Frage an das Gehirn
Kann ein Gehirn ohne Körper überleben?
Veröffentlicht: 13.05.2019
Ein spektakuläres Experiment zeigt "Aktivitäten" im Gehirn von Schweinen vier Stunden nach dem Tod. Bedeutet das, dass man ein "totes" Gehirn wiederbeleben kann - fragt Herr S. aus O.
Die Antwort der Redaktion lautet:
Prof. Dr. med. Georg Gahn, Vorsitzender der Kommission Neurologische Intensivmedizin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und Direktor der Neurologischen Klinik am Städtischen Klinikum Karlsruhe.
Diese Debatte haben US-amerikanische Wissenschaftler kürzlich befeuert, indem sie in abgetrennten Schweineköpfen noch nach mehreren Stunden „Aktivitäten“ nachgewiesen haben. Aber die Gehirne dieser Tiere waren per Definition nicht tot, das wurde nicht nachgewiesen.
Man hat die Tiere in einer Schlachterei geköpft und dann ganz schnell gekühlt, indem man die Hirne mit einer Art Kochsalzlösung durchspült hat. Dann hat man die Gehirne in aller Ruhe so operiert, dass man Stunden später mit einem hochkomplizierten Perfusionssystem eine Nährlösung hindurch schicken konnte. Und an diesen präparierten Gehirnen konnte man schließlich nachweisen, dass Hirnzellen sehr lange – mehrere Stunden – überleben können. In verschiedenen Tests haben diese Zellen zum Beispiel auf Medikamente reagiert, oder elektrische Aktivität gezeigt. Das galt aber nur für Gruppen von Nervenzellen, und nicht für das Gehirn als Ganzes in seiner Funktion.
Das ist eine sehr spannende und natürlich auch spektakuläre Studie. Man mag sich fragen, warum solch ein Experiment überhaupt gemacht wurde, aber der Hintergrund ist, dass man schon seit Jahrzehnten nach Wegen sucht, um Hirnzellen vor dem Untergang zu schützen. Nun wurde der Nachweis geführt, dass dies möglich ist, und zwar nicht wie vorher schon bei kleineren Tieren, sondern bei Schweinen, deren Anatomie der menschlichen sehr ähnlich ist.
Daraus kann man einiges lernen für alle Ereignisse, die die Hirndurchblutung unterbrechen – also beispielsweise Schlaganfälle, oder Unterkühlung oder das Ertrinken. Auch wenn in der Studie nicht genau steht, wie die Nährflüssigkeit zusammengesetzt war, so zeigt sie doch, dass man mit einer Blut-ähnlichen Flüssigkeit Nervenzellen im Gehirn über einen längeren Zeitraum überleben lassen kann. Das hat beim Menschen noch nie funktioniert, obwohl es auch schon seit den 1990er Jahren immer wieder versucht wurde. Hier hat man nun schon zehn Minuten nach der Abtrennung der Köpfe einen Zustand erreicht, der es erlaubt hat, Teilfunktionen des Gehirns über eine bislang unerreicht lange Zeitspanne zu erhalten.
Im Gegensatz zu diesem Experiment versuchen wir in der Realität bei neurologischen Notfällen eine unterbrochene Durchblutung wieder zu normalisieren, etwa bei der Wiederbelebung nach einem Kreislaufstillstand, mit einem Defibrillator, oder mit Medikamenten bzw. einer Operation, um Blutgerinnsel auflösen. Es wird aber nicht, wie in diesem Experiment, Blut durch eine körperfremde Nährflüssigkeit ersetzt. Daher ist das sehr beeindruckend, was die Kollegen da gemacht haben, aber es ist keine Wiederbelebung eines „toten“ Gehirns.
Das Konzept des Hirntods (heute spricht man vom irreversiblen Hirnfunktionsausfall) wird allerdings durch die aktuelle Arbeit nicht in Frage gestellt, denn es waren ja noch nicht alle Hirnfunktionen irreversibel ausgefallen. Wenn jedoch unsere Möglichkeiten zunehmen, das Absterben von Hirnzellen und des ganzen Organs hinauszuzögern, dann kann dies Auswirkungen haben auf die Art und Weise, wie der Hirntod festgestellt wird. In Spanien etwa wird anhand weniger strenger Kriterien als bei uns darüber entschieden, welche Menschen als Organspender in Frage kommen. In solch einem Fall erscheinen dann vorbeugende Anpassungen der Regeln sinnvoll.
Aufgezeichnet von Michael Simm