Düfte werden im Gehirn von Wanderheuschrecken ringförmig kodiert

© Xingcong Jiang und Veit Grabe / Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
Ringförmige glomeruläre Anordnung in der äußeren Region des Antennallobus einer Wanderheuschrecke

In der Fachzeitschrift Cell beschreibt ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena erstmals, wie Gerüche im Antennallobus, dem Riechzentrum im Gehirn von Wanderheuschrecken kodiert werden. Mit Hilfe von transgenen Heuschrecken und bildgebenden Verfahren konnten die Forscherinnen und Forscher eine ringförmige Repräsentation von Düften im Gehirn nachweisen. Das Muster der Geruchskodierung im Antennallobus ist in allen Entwicklungsstadien der Wanderheuschrecke gleich. Ein besseres Verständnis der Duftkodierung im Heuschreckengehirn soll dazu beitragen, mehr über die Steuerung des Verhaltens dieser Insekten, insbesondere des Schwarmverhaltens, zu erfahren.

Source: Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie

Published: 19.06.2024

Die Europäische Wanderheuschrecke Locusta migratoria ist ein ökonomisch bedeutsamer Ernteschädling, der schon im Alten Testament als achte der zehn biblischen Plagen über Ägypten gekommen sein soll, „um alle Grün aufzufressen, was wächst“. Trotz ihres Namens kommt die Wanderheuschrecke in Europa kaum vor, während sie in Afrika und Asien nicht nur Schäden in Millionenhöhe anrichtet, sondern auch fatale Folgen für die dort lebenden Menschen hat, weil sie deren Nahrungs- und Existenzgrundlage bedroht. Die Wanderheuschrecken kommen in zwei Phasen vor: als ortsgebundene Tiere und in der Schwarmphase. Gefürchtet werden die Insekten vor allem dann, wenn sie in großen Schwärmen auftreten und ganze Ernten vernichten.

Wanderheuschrecken unterscheiden sich von anderen Insekten im anatomischen Aufbau ihres Riechhirns, dem Antennallobus, der Geruchsinformationen von der Antenne empfängt und verarbeitet. Der Antennallobus der Heuschrecken hat eine einzigartige und unkonventionelle neuronale Architektur mit mehr als 2000 kugelförmigen funktionellen Riecheinheiten, den Glomeruli, während sich bei den meisten Insekten nur zwischen 20 und 300 Glomeruli im Antennallobus befinden.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie interessieren sich dafür, wie Insekten Düfte wahrnehmen und diese in ihrem Gehirn verarbeiten. Vor allem aber möchten sie wissen, wie sich die Geruchswahrnehmung auf ihr Verhalten auswirkt.

„Unser Ziel war es, das seit langem bestehende Rätsel zu lösen, wie Gerüche in der extrem großen Population von Glomeruli, den strukturellen und funktionellen Einheiten im Antennallobus von Wanderheuschrecken, kodiert werden. Diese hochkomplexe Architektur des Heuschrecken-Antennallobus wird seit Jahrzehnten beobachtet, aber die zugrundeliegenden Mechanismen der Duftkodierung blieben ein Rätsel, weil bisher geeignete Methoden fehlten“, sagt Xingcong Jiang, Erstautor der Studie.

Die Einführung der CRISPR/Cas9-Methode stellte für die Forschenden einen methodischen Durchbruch dar, denn sie ermöglichte die Etablierung der ersten transgenen Wanderheuschrecken, die den genetisch kodierten Calciumsensor GCaMP in olfaktorischen sensorischen Neuronen exprimieren. GCaMP ist ein Protein, das fluoresziert, wenn es Calcium bindet, das in Zellen freigesetzt wird, wenn diese aktiv sind. Mit Hilfe der funktionellen 2-Photonen-Calcium-Bildgebung konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die räumlichen Aktivierungsmuster für ein breites Spektrum ökologisch relevanter Düfte in allen sechs Entwicklungsstadien der Wanderheuschrecke messen und kartieren.

„Unsere Ergebnisse zeigen eine ungewöhnliche funktionelle ringförmige Organisation des Antennallobus, die aus spezifischen glomerulären Clustern besteht. Diese glomeruläre Anordnung, die wir durch die gezielte genetische Expression eines gut charakterisierten Geruchsrezeptors bestätigen konnten, ist während der gesamten Entwicklung vorhanden, und das Muster der Geruchskodierung innerhalb der glomerulären Population ist in allen Entwicklungsstadien, von ersten Nymphenstadium bis zur adulten Heuschrecke, konsistent“, resümiert Silke Sachse, Leiterin der Forschungsgruppe Olfaktorische Kodierung am Max-Planck-Institut und eine Hauptautorin.

Die Wanderheuschrecke ist kein Modellorganismus wie die Taufliege Drosophila melanogaster. Die Gentransformation stellte für die Forschenden daher eine große Herausforderung dar. Viele Parameter müssen untersucht werden, was das Verfahren sehr zeitaufwändig macht. Das außergewöhnlich große Gehirnvolumen der Heuschrecke erschwert zudem die Erfassung und Auswertung von Bilddaten. „Wir sind weltweit die erste Gruppe, die das ortsspezifische Knock-in-Verfahren bei Heuschrecken erfolgreich angewendet hat. Aus der Literatur ist bekannt, dass die Erfolgsrate bei dieser Art der Transgenese sehr gering ist, trotzdem haben wir es geschafft“, freut sich Xingcong Jiang.

Interessanterweise spiegelt die räumliche Duftkodierung im Antennallobus von Heuschrecken eher die chemische Struktur der Düfte als ihre Wertigkeit – ob angenehm oder abstoßend – wider, anders als z.B. bei Fliegen, wo die Wertigkeit der Düfte bereits im Antennallobus repräsentiert ist, indem angenehme Düfte andere Strukturen aktivieren als unangenehme. „Wir haben beobachtet, dass Düfte bestimmter chemischer Klassen ein bestimmtes Muster hervorrufen: Zum Beispiel rufen aromatische Verbindungen mit ähnlicher chemischer Struktur, aber entgegengesetzter Verhaltensbedeutung, stärkere Reaktionen in den Randbereichen des Antennallobus hervor. Wir schließen daraus, dass die Repräsentation der Geruchswertigkeit nicht im Antennallobus, sondern in höheren Gehirnzentren wie dem Pilzkörper und dem lateralen Horn kodiert wird“, sagt Bill Hansson, Direktor der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie und einer der Hauptautoren.

Die Ringstruktur des olfaktorischen Codes ist ein einzigartiges anatomisches Merkmal der Wanderheuschrecke. Dieser Kodierungsmechanismus ist allerdings nicht unbedingt auf andere Heuschreckenarten übertragbar. „Wir fragen uns, ob diese ringförmige Struktur eine schlechtere Alternative oder eine bessere Lösung mit Vorteilen gegenüber der glomerulären Anordnung darstellt, die wir bei Fliegen gefunden haben. Zukünftige Studien, die die Regeln der Duftkodierung bei anderen Insektenarten untersuchen, werden zeigen, ob andere Heuschreckenarten ein ähnliches Kodierungsmuster entwickelt haben“, meint Silke Sachse und hat bereits weiterführende Studien im Blick.

Wie Insekten Gerüche wahrnehmen und verarbeiten und wie sich die Geruchswahrnehmung letztlich auf ihr Verhalten auswirkt, ist wichtig für ein tieferes Verständnis der ökologischen Wechselwirkungen von Insekten mit ihrer Umwelt. Dies kann beispielsweise helfen, die Bekämpfung von Ernteschädlingen wie den Wanderheuschrecken zu optimieren. „Wir glauben, dass ein besseres Verständnis der Geruchsverarbeitung im Riechhirn unser Wissen über die neuronale Modulation, die zum Beispiel auch der Schwarmbildung bei Heuschrecken zugrunde liegt, erheblich erweitern wird,“ ist sich Bill Hansson, sicher.

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Originalpublikation

Jiang, X., Dimitriou, E., Grabe, V., Chang, H., Zhang, Y., Gershenzon, J., Rybak, J., Hansson, B. S., Sachse, S. (2024). Ring-shaped odor coding in the antennal lobe of migratory locusts. Cell, doi: 10.1016.j.cell.2024.05.036
https://doi.org/10.1016/j.cell.2024.05.036

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