Auch bei Astrozyten gibt es nicht nur Schwarz und Weiß
Eine Gruppe renommierter Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, darunter Prof. Dr. Christine R. Rose von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU), hat in einem umfassenden Artikel die sogenannte Astrozyten im Gehirn umfassend neu bewertet. In Nature Neuroscience beschreiben sie, welche Veränderungen diese Zellen bei Erkrankungen durchlaufen und welche gesundheitlichen Aspekte mit ihrer besonderen Rolle im Gehirn zusammenhängen.
Published: 05.03.2021
Mehr als die Hälfte der Zellen unseres Gehirns sind keine Nervenzellen („Neuronen“), sondern sogenannte Gliazellen. Zu letzteren gehören auch die aufgrund ihrer Form so benannten Astrozyten, zu Deutsch „Sternzellen“.
Im gesunden Gehirn üben diese Astrozyten vielfältige Funktionen aus. Sie beeinflussen zum Beispiel die Anzahl der Verbindungen zwischen Nervenzellen, oder sie kontrollieren das Milieu – die Nährstoffzusammensetzung, den pH-Wert –, in dem Nervenzellen arbeiten und halten sie dadurch funktionsfähig. Kürzlich wurde entdeckt, dass Astrozyten aktiv an der Signalübertragung mitwirken können. Dieser Zelltyp ist somit ein unentbehrlicher Partner von Nervenzellen, er ist für eine gesunde Gehirnfunktion unerlässlich.
Ebenso lange ist ebenfalls bekannt, dass Astrozyten sehr sensibel und schnell auf Störungen der Gehirnfunktion reagieren. Schon Alois Alzheimer beschrieb zu Beginn des letzten Jahrhunderts eine starke Veränderung in der Gestalt von Astrozyten im Gehirn von Patienten, die unter der später nach ihm benannten demenziellen Erkrankung litten.
Solche Veränderungen von Astrozyten werden schon lange intensiv beforscht und mit verschiedenen Namen wie zum Beispiel Astrozytose, Astrozytenaktivierung oder reaktive Gliose belegt. Darüber hinaus setzte sich mehr und mehr durch, krankheitsbedingt veränderte Astrozyten in zwei Klassen zu unterteilen, die entweder Krankheitsprozesse fördern (neurotoxische „A1-Zellen“) oder diesen entgegenwirken (neuroprotektive „A2-Zellen“).
Ein internationales Autorenteam aus über 80 Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, darunter Prof. Christine R. Rose vom HHU-Institut für Neurobiologie, schlägt nun in einem Konsensus-Artikel vor, die bisher verfolgte binäre Einteilung in „gute“ oder „schlechte“ Astrozyten hinter sich zu lassen. Das kürzlich in der Zeitschrift Nature Neuroscience erschienene Papier legt dar, dass reaktive Astrozyten abhängig vom jeweiligen Krankheitsbild verschiedene molekulare und funktionelle Veränderungen durchlaufen, die vielfältige funktionelle Auswirkungen haben können.
Auf Basis dieser neuen Erkenntnisse schlagen die Autoren neue Strategien und standardisierte Vorgehensweisen zur Charakterisierung reaktiver Astrozyten in unterschiedlichen Krankheitsmodellen vor, ohne aber diese Zellen in die bisher üblichen Schablonen zu drängen. Prof. Rose: „Nur ein differenzierteres Bild der Zellen wird dazu beitragen, ihre Rolle bei der Entwicklung von Hirnerkrankungen wirklich zu verstehen. Damit lassen sich neue Möglichkeiten identifizieren, mit therapeutischen Ansätzen die neurotoxischen Eigenschaften von Astrozyten zu unterbinden und stattdessen ihre protektiven Funktionen zu fördern.“
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Gliazellen
Gliazellen/-/glia cells
Gliazellen stellen neben den Neuronen die zweite Gruppe große Gruppe von Zellen im Gehirn. Sie wurden lange Zeit als die inaktiven Elemente des Gehirns, als „Nervenkitt“ bezeichnet. Heute weiss man, dass die verschiedenen Typen von Gliazellen (Astrozyten, Oligodendrozyten und Mikrogliazellen) klar definierte Aufgaben im Nervensystem erfüllen. So reagieren sie z. B. auf Krankheitserreger, spielen eine wichtige Rolle bei der Ernährung der Nervenzellen oder isolieren Nervenfasern. Ihr Anteil im Vergleich zu den Neuronen liegt bei etwas über 50 Prozent.
Astrozyt
Astrozyt/-/astrocyte, astroglia
Astrozyten sind die größten unter den Gliazellen. Zu ihren Aufgaben gehören z.B. die Immunabwehr (auch Blut-Hirn-Schranke) oder die Wiederaufnahme ausgeschütteter Neurotransmitter (Botenstoffen im Gehirn).
Originalpublikation
Escartin, C., Galea, E., Lakatos, A. et. al., Reactive astrocyte nomenclature, definitions, and future directions, Nature Neuroscience 24, 312-325 (2021); DOI: 10.1038/s41593-020-00783-4