Frage an das Gehirn

Wie hängen Lesegeschwindigkeit und IQ zusammen?

Fragesteller/in: Martin Gerwin fragt

Veröffentlicht: 14.02.2021

Der Weltrekord im Schnellesen liegt derzeit bei 4251 Wörtern pro Minute. Stimmt es, dass jeder normal intelligente Mensch das durch Üben erreichen kann?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Prof. Dr. Ralph Radach, Leiter des Lehrstuhls für Allgemeine und Biologische Psychologie an der Bergischen Universität Wuppertal: Wenn die Frage nur lautet, ob es einen Zusammenhang zwischen Lesegeschwindigkeit und dem I ntelligenzquotienten (IQ) gibt, dann lautet die kurze Antwort: Ja. Dennoch ist der Zusammenhang bei nähere m Betracht en natürlich deutlich komplexer. Grundsätzlich bezeichnet der IQ nichts anderes als das Niveau unserer geistigen Fähigkeiten und der Intelligenztest ist erst einmal ein diagnostisches Verfahren.

Die gängigen IQ-Tests fragen Komponenten des Leseverständnisses ab. Dazu zählen beispielsweise Wortschatztests, allgemeine Verständnistests sowie Analogieaufgaben. Das sind Aufgaben, die Verständnisprozesse abbilden, wie sie beim Verständnis eines Textes ebenfalls gebraucht werden. Deswegen wird ein Teil der Aufgaben innerhalb eines solchen Textes auch zusammengefasst zu m Bereich der v erbalen Intelligenz. Es gibt sogar einen Test, mit dem man durch Wortwissen die Intelligenz in 5 Minuten einigermaßen gut abschätzen kann.

Betrachtet man jetzt eine bestimmte Personengruppe hinsichtlich ihres IQs, wird man feststellen, dass diese eine große Spanne aufweist. Die gleiche Gruppe wird auch eine Spannbreite in der üblichen Lesegeschwindigkeit aufweisen: von sehr mühsamem buchstabierenden Lesen bis hin zu einem Speed Reading mit rund 1000 Wörtern pro Minute.

Zwischen diesen beiden Bereichen gibt es keine sehr hohe, aber durchaus bedeutsame Korrelation, weil die Individuen, die schnell lesen können, in der Tendenz intelligenter sind – und umgekehrt. Denn die geistige Leistungsfähigkeit umfasst auch immer eine Geschwindigkeitskomponente, die man mentales Tempo nennen kann.

Gleichzeitig ist es so, dass eine typische Lesegeschwindigkeit nur schwer zuverlässig gemessen werden kann. Sie hängt unter anderem von der Tagesform ab und den konkreten Zielen der lesenden Person. Wir verwenden deswegen in Untersuchungen für alle den gleichen Text und stellen Fragen zum Textverständnis. Die Test person wählt ihr Tempo selbst, so dass sie die Fragen beantworten kann. Aber schon Art der Verständnisfragen hat einen Einfluss darauf, wie schnell die Person liest. Das bedeutet, dass es einen unlösbaren Zusammenhang unter anderem zwischen dem Lesetempo, dem Verständnisniveau und der Motivation gibt. Die reine Lesegeschwindigkeit sagt wenig über das Textverständnis oder sogar die Tiefe des Verständnisses aus.

Durch reines Speed-Reading ist insgesamt keine Steigerung des IQ, also des Niveaus der geistigen Fähigkeiten, möglich. Was aber generell hilft: Viel Lesen! Und zwar Lesen, um zu lernen. Weil Lesen das Werkzeug zum Wissenserwerb ist. Wer also viel liest, wird aus mehreren Gründen schneller werden. Zunächst, weil sich die Erkennung von schwierigen Wörtern und Wendungen nach und nach automatisiert. Gleichzeitig erwirbt man Techniken, mit denen der Text besser strukturiert und zu Sinneinheiten verdichtet wird. Aber der Haupteffekt ist, dass mehr Wissen erworben wird, und wer über ein Thema schon mehr weiß, kann einen Text dazu auch schneller lesen.

 

Aufgezeichnet von: Anke Lorenz-Hoppe

Intelligenzquotient

Intelligenzquotient (IQ)/-/intelligence quotient

Kenngröße, die das intellektuelle Leistungsvermögen eines Menschen ausdrücken soll. Entsprechende Tests zur Ermittlung der Intelligenz gehen mit dem Konzept einher, dass ein allgemeiner Generalfaktor der Intelligenz existiert, der in der Bevölkerung normal verteilt ist. Die ersten IQ-​Tests wurden Anfang des 20. Jahrhunderts von Alfred Binet entwickelt, der damit das relative Intelligenzalter von Schulkindern bestimmen wollte. Seiner Definition zufolge bezeichnet der IQ den Quotienten aus Intelligenzalter und Lebensalter multipliziert mit 100. Dies ist demnach auch der durchschnittliche IQ eines Menschen. 95 Prozent der Bevölkerung liegen mit ihren IQ-​Werten zwischen 70 und 130. Erreicht jemand einen Wert unter 70, spricht man von Intelligenzminderung, während ein Ergebnis jenseits der 130 als Hochbegabung gilt.

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