Frage an das Gehirn
Können sich Schlafwandler schwer verletzen?
Veröffentlicht: 04.02.2018
Eine Bekannte von mir neigt zum Schlafwandeln. Jetzt frage ich mich, wie gefährlich das wohl ist?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Notfallmediziner Thomas Sauter vom Inselspital in Bern: Im Volksmund bewegt sich der Schlafwandler mit sprichwörtlicher „schlafwandlerischer Sicherheit“. Er habe einen Schutzengel, der ihn vor Gefahren behütet, besagt der Aberglaube. Aber das stimmt leider überhaupt nicht. Schlafwandler können sich sehr wohl verletzen und zwar sogar schwer.
Wir haben dazu 620.000 elektronische Akten von Notfallzuweisungen in das Inselspital Bern am Universitätsklinikum durchsucht. Wir fanden 11 Patienten, die sich beim Schlafwandeln verletzt hatten. Die Partner oder die Eltern hatten beobachtet und dem untersuchenden Arzt berichtet, wie die halb schlafende, halb wache Person aufstand. Manche öffneten das Fenster, andere liefen umher. Schlafwandler sprechen mitunter sogar, wobei die Augen geöffnet sind, aber der Blick leer wirkt. Alle, die sich verletzten, waren gestürzt, beispielsweise über einen Gegenstand gestolpert. Die Verletzungen, die sie sich dabei zugezogen hatten, waren sehr unterschiedlich. Manche hatten Prellungen am Rücken, andere mehrfache Brüche der Gesichtsknochen. Keiner der elf ist gestorben, aber vier mussten im Krankenhaus bleiben und sich behandeln lassen. Es gibt in der Literatur sehr wohl Berichte von Todesfällen durch Schlafwandeln.
Es ist aber ein sehr seltenes Ereignis, dass sich Schlafwandler verletzen. Sie befinden sich in einem Zustand zwischen Wachsein und Schlaf. Areale des Gehirns, die für Bewegung zuständig sind, sind aktiv wie im wachen Zustand. Andere, die das bewusste Denken und die Wahrnehmung koordinieren, verbleiben in einem für den Schlaf typischen Erregungsmuster. Ein Schlafwandler hat deshalb auch keine Erinnerung an das unbewusste Aufstehen, und er ist während der Episode auch nicht ansprechbar. Während seines Ausflugs realisiert er weder, wo er ist, noch was er tut.
Die Schlafwandelphase tritt am häufigsten im ersten Drittel der Nacht auf: Am Ende der ersten Tiefschlafphase geht diese gewöhnlich in eine REM-Phase über – REM für Rapid Eye Movement, also für rasche Augenbewegungen hinter den geschlossenen Lidern. Für diesen Übergang vom Tief- in den REM-Schlaf ist ein partieller Aufwachvorgang nötig. Dieser geht bei Schlafwandlern vereinfacht gesprochen fehl. Sie können den gesamten Körper bewegen. Besonders häufig passiert das bei Kindern. Etwa ein Drittel aller Kinder durchlebt Schlafwandelepisoden, was die Eltern oft stark beunruhigt. Ein möglicher Weg zur Unfallprävention ist in solchen Fällen das sichere Verschließen von Balkontüren und Fenstern sowie das Wegräumen von herumliegenden Gegenständen.
Uns ging es mit unserer Studie aber vor allem darum, Notfallmediziner dafür zu sensibilisieren, dass manch unklar Verwundeter, der nachts oder morgens im Krankenhaus eintrifft, vielleicht einen unfreiwilligen nächtlichen Streifzug hinter sich hat. Daran müssen wir besonders denken, wenn die Patienten oder ihre Angehörigen bereits vorangegangene Schlafwandelepisoden beschreiben. Schlafentzug begünstigt das Risiko zu schlafwandeln. Auch einige Medikamente wie Psychopharmaka oder schlicht eine Erkältung, die das Atmen und somit den Schlaf behindert, können dazu beitragen.
Aufgezeichnet von Susanne Donner