Frage an das Gehirn
Wie funktioniert eine Vollnarkose?
Veröffentlicht: 12.09.2021
Welche Wirkmechanismen lassen uns bei einer Vollnarkose die OP verschlafen?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Dr. Bernd Schoenes, Oberarzt in der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Klinikum Darmstadt: Gehen wir den Prozess einmal durch. Für manche, sehr aufgeregte Patienten beginnt es mit einem Beruhigungsmittel. Im OP-Saal selbst werden dann die Kreislaufüberwachung und Infusionen vorbereitet. Die Lunge wird mit Sauerstoff gefüllt, damit die Patienten etwas länger versorgt sind, wenn der Patient durch die Narkose nicht mehr selbst atmet.
Die Vollnarkose an sich steht auf drei Säulen: Als erstes wären Schmerzmittel zu nennen. Hierfür nutzen wir Opiate, also Substanzen, die ursprünglich aus Klatschmohnextrakt gewonnen wurden. Heutzutage werden sie aber in Form von Opioiden künstlich hergestellt, wie etwa Fentanyl. Je nachdem, welche Mittel wir einsetzen, wirken sie länger oder kürzer. Manche Mittel verabreichen wir kontinuierlich während der Operation. Welche Substanz wir verwenden, hängt von der Art und der Dauer des Eingriffs ab.
Im Körper binden die Opiate an spezielle Opiatrezeptoren, die für die Schmerzwahrnehmung da sind, und blockieren sie. So können die Nervenzellen die Schmerzsignale nicht an die Stellen im Gehirn leiten, wo die Schmerzen normalerweise verarbeitet werden. Mit hohen Dosen können wir erreichen, dass die Patienten überhaupt keine Schmerzen verspüren.
Es gibt allerdings auch Nebenwirkungen. Eine davon ist die sogenannte Atemdepression. Die Patienten atmen dann nicht mehr von selbst, sondern müssen künstlich beatmet werden.
An zweiter Stelle steht ein Schlafmittel. Es kommt dazu, wenn das Opiat wirkt. Wir nutzen dazu meist Propofol, das gut verträglich ist. Das Medikament bindet vor allem an GABA-Rezeptoren. Das sind Bindestellen an Nervenzellen, die eine beruhigende Wirkung vermitteln. Die Patienten fallen in einen tiefen Schlaf – tiefer als der normale Nachtschlaf.
Warum diese Schlafmittel wirken, ist noch nicht bis ins letzte Detail erforscht, es gibt verschiedene Theorien dazu. Wir wissen aber, dass durch das Schlafmittel die normale Aktivität der Nervenzellen gestört wird. Im Wachzustand haben wir eine mehr oder weniger gerichtete Aktivität, die weder rhythmisch noch chaotisch ist. Wird dieses komplexe Zusammenspiel der Nervenzellen unterbrochen, verlieren wir das Bewusstsein.
Als dritte Säule kommen noch Muskelrelaxanzien hinzu. Bei manchen Narkosen ist es zudem nötig, die Muskeln zu lähmen. Muskelrelaxanzien wirken dosisabhängig auf die Skelettmuskeln, aber auch auf die Atemmuskulatur. Diese Medikamente sind unter anderem wichtig, wenn Patienten einen Beatmungsschlauch benötigen. Die natürlichen Abwehrmechanismen sind so stark, dass eine solche Intubation ohne Muskellähmung nicht möglich wäre. Auch bei bestimmten Operationen ist es notwendig, dass die Muskeln komplett gelähmt sind, etwa bei Eingriffen am Bauch.
Während der Vollnarkose werden die Patienten kontinuierlich beatmet, oft durch den Beatmungsschlauch, bei kurzen Operationen manchmal auch nur über eine Maske. Zudem wird ständig überwacht, wie tief die Narkose ist. Gerade bei längeren Operationen nutzen wir Narkosegase, meistens den Fluorchlorkohlenwasserstoff Sevofluran. Auch das Gas stört die gerichtete Aktivität der Nervenzellen. Es ermöglicht uns außerdem, die Narkosetiefe genau zu regulieren. Während der Vorbereitungen und gegen Ende der Operation brauchen die Patienten nur eine weniger tiefe Narkose, und so können wir die Vollnarkose schon gegen Ende des Eingriffs abflachen.
Aufgezeichnet von Stefanie Uhrig.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.