Frage an das Gehirn
Verliert man durch Google Maps das Orientierungsvermögen?
Veröffentlicht: 26.03.2016
Fast jeder von uns nutzt inzwischen Navigationsgeräte oder Dienste wie Google Maps. Verlieren wird dadurch unser Orientierungsvermögen?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Toru Ishikawa, Center for Spatial Information Science, University of Tokyo: Es stimmt auf jeden Fall, dass viele Menschen sich Sorgen machen, dass die Nutzung von Navigationstechnologien das Orientierungsvermögen negativ beeinflusst. Bislang gibt es zwar keine eindeutigen Belege für solch einen schädlichen Effekt. Man kann jedoch einige plausible Vermutungen anstellen.
Menschen nehmen mobile Online-Landkarten wie Google Maps, die den Nutzer im Mittelpunkt darstellen, zum Beispiel anders wahr als Landkarten auf Papier. Nach einer Nutzung von Online-Karten kann man Distanzen und die Lage von Objekten zueinander oft schlechter einschätzen. Das könnte daran liegen, dass man sich weniger aktiv mit dem Navigationsvorgang und seiner Umgebung auseinandersetzt, aber auch daran, dass die Aufmerksamkeit ständig zwischen dem Gerät und der Umgebung hin und her springt.
Wenn man Navigationssysteme nutzt, die einem gar nur vorsagen, wo man langfahren oder wohin man gehen soll, verhält man sich noch passiver. In diesem Fall plant der Nutzer seine Route gar nicht mehr bildlich und trifft überhaupt keine spezifischen Navigationsentscheidungen. Ich gehe davon aus, dass dies das räumliche Wissen der Nutzer beeinflusst.
Aus unseren Studien wissen wir, dass das Orientierungsvermögen grundsätzlich von Person zu Person stark variiert. Die Karten in den Köpfen der Leute unterscheiden sich sehr; manche haben einfach einen guten Orientierungssinn und andere einen schwächeren. Man weiß auch, dass Menschen mit einem größeren Hippocampus bessere mentale Karten ihrer Umgebung konstruieren und sich auch flexibler und genauer in ihrer Umgebung zurechtfinden können.
Ob das eigene Navigationsverhalten dauerhafte Auswirkungen auf das Gehirn und den Orientierungssinn haben kann, ist eine andere Frage. Bei Taxifahrern zum Beispiel vergrößerten sich nach Jahren des Navigationstrainings Teile des Hippocampus. Und Menschen, die vorzugsweise mithilfe von verbalen Anweisungen navigieren, haben im Alter einen kleineren Hippocampus als solche, die aktivere Navigationsstrategien verwenden, welche den Hippocampus stärker fordern. Bislang hat allerdings niemand direkt untersucht, ob und wie sich das Gehirn nach Jahren der Navi-Nutzung verändert.
Wir wollen als nächstes untersuchen, wie sich das Orientierungsvermögen von Menschen, die sich schon seit längerer Zeit intensiv auf elektronische Navigationshilfen verlassen, von demjenigen anderer Leute unterscheidet, die solche Hilfen bislang nicht oder kaum nutzen. Ich vermute, dass es den Personen, die es gewöhnt sind, einfach den Richtungsangaben ihres Navis zu folgen, schwerer fallen wird, ein globales Bild von ihrer Umgebung zu formen. Mit anderen Worten, sie wissen vielleicht gar nicht, wo sie gerade sind.
Aufgezeichnet von Nora Schulz
Aufmerksamkeit
Aufmerksamkeit/-/attention
Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.
Hippocampus
Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio
Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-CA4.
Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.