Frage an das Gehirn
Verändert sich die Zahl der Nervenzellen im Lauf des Lebens?
Veröffentlicht: 16.07.2016
Wie genau verändert sich eigentlich die Zahl der Nervenzellen beim Menschen im Lauf seines Lebens?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Prof. Hellmuth Obrig, Max-Planck-Institut für Kognitions– und Neurowissenschaften in Leipzig: Grundsätzlich gilt, dass unsere Nervenzellen bereits mit der Geburt angelegt sind. Danach verändern sich zwar die Verbindungen untereinander, aber nicht die Anzahl der Zellen. Man wird nicht dadurch klüger, dass man mehr Zellen bekommt, sondern dadurch, dass sich die Zellen in einer bestimmten Form organisieren, Synapsen ausbilden und bestimmte neuronale Abläufe optimieren.
Tatsächlich regenerieren sich die Nervenzellen im Vergleich zu den meisten anderen Körperzellen erstaunlich wenig. Obwohl die Neubildung von Nervenzellen gerade ein intensiv beforschtes Thema ist, sprechen alle Anzeichen dafür, dass im Laufe des Lebens eines Menschen nur eine sehr geringe Anzahl von Neuronen neu dazukommen. Bei einem 50-Jährigen sind also die meisten seiner Zellen im Gehirn ebenfalls 50 Jahre alt. Vielleicht sind manche 49 Jahre und einige sogar wenige Tage jung, aber das ist die Ausnahme und nur in ganz bestimmten Hirnregionen der Fall. Bezogen auf die Gesamtanzahl der Neuronen, die man auf etwa 86 Milliarden schätzt, liegt der Anteil im Sub-Promillebereich.
Umgekehrt können wir im Laufe unseres Lebens Nervenzellen verlieren, je nachdem, wie wir altern. Erleidet jemand etwa einen Schlaganfall, der ein Viertel seines Gehirns betrifft, verliert er dadurch auch etwa ein Viertel seiner Nervenzellen. Aber auch Kopfverletzungen und Infektionen können Nervenzellen zerstören. Neben genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen spielt auch die Lebensführung eine Rolle. Sportliche Betätigung, eine sinnvolle Ernährung, Blutdruckkontrolle und kein Nikotin sind gute Mittel, um das Risikoprofil zu senken.
Bei neurodegenerativen Erkrankungen, wie zum Beispiel der Alzheimer Erkrankung, sterben nach und nach Zellen ab, ohne dass bis heute genau geklärt ist, warum dies mit zunehmendem Alter einen immer größeren Anteil der Menschen betrifft, während andere Menschen fast unbeschadet sehr „erfolgreich“ altern. Der zelluläre Verlust der Betroffenen beginnt dabei vermutlich schon sehr früh. Wenn etwa ein Betroffener mit 60 oder 65 Jahren Anzeichen einer Demenz entwickelt, sind diese Symptome das Tüpfelchen auf dem I. Man geht davon aus, dass die Patienten zu diesem Zeitpunkt bereits seit bis zu zwanzig Jahren Nervenzellen verlieren. In dieser langen Zeit kann ihr Gehirn das aber durch geschickte Reorganisation der gesunden Zellen kompensieren. Aber auch wenn alles perfekt läuft: Die grauen Zellen nehmen mit dem Alter ab.
Um sich fit zu machen für den Zellabbau im Alter ist es gut, das Gehirn lebenslang aktiv zu halten. Resilienz, ein Schlagwort der Forschung, bedeutet, dass ein sehr „fittes“ Gehirn auch länger den Zellverlust wettmachen kann. Es geht dabei nicht allein um Intelligenz, sondern auch darum, inwieweit es zu ständigem Lernen kommt; vor allem, dass man lernt, mit neuen Situationen flexibel umzugehen. Das kann ein Schutzfaktor sein.
Gedächtnistraining – ein so genanntes Hirnjogging — allein führt übrigens nicht dazu, dass neue Nervenzellen entstehen. In einem Versuch mit Ratten hat man jedoch beobachtet, dass jene, die in einer bunten, abwechslungsreichen Umgebung leben, in der sie auch körperlich aktiv waren, in den gedächtnisrelevanten Hirnstrukturen eine erhöhte Anzahl von Zellen ausbildeten. Die Kombination von körperlicher Aktivität und geistiger Herausforderung scheint also einen positiven Einfluss auf die Nervenzellbildung zu haben. Ob das eins zu eins auf den Menschen übertragbar ist, muss sich noch zeigen, aber ein abwechslungsreiches aktives Leben anzustreben, ist sicher auch aus dieser Perspektive ein gutes Ziel. Und so modern die Forschung ist, ganz neu ist die Idee nicht. Bereits die Römer wussten: mens sana in copore sana.
Aufgezeichnet von Maike Niet
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Synapse
Synapse/-/synapse
Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Neurodegeneration
Neurodegeneration/-/neurodegeneration
Sammelbegriff für Krankheiten, in deren Verlauf Nervenzellen sukzessive ihre Struktur oder Funktion verlieren, bis sie teilweise sogar daran zugrunde gehen. Vielfach sind falsch gefaltete Proteine der Auslöser – wie etwa bestimmte Formen der Eiweiße Beta-Amyloid und Tau im Falle von Alzheimer. Bei anderen Krankheiten, beispielsweise bei Parkinson oder Chorea Huntington, werden Proteine innerhalb der Neurone nicht richtig abgebaut. In der Folge lagern sich dort toxische Aggregate ab, was zu den jeweiligen Krankheitserscheinungen führt. Während Chorea Huntington eindeutig genetisch bedingt ist, scheint es bei Parkinson und Alzheimer allenfalls bestimmte Ausprägungsformen von Genen zu geben, welche ihre Entstehung begünstigen. Keine dieser neurodegenerativen Erkrankungen kann bisher geheilt werden.
Demenz
Demenz/Dementia/dementia
Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.