Frage an das Gehirn

Warum vergessen wir?

Veröffentlicht: 07.07.2019

Wenn das Gehirn wirklich so toll ist, warum können wir uns nicht alles merken und für immer behalten? Das möchte ein Realschüler aus der 8. Klasse gerne wissen.

Die Antwort der Redaktion lautet:

Magdalena Sauvage, Neurowissenschaftlerin am Leibniz Institut für Neurobiologie in Magdeburg

Dazu muss man zunächst wissen: Es gibt verschiedene Arten von Gedächtnis. Wir haben das episodische Gedächtnis, in dem wir Erinnerungen an einmalige Ereignisse, etwa an den letzten Geburtstag speichern. Daneben gibt es das semantische Gedächtnis. Dazu gehört etwa, dass wir wissen, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist. Wir erinnern uns nicht mehr, wann und wie wir das gelernt haben, aber wir wissen, dass es so ist. Wir sprechen von einer „Kenntnis“. Grundsätzlich verlieren wir Kenntnisse nicht so leicht wie episodische Erinnerungen.

Letztlich ist nicht genau bekannt, wie wir vergessen. Es gibt aber verschiedene Theorien darüber. Eine besagt, dass wir vergessen, damit wir uns neue Dinge merken können. Es könnte also eine Frage der Speicherkapazität unseres Gehirns sein. Es ist aber nicht belegt, dass unser Gehirn ein oberes Limit hat.

Eine andere Theorie besagt, dass wir im Laufe der Zeit vor allem die Details der vergangenen Geschehnisse vergessen. Die Erinnerungen verblassen. Diese Details könnten aber wichtig sein, damit sich unsere Erinnerung zusammensetzt und somit abgerufen werden kann. Zum Beispiel habe ich ein Foto mit einem weißen Kleid an der Wand. Das Kleid erinnert mich daran, dass es mir meine Mutter letztes Jahr geschenkt hat. Wenn aber das weiße Kleid aus dem Gedächtnis gelöscht ist, weiß ich auch nicht mehr, was mir meine Mutter letztes Jahr geschenkt hat.

Das Verblassen von Erinnerungen rührt daher, dass unser Gedächtnis auf Netzwerke im Gehirn verteilt ist. Langzeiterinnerungen sind vor allem in der Großhirnrinde (Cortex) gespeichert. Frische Erinnerungen werden zunächst im Hippocampus abgelegt und dann in konsolidierter Form in den Cortex überschrieben. Aber der Hippocampus ist wahrscheinlich weiterhin auch wichtig, um sich an zurückliegende Ereignisse zu erinnern. Wir konnten zum Beispiel zeigen, dass es im Hippocampus vier verschiedene Areale mit unterschiedlichen Funktionen gibt. Drei darunter heißen CA1, CA2 und CA3. CA3 ist besonders wichtig, um basierend auf Details wie dem weißen Kleid die Erinnerung zu komplettieren.  Wir sprechen von Mustervervollständigung, „pattern completion“. Kognitive Leistungen des CA3 sind jedoch sehr zeitempfindlich. Die Details in dem Areal verblassen im Laufe der Zeit, sodass CA3 die Erinnerungen nicht mehr richtig zusammenfügen kann.

Wie gut wir uns erinnern, hängt aber auch davon ab, wie stark die Gedächtnisspur ist. Wenn ein Ereignis sehr emotional war, erinnern wir es lebhaft, weil es für uns wichtig ist. Die Verbindungen zwischen den Neuronen sind dann stärker ausgebildet. Deshalb entsinnen wir uns des Tags, an dem unsere Katze starb, aber nicht daran, was wir vor drei Monaten in der Tageszeitung gelesen haben. Die Amygdala, der Sitz unsere Gefühle, drückt den Erinnerungen einen positiven oder negativen Stempel auf, wenn sie für uns mit bestimmten Emotionen verbunden waren. Die Geburtstagsfeier ist eine positive Erinnerung, der Tod der Katze traurig und negativ.

Unter chronischem Stress allerdings schrumpft der Hippocampus, wie wir von Kriegsheimkehrern wissen. Sie haben einen kleineren Hippocampus. Und das beeinflusst auch das Erinnerungsvermögen. Im chronischen Stress behalten wir Geschehnisse viel schlechter als im ausgeruhten Zustand. Das liegt daran, dass die Stresshormone, die Corticosteroide, dafür sorgen, dass die Dendriten zwischen den Nervenzellen verkümmern und letztlich viel kürzer sind. Mitunter kommt es auch zum Zelltod. Gestresste Menschen behalten erst gar nicht so viel und vergessen schneller.

Man könnte meinen, wenn man Erinnerungen oft erzählt oder in ein Tagebuch schreibt, dass man sie sich besser merkt. Aber das ist keineswegs so. Je mehr wir uns versuchen zu erinnern, desto weniger akkurat wird die Erinnerung. Denn das Gedächtnis wird im Moment unseres Versuches, uns zu entsinnen, überschrieben. Das ist auch eine Art von Vergessen. Deshalb sollte man Zeugen auch nur einmal und zwar möglichst unmittelbar nach einer Tat befragen.

Aufgezeichnet von Susanne Donner

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Hippocampus

Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio

Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-​CA4.

Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.

Engramm

Engramm/-/engram

Ein Engramm, auch als Gedächtnisspur bezeichnet, ist eine neuronale Entsprechung von Gedächtnisinhalten. Es wird vermutet, dass Lernprozesse auf strukturellen Veränderungen in synaptischen Verbindung von Neuronen beruhen.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

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