Frage an das Gehirn

Warum haben wir Angst vor Spinnen?

Fragesteller/in: Michael S.

Veröffentlicht: 21.11.2016

Warum entwickeln Menschen in Deutschland eine Angst vor Spinnen - obwohl doch von diesen Tieren keine echte Gefahr ausgeht?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Dr. med. Jens Plag, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Stellvertretender Leiter der Spezialambulanz und Arbeitsgruppe für Angsterkrankungen an der Charité Berlin: Tatsächlich stellen Angsterkrankungen in ihrer Gesamtheit gegenwärtig die häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland dar. Entsprechend dem aktuellen Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation, dem ICD-10, werden unter den Angststörungen die Panikstörung, die Agoraphobie, die Generalisierte Angststörung, die soziale Phobie und die spezifischen (isolierten) Phobien zusammengefasst. Gemeinsames Merkmal aller Subtypen ist eine Angstreaktion, die entweder bezüglich ihres Auslösers oder hinsichtlich ihrer Ausprägung im jeweiligen soziokulturellen Kontext inadäquat ist.

Spezifische Phobien, zu denen auch die Angst vor Spinnen (als so genannte „Arachnophobie“) gehört, können sich prinzipiell auf jede Situation bzw. jedes Objekt der Lebensumwelt des/der Betroffenen beziehen. Vor diesem Hintergrund sind einige phobische Stimuli häufiger anzutreffen bzw. erscheinen hinsichtlich ihrer potentiellen Bedrohung nachvollziehbarer (wie z.B. Unwetter, Blut, Hunde, Höhe). Während diese dann oft unter eine der vier traditionellen Subkategorien („Naturgewalten“-, „Tier“-, „Blut-Injektions-Verletzungs“- und „Situativer“-Typ) subsummiert werden können, steht für alle anderen, teils exotisch anmutenden spezifisch-phobischen Ängste (z.B. die „Coulrophobie“ – Angst vor Clowns) eine Restkategorie zur Verfügung.

Die Arachnophobie stellt in diesem Kontext tatsächlich eine Besonderheit dar. Zum einen ist sie eine der eher wenigen spezifischen Phobien, bei der neben der Angst auch der Ekel als Gefühl eine wichtige, wenn nicht dominierende Rolle spielt. Zum anderen ist sie auch in Regionen der Welt sehr häufig anzutreffen, in denen Spinnen keine vitale Gefahr darstellen bzw. dargestellt haben. Man geht gegenwärtig jedoch davon aus, dass die Arachnophobie (zusammen z.B. mit der phobischen Angst vor Blitz und Donner) eine der Phobien mit einer so genannten phylogenetischen Grundlage ist, d.h. dass sie sich im Laufe der Evolution des Menschen herausgebildet hat.

Dies legt wiederum nahe, dass die arachnophobische Reaktion unter bestimmten Bedingungen (z.B. einer an Giftspinnen reichen, jedoch an entsprechenden Schutzmaßnahmen armen Umwelt) durchaus einen Überlebensvorteil mit sich bringt. Doch wie erklären sich die vielen Arachnophiker im heutigen Deutschland bzw. Europa?

Hierzu gibt es bis heute leider keine Studien bzw. Untersuchungen und entsprechend keine abschließende Erklärung. Ein geläufiges Modell postuliert, dass die Arachnophobie ein genetisches „Überbleibsel“ von Ahnen aus entsprechenden Risikogebieten ist, die im Rahmen von Völkerwanderungen in den Norden immigriert sind. Eine andere Annahme stellt eher den „Überraschungseffekt“ von Spinnen in den Vordergrund der phobischen Entwicklung. Da sie aus dunklen Ecken und Nischen plötzlich auftauchen können, sei eine Konfrontation nicht vorhersehbar oder kalkulierbar, was wiederum Angst verursache.

Ein „Kontrollverlust“ steht auch im Zentrum einer älteren psychoanalytischen/psychodynamischen Theorie der Arachnophobie. Diese besagt, dass durch die Fähigkeit, ihre acht Beine unabhängig voneinander zu steuern, die Bewegungen von Spinnen optisch nur schwer nachzuvollziehen bzw. zu kontrollieren sei. Dies Verursache vor allem bei eher sicherheitsbedürftigen Menschen, die eine hohe Unsicherheitsintoleranz besitzen, eine Angstreaktion.

Antwort aufgezeichnet von Helge Hasselmann.

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