Question to the brain
Kann man das Gehirn mit Ultraschall durchleuchten?
Published: 14.05.2018
Kann man das Gehirn ultraschallen? Beim Fötus im Bauch funktioniert es doch auch?
The editor's reply is:
Konrad Sell, Marketingchef des Unternehmens Sonovum in Leipzig: Mit gewöhnlichen Ultraschallgeräten, wie sie in der Pränataldiagnostik eingesetzt werden, ist das nicht möglich. Solche Schallwellen können den Schädelknochen eines Menschen nicht durchdringen. Beim Baby im Mutterleib kann man mit den Geräten aber trotzdem das Klein- und Großhirn sehen. Das liegt daran, dass die Schädelplatten in diesem Alter noch nicht zusammengewachsen und dazwischen Lücken, die so genannten Fontanellen, sind, durch die die Schallwellen hindurchtreten können.
Allerdings hatten Forscher um den Physiker Miroslaw Wrobel gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Zellbiologie und Immunologie 2009 in einem Forschungsprojekt probiert, ob sich mit einem abgewandelten Ultraschallverfahren nicht doch das Gehirn durchleuchten lässt. Dazu verwendeten sie stärkere Schallwellen, quasi die Bässe der Medizin. Sie entdeckten, dass sie damit tatsächlich in das Gehirn von Schafen hineinschauen und dort beispielsweise einen künstlich gesetzten Schlaganfall identifizieren konnten. Daraufhin gründeten wir das Unternehmen Sonovum in Leipzig, um diese Überwachungstechnologie für das Gehirn zu kommerzialisieren.
Wir haben nun ein System entwickelt, das einem Stirnband gleicht und nicht mehr als vier Kilogramm wiegt. Es wird um den Kopf geschnallt. Auf der einen Seite sendet ein Sensor Ultraschallwellen mit zehn unterschiedlichen Frequenzen zwischen 0,3 und 3 Megahertz durch das Hirngewebe. Auf der Gegenseite befindet sich ein Empfänger, der die austretenden Schallwellen ausliest. Je nach Frequenz läuft die Welle anders durch das Gewebe. Wenn im Gehirn ein Krankheitsereignis eintritt, ob Schlaganfall oder ein septischer Schock, ändert sich die Durchlaufzeit, weil sich die Dichte und die Elastizität des Gewebes verändert. Der Grund dafür sind Veränderungen in der Beschaffenheit der Zellen oder Flüssigkeitsansammlungen etwa infolge einer Hirnblutung. Je nach Krankheitsbild bekommen wir eine charakteristische Schallsignatur. Allerdings sind die Abweichungen beim Durchlauf durch gesundes verglichen mit krankem Gewebe manchmal recht gering. Mithilfe mathematischer Modelle können wir die feinen Unterschiede aber herausrechnen. Mit diesem Ultraschallverfahren für den Kopf bekommt man aber keine Schwarz-Weißaufnahme, sondern eine grafische Darstellung, die zeigt, wie die Schallwellen mit zehn unterschiedlichen Frequenzen durch das Gehirn gelaufen sind. Es ist also ein bildgebendes Verfahren, obwohl der Arzt kein Bild wie beim Hirnscann oder beim Ultraschallen des Babys bekommt. Die Erfinder nannten es Akustocerebrografie, kurz: ACG. Eine Messung am Gehirn dauert damit nur drei Minuten. Das ist viel schneller als mit herkömmlichem MRT- oder CT-Geräten.
Mit der ACG kann man, nach allem, was wir wissen, im Gehirn Schlaganfälle und einen septischen Schock früh erkennen. Wir wollen das jetzt an drei Unikliniken bei Schlaganfallpatienten erproben. Das Fernziel ist, dass das Gerät zukünftig sogar im Rettungswagen vorhanden ist und damit die Ursache eines Schlaganfalls – eine Blutung oder ein Gefäßverschluss - sofort erkannt und dieser sofort behandelt werden kann. Denn beim Schlaganfall zählt jede Minute. Aber je nach Schlaganfalltyp muss der Patient anders versorgt werden. Mit der Universität Rostock untersuchen wir, wann eine Sepsis das Gehirn schädigt. Dies ist oft das erste Anzeichen einer Blutvergiftung, der dritthäufigsten Todesursache überhaupt. Momentan kann man diese oft nicht rechtzeitig erkennen.
Das Ultraschallverfahren fürs Gehirn, die ACG, zu verbreiten, ist eine Aufgabe. Aber wenn es gelingt, eine Sepsis früh zu erkennen oder Schlaganfälle sofort zu unterscheiden, brauchen wir uns über die Verbreitung keine Gedanken machen. Vielleicht kann man es eines Tages auch zuhause tragen, um einer Migräne vorzubeugen oder einer Dehydrierung. Denn auch da gibt es charakteristische molekulare Veränderungen im Gehirn. Aktuell kostet unser ACG-System aber 50.000 Euro und ist damit natürlich für Privatleute zu teuer. Es ist als Medizinprodukt zertifiziert, und wir vertreiben es weltweit in Kleinserie.
Aufgezeichnet von Susanne Donner