Frage an das Gehirn

Wie wirkt sich Alkoholkonsum auf das Ungeborene aus?

Fragesteller/in: Christine Ziegelmayer per E-Mail

Veröffentlicht: 26.04.2014

Wenn Mütter während der Schwangerschaft Alkohol zu sich nehmen, kann sich das sehr negativ auf das ungeborene Kind auswirken. Mich würde interessieren, worin genau die Folgen bestehen können?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von: Prof. Dr. Hans-​Ludwig Spohr, Zentrum für Menschen mit angeborenen Alkoholschäden, Charité Universitätsmedizin Berlin.

Alkohol ist ein Zellgift, auf das ein Embryo besonders empfindlich reagiert. Wenn die Mutter während der Schwangerschaft trinkt, dann können beim Kind viele Schäden entstehen. Wir Mediziner nennen diese Krankheit Fetales Alkoholsyndrom (FAS). Ich beschäftige mich mit dem Thema seit 30 Jahren. Früher haben wir gedacht, dass das Syndrom nur auftritt, wenn die Mutter schwere Alkoholikerin ist. Inzwischen wissen wir aber: Auch Schwangere, die sich einmal die Woche betrinken, können alkoholgeschädigte Kinder bekommen. Wie viel Alkohol kann eine Schwangere bedenkenlos trinken? Wir kennen die Grenze nicht. Studien zeigen aber, dass bereits ein Glas Wein pro Tag Auswirkungen auf das Kind haben kann. Deshalb ist mein dringender Rat an jede Schwangere: Verzichten Sie komplett auf Alkohol!

Menschen mit Fetalem Alkoholsyndrom sind oft sehr klein gewachsen, und ihr Kopf ist im Verhältnis zum Körper noch mal kleiner, wir sprechen von einem Microcephalus. Einige Kinder haben ein auffälliges Gesicht, sie haben schmale Augen, eine schmale Oberlippe, eine kurze Nase und oft keine Mittelrinne zwischen Nase und Oberlippe. Doch bei etwa 80 Prozent der FAS-​Patienten ist das Syndrom nicht im Gesicht erkennbar.

Wenn die Mutter während der Schwangerschaft viel Alkohol trinkt, dann wird besonders die Entwicklung des Gehirns des heranwachsenden Embryos gestört. Doch nicht jeder FAS-​Patient ist geistig behindert. Im Erwachsenenalter hat nur etwa jeder Dritte einen Intelligenzquotienten von 70 oder weniger. Alle Menschen, die unter dem Syndrom leiden, zeigen allerdings Verhaltensauffälligkeiten. Wir sprechen von einer exekutiven Funktionsstörung: Automatismen, wie etwa Autofahren, fallen ihnen meist leicht. Dagegen bereiten ihnen Dinge, die bewusste Denkweisen erfordern, große Schwierigkeiten. Sie können nur schwer ihre Aufmerksamkeit steuern. Ihnen gelingt es kaum, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Zudem fällt es ihnen schwer, sich Ziele zu setzen und Entscheidungen zu treffen. Außerdem können sie Erfahrungen nicht gut speichern, so machen sie immer wieder das Gleiche falsch.

Diese Probleme begleiten die FAS-​Patienten meist ihr Leben lang. Eine Diagnose des Syndroms hilft ihnen sehr: So können sie begreifen, dass ihre Schwierigkeiten nicht an ihnen liegen, sondern dass sie eine Krankheit haben, mit der sie umzugehen lernen müssen.

Nun zu der Frage, welche Gehirnbereiche vom FAS betroffen sind. Im Prinzip leidet das gesamte Gehirn des Embryos unter dem Alkohol während der Schwangerschaft. Unter dem Mikroskop kann man sehen, dass die Ausläufer der Nervenzellen, die Dendriten, ein nicht so dichtes Netz bilden wie üblich. Das wirkt sich auf alle Hirnbereiche aus. Manche sind allerdings in besonderem Maße betroffen: Aus Tierversuchen wissen wir, dass sich vor allem das Frontal– und das Parietalhirn nicht so gut entwickeln, wenn der Embryo in der Schwangerschaft Alkohol ausgesetzt war. Das passt zu den genannten Verhaltensauffälligkeiten, denn diese Bereiche sind wichtig für Entscheidungsprozesse. Auch der Hippocampus ist oft weniger entwickelt, diese Struktur ist wichtig für die Gedächtnisbildung.

Antwort aufgezeichnet von Ragnar Vogt

Nase

Nase/Nasus/nose

Das Riechorgan von Wirbeltieren. In der Nasenhöhle wird die Luft durch Flimmerhärchen gereinigt, im oberen Bereich liegt das Riechepithel, mit dem Gerüche aufgenommen werden.

Intelligenzquotient

Intelligenzquotient (IQ)/-/intelligence quotient

Kenngröße, die das intellektuelle Leistungsvermögen eines Menschen ausdrücken soll. Entsprechende Tests zur Ermittlung der Intelligenz gehen mit dem Konzept einher, dass ein allgemeiner Generalfaktor der Intelligenz existiert, der in der Bevölkerung normal verteilt ist. Die ersten IQ-​Tests wurden Anfang des 20. Jahrhunderts von Alfred Binet entwickelt, der damit das relative Intelligenzalter von Schulkindern bestimmen wollte. Seiner Definition zufolge bezeichnet der IQ den Quotienten aus Intelligenzalter und Lebensalter multipliziert mit 100. Dies ist demnach auch der durchschnittliche IQ eines Menschen. 95 Prozent der Bevölkerung liegen mit ihren IQ-​Werten zwischen 70 und 130. Erreicht jemand einen Wert unter 70, spricht man von Intelligenzminderung, während ein Ergebnis jenseits der 130 als Hochbegabung gilt.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

Hippocampus

Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio

Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-​CA4.

Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.

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