Babys behalten selbst detaillierte Ereignisse im Schlaf

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Babys beim Schlafen auch ihr episodisches Gedächtnis aufbauen. So können sie sich nach dem Schlaf an die Details einzelner Erlebnisse erinnern.

Im Schlaf durchspielt das Gehirn zuvor Erlebtes, festigt neue Gedächtnisinhalte und fasst ähnliche Erfahrungen zu allgemeinerem Wissen zusammen. Das gilt bereits für Babys. Allerdings können sie dabei mehr als nur das Gelernte verallgemeinern. Eine aktuelle Studie in Nature Communications zeigt: Das Gehirn von Babys festigt im Schlaf auch die Details einzelner Erlebnisse und schützt sie vor einer Verallgemeinerung. Die Studie liefert damit den ersten Nachweis, dass der Schlaf bei Kleinkindern auch für das sogenannte episodische Gedächtnis von Bedeutung ist. Das Phänomen der frühkindlichen Amnesie könnte damit in ein neues Licht gerückt werden.

Quelle: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften

Veröffentlicht: 08.04.2020

Das Gehirn ist ständig neuen Eindrücken ausgesetzt. Selbst beim Schlafen gibt es keine Ruhe und verarbeitet das zuvor Gelernte. Bislang war man davon ausgegangen, dass in der sehr frühen Kindheit der Schlaf vor allem das semantische Gedächtnis fördert. Das enthält allgemeines Wissen wie die Bedeutung von Wörtern. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) Leipzig und der Humboldt-Universität (HU) Berlin haben nun gemeinsam mit Forschern aus Lübeck und Tübingen erstmals in einer Studie in Nature Communications gezeigt, dass Babys beim Schlafen auch ihr episodisches Gedächtnis aufbauen. So können sie sich nach dem Schlaf an die Details einzelner Erlebnisse erinnern.

Untersucht haben die Wissenschaftler diesen Zusammenhang mithilfe einer dreiphasigen Studie. In der Lernphase bekamen die 14 bis 17 Monate alten Kinder Bilder von Objekten zu sehen, deren Namen sie bereits kannten, also etwa verschiedene Autos, Bälle oder Hunde. Zu jeder Abbildung hörten sie die jeweils passende Benennung. Die folgenden ein bis zwei Stunden verbrachte eine Gruppe der Kinder schlafend, eine zweite blieb wach. In der anschließenden Testphase zeigten die Forscher den kleinen Teilnehmern  noch einmal verschiedene Bilder, sowohl solche, die sie schon in der Lernphase gesehen hatten, als auch neue Autos, Bälle und Hunde. Jedes Objekt wurde einmal richtig und einmal falsch benannt. Über die gesamte Untersuchung hinweg zeichneten die Forscher die Gehirnaktivität der Babys mit Hilfe des Elektroenzephalogramms (EEG) auf.

Die Analyse der EEG-Aktivität machte deutlich: Das Gehirn der Kinder, die geschlafen hatten, reagierte im Gedächtnistest anders als das der wach gebliebenen – jedoch nur in bestimmten Fällen. Präsentierten die Forscher den Kleinen einen Ball, den sie vorher noch nicht gesehen hatten, und bezeichneten ihn als Auto, unterschieden sich die Hirnreaktionen nicht. Bei beiden Gruppen erschien die sogenannte N400-Komponente, die auftritt, wenn das Gehirn unpassende Bedeutungen verarbeitet. Die Kinder wissen demnach gleichermaßen, dass ein Ball kein Auto ist.

Anders jedoch, wenn die Kleinen einen Ball aus der Lernphase zu sehen bekamen und der als Auto bezeichnet wurde. Die Wachgruppe zeigte erneut die N400-Komponente, die Schlafgruppe dagegen nicht. Bei den ausgeschlafenen Kindern beobachteten die Forscher dafür eine Hirnreaktion, die ausgelöst wurde, wenn ein Ball aus der Lernphase wieder korrekt als solcher benannt wurde. Die Reaktion trat jedoch nicht auf, wenn ein neuer Ball als „Ball“ bezeichnet wurde. Die Forscher schlussfolgerten: Nach dem Schlaf hatten die Kleinen die vorher erlebten Objekt-Wort-Paare nicht mehr als Benennung einer Bedeutung verstanden. Vielmehr erkannten sie die Zuordnungen als individuelle Episoden wieder. Bild und Wort waren demnach zu einem einheitlichen Ereignis im Gedächtnis verschmolzen.

„Die Ergebnisse zeigen, dass der Schlaf dem frühkindlichen Gehirn nicht nur ermöglicht, individuelle Erlebnisse zu verallgemeinern. Das Schlafen hilft  auch, individuelle Erlebnisse im Detail zu bewahren und von bestehendem allgemeinen Wissen abzugrenzen.“, erklärt Erstautorin Manuela Friedrich, Wissenschaftlerin am MPI CBS und an der HU Berlin. Sie vermutet weiter: „Dadurch, dass eine wiedererkannte Objekt-Wort-Episode nicht als Benennung von allgemeinem Wissen verstanden wird, können ihre Details vor einer Vermischung mit bestehendem Gedächtnis geschützt werden.“

Interessant sind die Ergebnisse auch im Zusammenhang mit der sogenannten frühkindlichen Amnesie, also dem Phänomen, sich an die eigenen frühkindlichen Erlebnisse nicht mehr erinnern zu können. So wurde vielfach vermutet, dass Kleinkinder noch nicht fähig sind, längerfristiges episodisches Wissen zu bilden. Die aktuellen Erkenntnisse machen jedoch deutlich, auch Kleinkinder können Erlebnisse im Detail behalten. Und der Schlaf trägt maßgeblich dazu bei.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

EEG

Elektroencephalogramm/-/electroencephalography

Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.

Originalpublikation:

M. Friedrich , M. Mölle, Angela D. Friederici, and Thomas R. Knösche, "Sleep-dependent memory consolidation in infants protects new episodic memories from existing semantic memories," Nature Communications (2020).

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