Question to the brain
Verändert das moderne Leben das Gehirn?
Published: 28.03.2012
Wie verändert sich das Gehirn innerhalb der schnellen, modernen Welt – und wie wirkt sich dies auf das Leben der Menschen aus?
The editor's reply is:
Professor Dr. Markus Missler vom Institut für Anatomie und Molekulare Neurobiologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster: Unser Gehirn verändert sich ständig und passt sich an Ereignisse an: Schon während man miteinander spricht oder etwas liest, bilden sich Gedanken und Meinungszustände, die sich im Gedächtnis niederschlagen können. Dabei handelt es sich zunächst um funktionale Veränderungen, das heißt veränderte elektrische Aktivität in bestimmten Hirnregionen.
Funktionale Veränderungen des Gehirns sind mittlerweile recht gut erforscht. Bei Schädigungen des Gehirns – zum Beispiel nach einem Schlaganfall oder einem Unfall – können andere Regionen Funktionen jener Hirnbereiche übernehmen, die durch die Schädigung ausgefallen sind. Diesen Anpassungen liegt meist die Fähigkeit zur so genannten synaptischen Plastizität zugrunde, die in verschiedenen Altersgruppen zwar unterschiedlich stark ist, jedoch ein Leben lang stattfinden kann. Ganz dramatische Veränderungen des Gehirns wurden zum Beispiel bei Kindern mit Verletzungen des Sprachzentrums beschrieben – da können die betroffenen Regionen sogar die Seite wechseln, sodass plötzlich die andere Hemisphäre zur Verarbeitung von Sprache gebraucht wird.
Auch ein Blick in die Entwicklungsgeschichte der Tierarten zeigt, dass das menschliche Gehirn das Ergebnis ständiger molekularer und struktureller Anpassungsprozesse ist. Nehmen Sie zum Beispiel das menschliche Riechsystem: Im Vergleich zu einer Maus ist die Größe des olfaktorischen Systems, bezogen auf das gesamte Gehirn, sehr bescheiden. Das spiegelt sich auch in der molekularen Ausstattung wider: Menschen haben weniger als die Hälfte an olfaktorischen Rezeptorgenen als Mäuse. Für Menschen sind wahrscheinlich andere Sinnessysteme oder Hirnregionen einfach wichtiger geworden. Strukturelle oder morphologische Anpassungsprozesse finden übrigens auch während der Individualentwicklung, der Ontogenese, im Schnelldurchlauf statt. So kann man in frühen embryonalen Stadien noch nicht unterscheiden, ob man das Nervensystem einer Maus, eines Hühnchens oder eines Menschen vor sich hat, später aber sehr wohl.
Im Gegensatz zu diesen Anpassungen der Gehirne verschiedener Arten über Jahrmillionen hinweg haben sich die wesentlichen strukturellen und wahrscheinlich auch die funktionalen Merkmale unseres Gehirns seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten nicht grundlegend verändert, obwohl sich die Welt um uns herum in diesen Zeiten rasant entwickelt hat. Das heißt also, nur weil die Menschen heute pausenlos auf Computer– oder Fernsehbildschirme gucken und weniger körperlich mit den Händen arbeiten, wird nicht plötzlich ihr visueller Cortex größer und ihr motorisches Areal kleiner. Es gilt zwar prinzipiell, dass die neuronale Repräsentation eines Körperteils im Gehirn umso ausgeprägter ist, je mehr der entsprechende Körperteil benutzt oder je feiner er innerviert wird (dieser Zusammenhang wird in den Lehrbüchern als „Humunkulus“ dargestellt), aber wie so oft in der Hirnforschung sind Vereinfachungen irreführend: So sind beispielsweise bei Profimusikern unter den Geigenspielern viel weniger Areale während des Musizierens aktiv als bei Hobbymusikern. Es bleibt also noch viel zu tun, bis wir genau verstehen, wie die Welt unser Gehirn verändert.
Aufgezeichnet von Leonie Seng
Gedächtnis
Gedächtnis/-/memory
Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.
Schlaganfall
Schlaganfall/Apoplexia cerebri/stroke
Bei einem Schlaganfall werden das Gehirn oder Teile davon zeitweilig nicht mehr richtig mit Blut versorgt. Dadurch kommt es zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff und dem Energieträger Glukose. Häufigster Auslöser des Schlafanfalls ist eine Verengung der Arterien. Zu den häufigsten Symptomen zählen plötzliche Sehstörungen, Schwindel sowie Lähmungserscheinungen. Als Langzeitfolgen können verschiedene Arten von Gefühls– und Bewegungsstörungen auftreten. In Deutschland ging 2006 jeder dritte Todesfall auf einen Schlaganfall zurück.
Plastizität
Plastizität/-/neuroplasticity
Der Begriff beschreibt die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzen Hirnarealen, sich abhängig vom Grad ihrer Nutzung zu verändern. Mit synaptischer Plastizität ist die Eigenschaft von Synapsen gemeint, ihre Erregbarkeit auf die Intensität der Reize einzustellen, die sie erreichen. Daneben unterliegen auch Größe und Vernetzungsgrad unterschiedlicher Hirnbereiche einem Wandel, der von ihrer jeweiligen Aktivität abhängt. Dieses Phänomen bezeichnen Neurowissenschaftler als corticale Plastizität.
Hemisphäre
Hemisphäre/-/hemisphere
Großhirn und Kleinhirn bestehen aus je zwei Hälften – der rechten und der linken Hemisphäre. Im Großhirn sind sie verbunden durch drei Bahnen (Kommissuren). Die größte Kommissur ist der Balken, das Corpus callosum.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.