Alzheimer: Nervenzellen sind‘s nicht allein – auch Gliazellen produzieren schädliche Proteine

© Andrew Octavian Sasmita Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften
Bei Alzheimer bilden nicht nur Nervenzellen das Protein Beta-Amyloid (blau), das zu schädlichen Plaques verklumpt: Auch spezielle Gliazellen des Gehirns – die Oligodendrozyten (orange) – produzieren das Protein. Weiß gefärbt ist das isolierende Myelin.

Gedächtnisverlust, Verwirrtheit, Sprachstörungen – die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache von Demenz und betrifft weltweit rund 35 Millionen Menschen, Tendenz steigend. Eine Schlüsselrolle in der Erkrankung spielt das Protein Beta-Amyloid, das natürlicherweise im Gehirn vorkommt: Es lagert sich in Betroffenen zu unlöslichen Klumpen zusammen, setzt sich in Form von Plaques zwischen Nervenzellen im Gehirn ab und schädigt diese. Forschende am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften konnten nun zeigen, dass im Gehirn nicht nur Nervenzellen, sondern auch Gliazellen Beta-Amyloid-Proteine produzieren. Dies könnte neue Ansätze für zukünftige Therapien bieten.

Quelle: Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung

Veröffentlicht: 09.08.2024

Alzheimer ist nicht heilbar. Doch es gibt Therapieansätze, mit denen sich die Amyloid-Plaques im Gehirn reduzieren lassen. Das kann das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen, aber nicht rückgängig machen oder stoppen. „Bisher waren Nervenzellen als vermeintliche Hauptproduzenten von Beta-Amyloid ein Hauptangriffspunkt für neue Medikamente“, erklärt Klaus-Armin Nave, Direktor am MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften. Ergebnisse aus seiner Abteilung Neurogenetik zeigten jetzt: Neben Nervenzellen spielen auch bestimmte Gliazellen, sogenannte Oligodendrozyten, eine wichtige Rolle beim Entstehen von schädlichen Plaques.

„Die Aufgabe der Oligodendrozyten ist es unter anderem, Myelin – eine isolierende Schicht – zu bilden und diese zum schnelleren Übertragen von Signalen um die Nervenfasern zu wickeln“, erläutert Andrew Octavian Sasmita, einer der Erstautor*innen der jetzt in Nature Neuroscience veröffentlichten Arbeit und ehemaliger Doktorand der Abteilung Neurogenetik. Die Göttinger Forschungsgruppe hatte bereits in einer früheren Studie entdeckt, dass defektes Myelin der Oligodendrozyten die Alzheimer-Krankheit verschlimmert. Spielen die Gliazellen noch eine größere Rolle bei der Erkrankung als bisher angenommen?

Die Wissenschaftler*innen konnten nun zeigen, dass Nervenzellen zwar die Hauptproduzenten von Beta-Amyloid sind. „Aber auch Oligodendrozyten stellen eine beträchtliche Menge des Proteins her, das in Plaques eingebaut wird“, sagt Sasmita. Eine Forschungsgruppe um Marc Aurel Busche vom University College London (England) kam kürzlich zu ähnlichen Ergebnissen.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Beta-Amyloid

Beta-Amyloid/-/beta amyloid

Ein Peptid, das aus 36 bis 42 Aminosäuren besteht und als Hauptbestandteil seniler Plaques für die Entstehung von Alzheimer verantwortlich gemacht wird. Ausgangsprodukt ist das Amyloid-​Vorläuferprotein (APP). Bestimmte Enzyme in der Zellmembran zerschneiden das Vorläuferprotein in Peptide verschiedener Größe. In senilen Plaques findet man Amyloide aus 40 und aus 42 Aminosäuren, wobei zumindest in der Petrischale das 42 Aminosäuren lange Produkt besonders schnell Aggregate bildet. Die normale Funktion von Beta-​Amyloid ist noch nicht abschließend geklärt.

Plaques

senile Plaques/-/senile plaques

Senile Plaques lagern sich in der grauen Hirnsubstanz ab, wenn ein Eiweiß – das so genannte Amyloid-​Vorläuferprotein – nicht korrekt abgebaut wird. Entzündungen sowie Erkrankungen des Fett– oder des Zuckerstoffwechsels können die Plaquebildung begünstigen. Im Schnitt erreichen die Ablagerungen einen Durchmesser von 50 Mikrometern. Das Auftreten von Plaques ist eine von mehreren anatomischen Veränderungen im Gehirn, anhand derer Pathologen nach dem Tod eine Alzheimer-​Erkrankung diagnostizieren können.

Oligodendrozyten

Oligodendrozyten/-/oligodendrocytes

Zellen des Zentralen Nervensystems, die die Myelinscheide um die Nervenzellen bilden und so deren Leitungsgeschwindigkeit erhöhen. Sie gehören zu den Gliazellen.

Myelin

Myelin/-/myelin

Myelin ist eine fetthaltige Substanz, die aus Gliazellen gebildet wird. Sie umhüllt die Axone (lange faserartige Fortsätze) von Nervenzellen und isoliert diese, so dass Nachrichten nicht ungehindert auf benachbarte Nervenzellen übergehen können. Zudem wird so die Signalleitung enorm beschleunigt.

Morbus Alzheimer

Morbus Alzheimer, Alzheimer-Krankheit/Morbus Alzheimer/Alzheimer's desease

Bislang unheilbare Form der Demenz, erstmals beschrieben von dem deutschen Psychiater Alois Alzheimer 1906. Zu den Symptomen gehören anfangs eine milde Vergesslichkeit und Orientierungsstörungen. Später kommt es zum Beispiel zu Sprachveränderungen und Gedächtnisverlust. Die Ursache ist noch unklar, es kommt jedoch zu pathologischen Eiweißablagerungen sowohl zwischen als auch in den Zellen. Betroffen sind corticale Areale.

Gliazellen

Gliazellen/-/glia cells

Gliazellen stellen neben den Neuronen die zweite Gruppe große Gruppe von Zellen im Gehirn. Sie wurden lange Zeit als die inaktiven Elemente des Gehirns, als „Nervenkitt“ bezeichnet. Heute weiss man, dass die verschiedenen Typen von Gliazellen (Astrozyten, Oligodendrozyten und Mikrogliazellen) klar definierte Aufgaben im Nervensystem erfüllen. So reagieren sie z. B. auf Krankheitserreger, spielen eine wichtige Rolle bei der Ernährung der Nervenzellen oder isolieren Nervenfasern. Ihr Anteil im Vergleich zu den Neuronen liegt bei etwas über 50 Prozent.

Plaque-Bildung eindämmen

Die Zellen des Nervensystems produzieren Beta-Amyloid, indem sie ein größeres Vorläufer-Molekül spalten. Einer der wichtigsten Helfer: das Enzym BACE1. Für ihre Experimente schalteten die Forschenden BACE1 in den Nervenzellen und Oligodendrozyten von Mäusen gezielt aus. Anschließend untersuchten sie die Plaque-Bildung im gesamten Gehirn mithilfe der 3D-Lichtblattmikroskopie und erhielten so ein vollständiges Bild der Amyloid-Plaques in allen Hirnregionen.

„Wenn BACE1 in Oligodendrozyten fehlte, entstanden etwa 30 Prozent weniger Plaques. In Nervenzellen, in denen das BACE1-Gen ausgeschaltet war, reduzierte dies die Plaque-Bildung um über 95 Prozent“, beschreibt Constanze Depp, ebenfalls Erstautorin der Studie und ehemalige Doktorandin in Naves Abteilung. Die Forschenden fanden auch heraus: „Plaque-Ablagerungen bilden sich erst, wenn eine gewisse Menge an neuronalem Beta-Amyloid vorhanden ist. Zu diesen tragen die Oligodendrozyten mit bei.“

Dieser Schwellenwert könnte für Alzheimer-Therapien hilfreich sein. Gelänge es, BACE1 zu hemmen, bevor dieser Schwellenwert erreicht ist, würden möglicherweise auch die Plaques erst später entstehen, betont Nave. Das könnte helfen, den Verlauf der Alzheimer-Krankheit bereits in frühen Stadien auszubremsen.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Oligodendrozyten

Oligodendrozyten/-/oligodendrocytes

Zellen des Zentralen Nervensystems, die die Myelinscheide um die Nervenzellen bilden und so deren Leitungsgeschwindigkeit erhöhen. Sie gehören zu den Gliazellen.

Plaques

senile Plaques/-/senile plaques

Senile Plaques lagern sich in der grauen Hirnsubstanz ab, wenn ein Eiweiß – das so genannte Amyloid-​Vorläuferprotein – nicht korrekt abgebaut wird. Entzündungen sowie Erkrankungen des Fett– oder des Zuckerstoffwechsels können die Plaquebildung begünstigen. Im Schnitt erreichen die Ablagerungen einen Durchmesser von 50 Mikrometern. Das Auftreten von Plaques ist eine von mehreren anatomischen Veränderungen im Gehirn, anhand derer Pathologen nach dem Tod eine Alzheimer-​Erkrankung diagnostizieren können.

Plaques

senile Plaques/-/senile plaques

Senile Plaques lagern sich in der grauen Hirnsubstanz ab, wenn ein Eiweiß – das so genannte Amyloid-​Vorläuferprotein – nicht korrekt abgebaut wird. Entzündungen sowie Erkrankungen des Fett– oder des Zuckerstoffwechsels können die Plaquebildung begünstigen. Im Schnitt erreichen die Ablagerungen einen Durchmesser von 50 Mikrometern. Das Auftreten von Plaques ist eine von mehreren anatomischen Veränderungen im Gehirn, anhand derer Pathologen nach dem Tod eine Alzheimer-​Erkrankung diagnostizieren können.

Beta-Amyloid

Beta-Amyloid/-/beta amyloid

Ein Peptid, das aus 36 bis 42 Aminosäuren besteht und als Hauptbestandteil seniler Plaques für die Entstehung von Alzheimer verantwortlich gemacht wird. Ausgangsprodukt ist das Amyloid-​Vorläuferprotein (APP). Bestimmte Enzyme in der Zellmembran zerschneiden das Vorläuferprotein in Peptide verschiedener Größe. In senilen Plaques findet man Amyloide aus 40 und aus 42 Aminosäuren, wobei zumindest in der Petrischale das 42 Aminosäuren lange Produkt besonders schnell Aggregate bildet. Die normale Funktion von Beta-​Amyloid ist noch nicht abschließend geklärt.

Morbus Alzheimer

Morbus Alzheimer, Alzheimer-Krankheit/Morbus Alzheimer/Alzheimer's desease

Bislang unheilbare Form der Demenz, erstmals beschrieben von dem deutschen Psychiater Alois Alzheimer 1906. Zu den Symptomen gehören anfangs eine milde Vergesslichkeit und Orientierungsstörungen. Später kommt es zum Beispiel zu Sprachveränderungen und Gedächtnisverlust. Die Ursache ist noch unklar, es kommt jedoch zu pathologischen Eiweißablagerungen sowohl zwischen als auch in den Zellen. Betroffen sind corticale Areale.

Originalpublikation

Sasmita, A. O.; Depp, C.; Nazarenko, T.; Sun, T.; Siems, S. B.; Ong, E. C.; Nkeh, Y. B.; Boehler, C.; Yu, X.; Bues, B.; Evangelista, L.; Mao, S.; Morgado, B.; Wu, Z.; Ruhwedel, T.; Subramanian, S.; Börensen, F.; Overhoff, K.; Spieth, L.; Berghoff, S. A.; Sadleir, K. R.; Vassar, R.; Eggert, S.; Goebbels, S.; Saito, T.; Saido, T.; Saher, G.; Möbius, W.; Castelo-Branco, G.; Klafki, H.-W.; Wirths, O.; Wiltfang, J.; Jäkel, S.; Yan, R.; & Nave, K.-A.: Oligodendrocytes produce amyloid-β and contribute to plaque formation alongside neurons in Alzheimer’s disease model mice. Nat Neurosci (2024). 
https://doi.org/10.1038/s41593-024-01730-3

No votes have been submitted yet.

Lizenzbestimmungen

Dieser Inhalt ist unter folgenden Nutzungsbedingungen verfügbar.

BY-NC-SA: Namensnennung, nicht kommerziell, Weitergabe unter gleichen Bedingungen