Frage an das Gehirn

Sind unsere Gedanken determiniert?

Fragesteller/in: Uli Brückner via E-Mail

Veröffentlicht: 26.02.2013

Sind unsere Gedanken durch die neuronalen Prozesse im Gehirn determiniert, also schon im Voraus festgelegt?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Prof. Dr. Dr. Brigitte Falkenburg, Physikerin, Professorin für Wissenschaftsphilosophie an der TU Dortmund und Autorin des Buches „Mythos Determinismus“:

Hirnforscher versuchen in der Regel, die Vorgänge im Gehirn mechanistisch zu erklären, durch Reduktion auf neurobiologische Prozesse, die auf elektrochemischen Mechanismen beruhen. Und weil man in der Regel davon ausgeht, dass diese Prozesse kausal ablaufen – also dass jede Wirkung zeitlich und gesetzmäßig auf ihre Ursachen folgt – würden wohl viele Neurowissenschaftler die Frage mit „Ja“ beantworten.

Ich habe diese Argumentation wissenschaftstheoretisch unter die Lupe genommen, ausgehend von der Physik. Da stellt man fest, dass es ein einheitliches Kausalitätskonzept gar nicht gibt! Kausalität tritt vielmehr in unterschiedlicher Form auf. Nach der klassischen Mechanik und Elektrodynamik herrscht Determinismus: Ist der Zustand eines Systems zu irgendeinem Zeitpunkt bekannt, so kann man ihn für andere Zeiten berechnen. Dabei gibt es allerdings keinen eindeutigen Zeitpfeil – eine Berechnung ist auch für frühere Zeitpunkte möglich. Eine Richtung vorgegeben ist dagegen bei den irreversiblen Prozessen in Quantenmechanik und Thermodynamik. So ist ja zum Beispiel klar, dass Kaffee und Zucker sich nicht spontan entmischen und die Zuckerkörner unter Umwandlung von Wärmeenergie zurück auf den Kaffeelöffel hüpfen. Bei solchen Prozessen gibt es aber für das Einzelereignis keinen strengen Determinismus! Die Physik kann nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen – wie sich das System im Einzelfall entwickelt, steht nicht eindeutig fest, es ergeben sich Kausalitätslücken.

Eine zugleich zeitliche und strikt gesetzmäßige Abfolge von Ursache und Wirkung gibt es in der Physik also nicht. Angewandt auf die neuronale Signalübertragung im Gehirn: Die elektrische Signalübertragung entlang eines Axons ist zwar in guter Näherung deterministisch, aber die chemischen Prozesse an den Synapsen sind es nicht. Insgesamt ist das Gehirn ein thermodynamisches, nichtlineares System fern vom Gleichgewicht. Solche Systeme durchlaufen, das ist aus der Physik ganz klar, Verzweigungspunkte – sie können sich bei gleichem Ausgangszustand unterschiedlich entwickeln. Berechnen kann man, wenn überhaupt, nur statistische Wahrscheinlichkeiten.

Noch schwieriger wird es, wenn es um die Verursachung von kognitiven und mentalen Prozessen durch neuronale Mechanismen geht. Da sind nur noch schwache Analogieschlüsse am Werk, die den Begriff „Information“ von der Informatik auf unsere Bewusstseinsinhalte übertragen; von einer mechanistischen Erklärung im oben genannten Sinn ist das himmelweit entfernt.

Dass alle Gedanken neurobiologisch determiniert sind, ist also eine bloße Behauptung, die aus den genannten und anderen Gründen mindestens als unbeweisbar, wenn nicht falsch gelten muss. Auch aus Sicht der Evolution ergibt es Sinn, dass manche Prozesse auf Vorhersehbarkeit oder Berechenbarkeit hin optimiert sind, andere gerade nicht. So muss ja die Sinneswahrnehmung verlässlich, also möglichst deterministisch funktionieren. Entscheidungen dagegen sind dann lebensdienlich, wenn sie nicht zu den immergleichen und vorhersehbaren Ergebnissen führen.

Überhaupt sollten Hirnforscher das Kausalitätsprinzip nicht überstrapazieren. Es ist keine Tatsachenbehauptung. Schon Kant hat für ein methodologisches Verständnis plädiert: Für Forscher ist es sinnvoll und fruchtbar, bei beobachteten Wirkungen nach den Ursachen zu fragen. Aber das darf nicht zu der falschen Annahme führen, dass es für alles und jedes vollständig determinierte kausale Prozesse gäbe.

Aufgezeichnet von Ulrich Pontes

Axon

Axon/-/axon

Das Axon ist der Fortsatz der Nervenzelle, der für die Weiterleitung eines Nervenimpulses zur nächsten Zelle zuständig ist. Ein Axon kann sich vielfach verzweigen, und so eine Vielzahl nachgeschalteter Nervenzellen erreichen. Seine Länge kann mehr als einen Meter betragen. Das Axon endet in einer oder mehreren Synapse(n).

Synapse

Synapse/-/synapse

Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.

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