der Hirnstruktur oder anhand von biologischen Markern erkennen, ob ein Mensch ängstlich oder mutig ist?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz, Direktor Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Charité Berlin: Bevor ich erkläre, warum das nicht möglich ist, macht es zunächst Sinn, die Begriffe „Angst“ und „Mut“ zu definieren. Angst ist einigermaßen gut definiert als negative Emotion. Diese ist auch aufs Tiermodell gut übertragbar, etwa bei Nagern mithilfe des sogenannten „Elevated plus maze“: Das sind vier in größerer Höhe platzierte, kreuzförmig angeordnete Stege. Zwei davon haben kein „Geländer“ („Open Arms“), zwei sind komplett von einem Geländer umgeben. Nagetiere gehen nicht gern auf ein offenes Feld oder eben auf die offenen Stege. Wenn die Tiere sich dann trotzdem auf diesen sogenannten „Open Arms“ wagen, dann ist das quasi Mut, aber eigentlich ist es die Abwesenheit von Angst.
Bei Menschen ist die Definition von Mut viel schwieriger. Sie können ja mutig sein, obwohl sie Angst haben, weil sie von etwas überzeugt sind, oder es trotz Angst wichtig finden. Das grundsätzliche Problem bei der Untersuchung von solchen Phänomenen ist, dass je nach Situation, dem Denken und Fühlen der Versuchspersonen etwas anderes herauskommen kann.
So gibt es zum Beispiel eine Untersuchung, bei der die Probanden darüber entscheiden, wie nah eine Schlange an ihren Kopf darf. Dabei wurde entdeckt, dass das sogenannte Brodmann-Areal 25 aktiver war, je näher die Schlange an den Kopf durfte beziehungsweise je mehr Angst überwunden wurde. Dieser Bereich des Gehirns hat unter anderem etwas mit der Verarbeitung von bedrohlichen Reizen und dem Extinktionslernen - also dem Verlernen von Angst - zu tun. Im Prinzip ist es aber so, dass die Aktivierungsprozesse des Gehirns, die wir in den bildgebenden Untersuchungen sehen können, nur die Spitze eines Eisbergs sind. Das heißt, sie untersuchen mindestens 15 Personen und schauen, wo die alle gemeinsam mit ihrer Aktivierung wie der Eisberg über die Wasseroberfläche ragen. Alle Aktivierungen, in denen sich die Versuchspersonen unterscheiden, ragen aber eben nicht übers Wasser. Wie beim Eisberg bleibt der größte Teil der individuell wichtigen Aktivierungen einzelner Hirnregionen im Gruppendurchschnitt unbeachtet. Jeder einzelne Mensch reagiert hier unterschiedlich in verteilten und vernetzten Hirnbereichen. Das heißt, dass es nicht so ist, dass zum Beispiel in der Amygdala „die Angst“ sitzt oder im subgenualen Cingulum einschließlich der Brodmann-Area 25 die Extinktion.
Es sind immer Netzwerke, die aktiviert werden und zwischen den Menschen in bestimmten Bereichen überlappen. Diese überlappenden Regionen werden dann im Gruppendurchschnitt sichtbar. Aber wenn man das dann replizieren möchte, dann gelingt das oft nicht, weil die Menschen unterschiedlich sind und oft auch je nach Situation verschieden reagieren, auch bezüglich der Hirnaktivierung. Mit etwas Glück zeigt sich bei der nächsten Untersuchung wieder das oben genannte, gleiche Brodmann-Areal 25, vielleicht liegt die hauptsächliche Aktivierung aber nur in der Nähe oder ganz woanders.
Gleichzeitig ist es toll, dass wir überhaupt verstehen, dass im Gehirn bestimmte Regionen für bestimmte Aufgaben eine wichtige Rolle spielen. Aber es ist nicht so, dass wir irgendeine Hirnregion bezüglich ihrer Größe vermessen können und sagen, wenn zum Beispiel die Amygdala größer ist als bei anderen Menschen, dann haben diese Menschen auch mehr Angst.
Aufgezeichnet von Anke Lorenz
Emotionen
Emotionen/-/emotions
Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.
Brodmann-Areal
Brodman Areal/-/brodmann area
Der Neuroanatom Korbinian Brodmann teilte bereits 1909 die Großhirnrinde (Cortex) in unterschiedliche Felder ein. Dabei ging er nach histologischen Kritierien vor – er unterschied diese Felder auf Grund ihres Zellaufbaues. Später zeigte sich, dass dieser unterschiedliche Aufbau des Cortex oft mit unterschiedlichen Spezialisierungen einher geht.
Amygdala
Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala
Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.
Cingulärer Cortex
Cingulärer Cortex/Cortex cingularis/cingulate cortex
Ein Bestandteil des präfrontalen Cortex, der sich auf der Stirnseite des Gehirns befindet. Wie ein halber Donut windet sich der cinguläre Cortex um den Balken. Funktionell gehört er zum limbischen System, das triebgesteuerte Verhaltensweisen reguliert.
Extinktion
Extinktion/-/extinction
Bei der Extinktion wird ein Reiz mehrfach im selben Kontext präsentiert, bis eine Gewöhnung, d.h. eine Habituation, eingetreten ist. Vgl. auch die klassische Konditionierung. Beispielsweise lernt eine Schnecke, dass eine bestimmte Berührung nicht bedrohlich ist. Diese Desensibilisierung schlägt sich auch auf Ebene der Synapsen nieder.