Question to the brain
Was macht Hitze mit dem Gehirn?
Published: 22.07.2024
Ich habe gelesen, dass sich Hitzewellen auf psychische Erkrankungen auswirken können. Wie das? Kann das auch Gesunde betreffen?
The editor's reply is:
Dr. Hans Knoblauch und Dipl.-Psych. Monika Stöhr, ZfP Südwürttemberg, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie I der Universität Ulm, Abteilung Allgemeine Psychiatrie Wangen und Arbeitsgruppe Klimawandel und psychische Gesundheit: Hitzewellen wirken sich in verschiedener Art und Weise auf Menschen mit psychischer Erkrankung aus. Menschen mit einer psychischen Erkrankung sind tatsächlich eine besonders vulnerable Gruppe, die also sensibler und empfindlicher auf Hitze reagieren und diese nicht so gut regulieren können. Es gibt bestimmte psychische Erkrankungen, insbesondere die Schizophrenie, die damit einhergehen, dass die Thermoregulation gestört ist. Es ist noch nicht abschließend geklärt, was zu dieser gestörten Thermoregulation führt, aber Menschen mit einer Schizophrenie haben häufig Schwierigkeiten angemessen auf Hitze zu reagieren und sich davor zu schützen. Dadurch erhöht sich das Risiko, eine Hitze-Folgeerkrankung zu erleiden oder in einer Hitzewelle zu versterben.
Durch die Gabe von Psychopharmaka wie Antidepressiva und Antipsychotika wird zusätzlich in die Thermoregulation der Patienten und Patientinnen eingegriffen. Dies geschieht beispielsweise auf der Ebene des Gehirns im Hypothalamus oder des Gefäßtonus, also die Weite der Blutgefäße. Psychopharmaka greifen in diese Systeme intensiv ein und beeinflussen die Fähigkeit des Körpers sich an Hitze anzupassen. Auch die Photosensitivität der Haut wird durch manche Psychopharmaka erhöht, so dass schneller Hautschäden auftreten können.
In verschiedenen Studien wurde festgestellt, dass in Hitzewellen vermehrt Suizide auftreten, wobei noch nicht geklärt ist, woran das genau liegt. Menschen in einer manischen Episode, die in dieser Phase einen vermehrten Antrieb haben und weniger kritikfähig sind, können sich in Hitzewellen total verausgaben, nicht genug trinken und dadurch „überhitzen“. Gleiches gilt auch für Menschen mit einer Demenzerkrankung, die ohnehin häufig zu wenig trinken. Dadurch tritt eine Dehydrierung eher auf und es kann zu einem deliranten Zustand kommen, also einem schweren Verwirrtheitszustand.
Hitze stellt aber selbst für gesunde Menschen ein Gesundheitsrisiko dar, vor allem für jene, die im Freien arbeiten oder Sport treiben und damit besonders exponiert sind. Auch bei gesunden Menschen wirkt sich Hitze nachteilig auf diverse Organfunktionen einschließlich des Gehirns aus. Konzentrations-, Merk-, Problemlöse- und Entscheidungsvermögen haben sich in Studien bei Hitze als reduziert dargestellt. Die genauen Auswirkungen von Hitze auf das Gehirn werden derzeit erforscht, wobei es unter anderem Hinweise auf eine Störung der Blut-Hirn-Schranke und angeschobene Entzündungsprozesse gibt.
Hitzewellen erhöhen die Mortalität, also die Übersterblichkeit durch Hitze im Bezug auf einen Vergleichszeitraum. Im Jahr 2003, in dem es in Europa einen extremen Hitzesommer gab, sind etwa 70.000 Menschen an den Folgen der Hitze verstorben. Das war die größte Naturkatastrophe mit den meisten Todesfällen in Europa nach 1908, dem Jahr des Erdbebens in Messina. Mittlerweile kann man diese erhöhte Mortalität durch Hitzewellen für jedes Jahr berechnen. So kam es 2022 zu ca. 60.000 hitzebedingten Todesfällen in Europa.
Hitzewellen sind dadurch gekennzeichnet, dass es nicht nur einzelne Tage, sondern mehrere Tage hintereinander heiß ist. Diese Zeit bringt sogenannte Tropennächte mit sich, in denen es sich nicht richtig abkühlt und viele Menschen nicht mehr den nötigen Schlaf und die Erholung finden, was sich auf Menschen mit psychischer Erkrankung nochmal besonders nachteilig auswirkt.
Für die Entstehung vieler psychischer Erkrankungen geht man von einem Vulnerabilitäts-Stress-Erklärungsmodell aus. Kommt also bei einer gewissen Vulnerabilität genug Stress hinzu, kann eine erneute Episode einer psychischen Erkrankung ausgelöst werden. Hitzewellen sind ein denkbarer Stressfaktor, der die psychische Belastung erhöht. Bei diesen Fragestellungen gibt es aber noch hohen Forschungsbedarf.
Die vermehrten Hitzewellen, die wir als Folge des menschengemachten Klimawandels erleben sind durchaus auch für Menschen ohne bisherige psychische Erkrankung Anlass für Klimaängste, Klimasorgen oder andere Klimaemotionen. Da spielt auch die Solastalgie, also das schmerzliche Vermissen der Heimat, wie man sie kannte, eine Rolle, die Menschen jeden Alters betreffen kann.
Aufgezeichnet von Stefanie Flunkert
Hypothalamus
Hypothalamus/-/hypothalamus
Der Hypothalamus gilt als das Zentrum des autonomen Nervensystems, er steuert also viele motivationale Zustände und kontrolliert vegetative Aspekte wie Hunger, Durst oder Sexualverhalten. Als endokrine Drüse (die – im Gegensatz zu einer exokrinen Drüse – ihre Hormone ohne Ausführungsgang direkt ins Blut abgibt) produziert er zahlreiche Hormone, die teilweise die Hypophyse hemmen oder anregen, ihrerseits Hormone ins Blut abzugeben. In dieser Funktion spielt er auch bei der Reaktion auf Schmerz eine wichtige Rolle und ist in die Schmerzmodulation involviert.
Blut-Hirn-Schranke
Blut-Hirn-Schranke/-/blood brain barrier
Eine selektiv durchlässige Membran, die von den Zellen in den Wänden der kapillaren Blutgefäße im Gehirn gebildet wird. Sie verhindert das Eindringen von Schadstoffen über das Blut, erlaubt jedoch den Übergang von Nährstoffen aus dem Blut ins Gehirn.