Menschen mit erhöhtem Alzheimerrisiko haben Defizite beim Navigieren
Um die Probleme sichtbar zu machen, mussten die Forscherinnen und Forscher sich ein spezielles Versuchsdesign überlegen.
Published: 31.08.2020
Alzheimerpatienten entwickeln im Verlauf der Erkrankung eine schwere Orientierungslosigkeit und finden auch einfachste Wege nicht mehr. Dass Probleme bei der räumlichen Navigation auch bei Menschen mit einem genetischen Risiko für die Alzheimerkrankheit feststellbar sind, berichtet ein internationales Forschungsteam um Anne Bierbrauer, Dr. Lukas Kunz, Dr. Carlos Gomez und Prof. Dr. Nikolai Axmacher von der Ruhr-Universität Bochum und dem Universitätsklinikum Freiburg in der Zeitschrift Science Advances, online veröffentlicht am 28. August 2020. Das Team aus Bochum, Freiburg, Dortmund, Sevilla, Madrid, Parma und Brüssel untersuchte die Fähigkeit zur Pfadintegration.
Wege ohne äußere Hinweisreize finden
Tiere und Menschen können ihre eigene Position im Raum durch Eigenwahrnehmung aktualisieren und erinnern. „Wenn man nachts aufsteht und im Dunklen den Weg ins Badezimmer finden will, benötigt man – neben dem Wissen über die Anordnung der eigenen Wohnung – einen Mechanismus, der die eigene Position im Raum nachverfolgt, ohne dass man äußere Hinweisreize dazu verwendet“, gibt Anne Bierbrauer ein Beispiel. Diese Fähigkeit wird als Pfadintegration bezeichnet.
Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass die Aktivität der sogenannten Gitterzellen (englisch: grid cells, im Deutschen auch Rasterzellen genannt) im entorhinalen Kortex für diese Fähigkeit verantwortlich ist. Diese Zellen zeigen beim Navigieren durch den Raum ein einzigartiges, regelmäßiges Aktivitätsmuster. Dass der entorhinale Kortex entscheidend für die räumliche Navigation ist, ist schon länger bekannt. Er ist zudem eine der ersten Regionen des Gehirns, die durch die Alzheimererkrankung betroffen sind.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Frühere Studie zeigte Veränderungen in Gitterzellaktivität
In einer früheren Studie hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gezeigt, dass die Gitterzellen bei Menschen mit einem genetischen Risiko für die Alzheimererkrankung eine veränderte Funktion aufweisen. Allerdings konnten die Probanden normal navigieren. „Wir nehmen an, dass sie Kompensationsmechanismen genutzt haben, um ihren Weg zu finden“, erklärt Nikolai Axmacher, „vermutlich äußere Hinweisreize in der Umgebung. In Bochum kann man zum Beispiel an vielen Orten den Förderturm des Bergbau-Museums sehen, der häufig über die Häuserzeilen hinweg sichtbar ist.“
Alzheimerrisiko geht mit Navigationsproblemen einher
In der aktuellen Studie nutzte das Team daher eine Navigationsaufgabe am Computer, bei der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich nicht an äußeren Landmarken orientieren konnten. Die Wissenschaftler verglichen die Navigationsleistung von 202 Probanden ohne genetisches Alzheimerrisiko und 65 Probanden mit genetischem Risiko. Letztere besitzen eine bestimmte Ausprägung des Gens für das Apolipoprotein E, das APOE-ε4-Allel.
Probandinnen und Probanden mit genetischem Alzheimerrisiko schnitten beim Navigieren schlechter ab als die übrigen Teilnehmer.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Einblicke in Gitterzellaktivität
Eine zusätzliche Gruppe von Probanden absolvierte die gleiche Aufgabe, während die Forscherinnen und Forscher ihre Hirnaktivität mit funktioneller Magnetresonanztomografie aufzeichneten. Ziel der Untersuchung war es herauszufinden, welche Gehirnprozesse eine Rolle bei der Pfadintegration spielen. Im entorhinalen Kortex fand das Team Gitterzellrepräsentationen, die mit der Navigation ohne äußere Hinweisreize in Zusammenhang standen, was die Rolle dieser Gehirnregion für die Pfadintegration unterstreicht.
„In dieser Studie zeigen wir eine sehr spezifische Einschränkung von gesunden Menschen mit einem genetisch erhöhten Risiko für Alzheimer“, resümiert Lukas Kunz. „Künftig könnte eine solche Verhaltensauffälligkeit vielleicht helfen, Alzheimer früher zu diagnostizieren, bevor gravierende Symptome auftreten.“ Forscher vermuten, dass medikamentöse Therapien bei der Alzheimerkrankheit bislang scheitern, weil die Diagnose zu spät erfolgt.
Magnetresonanztomographie
Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging
Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Originalpublikation
Anne Bierbrauer, Lukas Kunz, Carlos A. Gomez, et al.: Unmasking selective path integration deficits in Alzheimer’s disease risk carriers, in: Science Advances, 2020, DOI: 10.1126/sciadv.aba1394