Frage an das Gehirn

Kann man Angst riechen?

Fragesteller/in: FM

Veröffentlicht: 10.06.2018

Kann man Angst riechen, oder ist das nur ein Sprichwort?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Prof. Dr. Bettina Pause, Leiterin der Arbeitsgruppe Biologische Psychologie und Sozialpsychologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf:  Klare Antwort: Nein, kann man nicht. Wir können nicht bewussterkennen, dass jemand nach Angst riecht. Unbewusst wirken solche emotionalen Gerüche aber auf unseren Organismus in vielfältiger Art und Weise.

Wenn eine Person Angst hat, verändert sich die chemische Zusammensetzung ihres Schweißes und der Körperdünste. Diese Moleküle werden dann über die Luft transportiert. Docken diese am Riechepithel – also in der Nase – einer anderen Person an, bekommt diese Person zwar nicht mit, dass da ein Angstgeruch in der Luft liegt. Trotzdem beeinflusst der Angstgeruch ihr Verhalten auf unbewusster Ebene.

Alle bisher untersuchten Tiere reagieren auf chemische Stresssignale von Artgenossen – egal ob Ratte, Fisch oder Fliege. Sie versuchen dann den Ort des Entstehens dieses Stressgeruchs zu vermeiden und laufen oder fliegen ganz schnell weg. Denn üblicherweise hat Stress etwas mit Gefahr zu tun. Der Angstgeruch ist somit ein Alarmsignal.

Das gilt auch für Menschen. So zucken wir unter Angstgeruch beispielsweise stärker zusammen, wenn wir ein lautes Geräusch hören. Das lässt darauf schließen, dass das motorische System unseres Gehirns durch chemische Angstsignale aktiviert wird und so unsere Muskeln in Alarmbereitschaft versetzt. Auch wir Menschen bereiten uns somit darauf vor wegzulaufen. Dank unseres gut ausgebildeten Großhirns können wir unser Verhalten aber sehr gut steuern. Wenn wir wirklich weglaufen wollten oder müssten, würde es unter Angstgeruch schneller vonstattengehen.

Über die Anwendung bildgebender Verfahren wissen wir, dass ein Angstgeruch auch bei uns selbst Angst auslöst. Wir denken zwar nicht: Oh, der hat Angst, jetzt hab ich auch Angst. Vielmehr entsteht ein unangenehmes Bauchgefühl. Dieser negative, unruhige Zustand, den der Angstgeruch verursacht, veranlasst mitunter, dass wir schneller weglaufen können, aber auch, dass wir weniger Vertrauen zeigen und in einer sozialen Situation vorsichtiger sind.

Denn unter Angstgeruch verändert sich auch unsere soziale Wahrnehmung, also, wie wir andere Menschen wahrnehmen. Das untersucht man beispielsweise mit Hilfe von Bildern von so genannten gemorphten Gesichtern, die halb ängstlich und halb fröhlich aussehen. Man kann da kaum unterscheiden, ob die ängstlich oder freudig gucken. Im Kontext dieser chemischen Angstsignale nehmen wir die Gesichtsausdrücke aber eher als Angstausdrücke wahr.

Unter chemischen Angstsignalen verschärft sich aber auch die Wahrnehmungsgenauigkeit für ängstliche Gesichtsausdrücke. Im Alltag nehmen wir viele Gesichter nur implizit wahr. Das bedeutet, wir analysieren nicht explizit, genau und konzentriert die Gesichtsausdrücke jedes einzelnen Menschen. Wenn wir durch eine Menschenmenge gehen oder mit mehreren Freunden zusammen sind, haben wir nicht die Möglichkeit jeden Gesichtsausdruck immer genau zu analysieren. Doch unter chemischen Angstsignalen bekommen wir schneller mit, wenn jemand ängstlich aussieht. Gleichzeitig sinkt die Wahrnehmungsgenauigkeit für freudige Gesichter. So erkennen wir vielleicht gar nicht, dass jemand Freude signalisiert.

Angstgeruch ist auch ein so genanntes ehrliches Signal, da es nicht gefälscht werden kann. Wir können nicht sagen: Ich möchte jetzt nach Freude riechen oder nach Angst. Doch ein Lächeln kann man fälschen. Wenn jemand freudig lächelt und gleichzeitig nach Angst riecht, verarbeite ich die gesamten Signale in Richtung Angst. Diese chemischen Signale dominieren somit den emotionalen Gesamteindruck eines Menschen.

Es gibt zwei Gruppen von Menschen, die auf Angstgeruch ganz besonders reagieren: Schwangere und Menschen mit hoher sozialer Angst. Letztere reagieren schneller und stärker auf diese chemischen Angstsignale. Schwangere hingegen reagieren viel schwächer. 

Denn bei ihnen ist es wichtig, dass sie während der Schwangerschaft dem Kind zuliebe möglichst wenig Stress empfinden. Die Evolution hat nun zum Schutz vor Stresserfahrungen eine Schranke eingebaut: Das Gehirn von Schwangeren reagiert quasi gar nicht mehr auf diese chemischen Angstsignale. So gibt es auch keine Stressübertragung.

Aufgezeichnet von Nicole Paschek

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