Frage an das Gehirn
Warum schwanke ich beim Yoga mit geschlossenen Augen?
Veröffentlicht: 06.12.2014
Wenn ich beim Yoga die Augen schließe, schwanke ich mehr, als wenn ich die Augen offen habe und einen bestimmten Punkt fixiere. Manchmal passiert das sogar bei einer vermeintlich einfachen Stellung wie der Berg-Position. Andere, mit mehr Yoga-Erfahrung, haben solche Gleichgewichtsprobleme eher nicht – warum?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Antwort von: Dr. Julius Verrel, Projektleiter Sensomotorische und kognitive Entwicklung und Bewegungslabor, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin:
Um das Gleichgewicht zu halten, verarbeitet unser Gehirn sensorische Informationen aus vier verschiedenen Quellen: Das Gleichgewichtsorgan im Innenohr lässt uns die Richtung der Erdanziehungskraft wahrnehmen, also wo oben und unten ist, und auch die Beschleunigung und Rotation des Kopfes im Raum (Ein Labyrinth fürs Gleichgewicht). Dann gibt es die Tiefensensibilität (Der sechste Sinn): Dabei nehmen wir den Zustand unserer Muskeln im Körper wahr, also deren Länge und Spannung, woraus das Nervensystem auf die Gelenkstellungen schließen kann.
Außerdem gibt es taktile Informationen, über die wir wahrnehmen, wie sich das Gewicht beim Stehen auf den Fußsohlen verteilt. Und schließlich helfen auch visuelle Eindrücke bei der Balance: Wenn man die Augen offen hat und einen Punkt fixiert, gleichzeitig aber zum Beispiel nach vorne kippt, dann muss die Blickrichtung angepasst werden, um den Punkt weiter zu fixieren, d.h. das Auge muss sich bewegen. Diese Information hilft dem Gehirn ebenfalls, zu merken, dass und in welche Richtung man sich gerade bewegt.
All diese Informationen „verrechnet“ das Gehirn miteinander, um zu schätzen, in welchem Zustand der Körper sich gerade befindet und ob dieser sich von der gewünschten Haltung unterscheidet. Die Berg-Position im Yoga sieht eigentlich recht einfach aus: Man steht gerade da, mit beiden Beinen am Boden, die Arme neben dem Oberkörper, den Blick geradeaus. Aber selbst hier kann man schwanken: Man atmet, das Herz schlägt – kleinste Bewegungen können uns theoretisch aus dem Gleichgewicht bringen, denn unsere Standfläche ist im Vergleich mit der Körpergröße klein.
Und anders als Wolkenkratzer oder Bäume sind wir nicht fest im Boden verankert, sondern müssen unser Gleichgewicht durch kleine Ausgleichsbewegungen aktiv stabilisieren. Wenn man nun die Augen schließt, dann fehlt ein Teil der Information. Es fehlt der visuelle Fixpunkt, wodurch es für das Nervensystem schwieriger wird, passende Ausgleichsbewegungen „auszuwählen“.
Gerade bei Yoga-Anfängern dürfte das passieren: Weil es sich um eine neue Bewegungsaufgabe handelt, versteift man sich wie ein Brett und nutzt deswegen eigentlich nur noch die Fußgelenke, um das leichte Wackeln des Körpers auszugleichen. Dabei hat der Körper viele Gelenke und Muskeln, das heißt: Im Prinzip kann eine bestimmte Bewegung auf verschiedene Arten ausgeführt werden, je nachdem, welche Gelenke man nutzt. Freiheitsgrade sagen wir dazu.
Es wurde mehrfach gezeigt – auch von meinen Kollegen und mir –, dass der Spielraum, der sich aus diesen Freiheitsgraden ergibt, auch beim ruhigen Stand genutzt wird, um die Balance zu halten. Eine andere Studie hat ergeben, dass Teilnehmer beim Erlernen einer neuen Balance-Aufgabe – sie mussten auf einem schmalen Balken stehen – die Freiheitsgrade zunächst „einfroren“. Im Verlauf des Trainings lernten sie aber, sie differenzierter einzusetzen, um das Gleichgewicht zu halten.
Insofern vermute ich, dass es auch beim Yoga mit der Zeit leichter wird, kleine Schwankungen auszugleichen: Zum einen lernt das Nervensystem durch die Erfahrung mit geschlossenen Augen, besser ohne visuelle Informationen die Balance zu halten. Zum anderen verbessert sich möglicherweise das Körpergefühl und damit die innere Repräsentation der jeweils einzunehmenden Haltung, wodurch die Ausgleichsbewegungen einfacher werden.
Aufgezeichnet von Franziska Badenschier
Vestibularapparat
Vestibularapparat/Organon vestibulare/vestibular organ
Das Gleichgewichtsorgan ist Teil des Innenohres. Es hat seine Sensoren in den Bogengängen. Als Teil des Gleichgewichtssystems spürt er kreisförmige Umdrehungen (Rotationen), Beschleunigung und Schwerkraft (Gravitation) auf.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.