Frage an das Gehirn
Sind Vollnarkosen schädlich?
Veröffentlicht: 02.01.2022
Vollnarkosen sind in der Chirurgie Routine. Schaden sie dem Gehirn?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Dr. Bernd Schoenes, Oberarzt in der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Klinikum Darmstadt: Während einer Vollnarkose wird die Aktivität im Gehirn gestört. Normalerweise senden die Nervenzellen mehr oder weniger gerichtete Signale. Die Narkosemedikamente bringen das durcheinander. Infolge spüren wir keine Schmerzen und fallen in einen tiefen Schlaf. Die Medikamente selbst hinterlassen wenige Spuren: Sie werden vom Stoffwechsel abgebaut und ausgeschieden oder – im Fall von Narkosegasen – zu einem Großteil ausgeatmet.
Probleme können allerdings entstehen, wenn der Blutdruck der Patienten während der Narkose sehr stark fällt. Das kann vor allem dann passieren, wenn es sich um Patienten mit Vorerkrankungen handelt und es mit der Operation schnell gehen muss. Also etwa nach einem Unfall wie zum Beispiel einem Hüftbruch, wenn es wenig Zeit zur Vorbereitung gibt und die Patienten vielleicht ohnehin schon Kreislauf-Medikamente einnehmen mussten. Sinkt der Blutdruck zu stark, wird das Gehirn weniger durchblutet. Patienten können dann nach der Narkose unter einem post-operativen Delir oder post-operativen kognitiven Defiziten leiden. Das heißt, sie haben vielleicht Wortfindungsstörungen, Erinnerungsstörungen oder Konzentrationsschwierigkeiten. In der Regel geht das innerhalb eines halben Jahres wieder vorbei. Für die Patienten und ihre Angehörigen ist das aber natürlich trotzdem sehr beunruhigend. Die fremde Umgebung im Krankenhaus oder eine Neigung zum Alkohol können diese post-operativen Defizite noch verstärken – vor allem allem bei Patienten, die bereits Symptome einer beginnenden Demenz zeigen oder allgemein zu Verwirrtheit tendieren.
Als Anästhesisten können wir allerdings die Narkose sehr gut steuern und auch die Kreislauffunktionen in engen Grenzen halten. Mit einem Narkosetiefenmonitor verfolgen wir, wie stark die Narkose wirkt. Mit einer engmaschigen Blutdruckkontrolle können wir auch Patienten sicher durch den Eingriff bringen, die eher ungünstige Voraussetzungen mitbringen.
Auch nach der Operation können wir einige Dinge beachten, um post-operative Symptome zu verringern oder verhindern. Dazu zählt, dass wir den Patienten möglichst schnell ein Gefühl für den Tag/Nacht-Rhythmus vermitteln – zum Beispiel durch eine Uhr am Bett, so dass sie einschätzen können, ob es Morgen oder Abend ist. Persönliche Gegenstände am Bett geben Sicherheit, und die Brille oder das Hörgerät sollten immer verfügbar sein, damit die Patienten gut sehen und hören können. Auch Besuche von Angehörigen helfen, um Normalität ins Krankenhaus zu bringen. Sobald es medizinisch und logistisch möglich ist, sollten die Patienten nach Hause gehen dürfen. Nicht immer lassen sich all diese Dinge erfüllen. Müssen die Patienten nach schweren Operationen auf die Intensivstation, kann die unruhige Atmosphäre mit Alarmtönen eher zu post-operativen Defiziten führen.
Ein anderes komplexes Thema ist die Vollnarkose bei Kindern. In der Regel sollten auch hier keine Probleme auftreten. Aber sie sollten nach Möglichkeit in Einrichtungen durchgeführt werden, wo hauptsächlich Kinder behandelt werden und somit eine große Expertise zur Narkose bei Kindern besteht. Dieses Thema ist allerdings sehr komplex und bedarf eines eigenen Beitrags.
Protokoll: Stefanie Uhrig
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Demenz
Demenz/Dementia/dementia
Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.