Altern – (nicht nur) eine Frage der Biologie
Verkürzte Telomere, beschädigte Proteine, senile Bettflucht, faltige Haut: Altern ist ein ebenso komplexer wie unvermeidlicher biologischer Prozess – aber auch noch viel mehr.
Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Claudia Völcker-Rehage
Veröffentlicht: 26.04.2013
Niveau: mittel
- Bedingt durch steigende Lebenserwartung bei immer weniger Nachwuchs wandelt sich die Altersstruktur der Gesellschaft: Immer mehr Menschen jenseits der 60 stehen immer weniger junge Menschen gegenüber.
- Der Einzelne hat nach der intensiven Erwerbs- und/oder Familienphase damit in der Regel Jahrzehnte des allmählichen Älterwerdens vor sich. Wie es ihm dabei physisch, psychisch und sozial geht, ist jedoch individuell extrem unterschiedlich. Alternsforscher definieren bewusst keine Anzahl an Lebensjahren als Grenze fürs Altsein, sondern legen den Fokus auf die Prozesse des Alterns.
- Einen deutlichen Zusammenhang gibt es zwischen Herz-Kreislauf-Risiko und geistigem Abbau ab der Lebensmitte.
- Für die Biologie ist das Altern ein Rätsel, das längst nicht umfassend gelöst ist: Zu vielfältig sind die Prozesse, die ineinandergreifen: Schäden auf molekularer Ebene häufen sich; Körperzellen hören nach einer gewissen Zahl von Zellteilungen normalerweise auf, sich weiter zu vermehren; Organe und Systeme büßen, bedingt etwa durch Ablagerungen oder hormonelle Veränderungen, ihre Funktionsfähigkeit allmählich ein.
- Aus evolutionärer Sicht macht die „Fähigkeit“ zu altern Sinn, wenn sie den Fortpflanzungserfolg während der reproduktiven Lebensphase begünstigt oder zumindest nicht schmälert.
Telomere (griechisch für Endteile) sind die Enden der Chromosomen. Sie bestehen bei Wirbeltieren aus Tausenden Wiederholungen der DNA-Sequenz TTAGGG. Dadurch nimmt der DNA-Strang eine bestimmte räumliche Struktur ein, die als stabiler Abschluss der Chromosomen fungiert. Wenn bei einer Zellteilung eine exakte Kopie des Erbguts hergestellt wird, kann das äußerste Ende des Strangs jedoch nicht mitkopiert werden – das Telomer verkürzt sich. Wird es zu kurz, werden weitere Zellteilungen unmöglich. Die Zelle hört dann auf, sich zu teilen (Seneszenz), oder startet direkt ein Selbstmordprogramm (Apoptose). Verhindern kann diesen Zellalterungsprozess das Enzym Telomerase, das die Telomere wieder verlängert. In erwachsenen Organismen ist es jedoch nur in wenigen Zelltypen aktiv, darunter Keim- und Stammzellen sowie Krebszellen.
Das Schaf Dolly wurde zur Ikone für die Klon-Euphorie rund um die Jahrtausendwende. Aber: Ganz ungeplant wurde es auch zum Sinnbild für das Altern und seine Biologie. Als das damals wohl prominenteste Tier der Welt ein Jahr alt war, stellte man nämlich fest, dass seine Zellen, biologisch gesehen, zu alt waren: Die Telomere – Endkappen der Chromosomen, die bei jeder Zellteilung kürzer werden – waren für Dollys zartes Alter eindeutig zu kurz. Und bereits seit den 1960er-Jahren war bekannt, dass Zellen nach einer bestimmten Anzahl Teilungen aufhören, sich weiter zu vermehren, eben weil dann die Telomere zu kurz werden und das Erbgut im Zellkern sich deshalb nicht mehr replizieren kann.
Für die an Dolly sehr interessierte Presse war das ein gefundenes Fressen: Spekulationen brandeten auf, geklonte Tiere seien dazu verdammt, vorzeitig zu altern und zu sterben. Der Verdacht schien sich noch zu erhärten, als Dolly in jungen Jahren an schlimmer Arthritis erkrankte und schließlich mit sechs Jahren – viel zu früh für ein Schaf seiner Art – von einer Lungenkrankheit dahingerafft wurde.
Das alles auf die verkürzten Telomere zurückzuführen, greift jedoch allzu kurz. Die beteiligten Forscher beharrten jedenfalls darauf, bei ihren vielfältigen Untersuchungen –abgesehen von den auffälligen Telomeren – keinerlei untypische Alterserscheinungen an Dolly festgestellt zu haben. Ihre Gelenkprobleme ließen sich durch antientzündliche Medikamente erfolgreich behandeln; die tödliche Lungenkrankheit war durch eine Vireninfektion ausgelöst worden und ist bei Schafen keine Seltenheit (Infoseite des Roslin Institutes zu Schaf Dolly).
Alle wollen alt werden, keiner will es sein
Was bleibt, sind ein bruchstückhaftes Bild, ungeklärte Fragen und der Eindruck, dass Menschen sich offenbar nach einfachen, griffigen Erklärungen sehnen – Erklärungen, die den Phänomenen aber in der Regel nicht gerecht werden. Und genau deshalb ist Dolly tatsächlich ein gutes Symbol für die Biologie des Alterns. Denn von dieser sind viele Details erforscht und manche Puzzleteile, wie etwa die Sache mit den Telomeren, gut verstanden. Aufhalten lässt sich das Altern allen Anti-Aging-Hoffnungen und –Versprechungen zum Trotz freilich weiterhin nicht.
„Alle wollen alt werden, keiner will es sein“, lautet eine gern zitierte Volksweisheit. Aber immer mehr Menschen sind alt. Die Lebenserwartung in Deutschland ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts um fast 35 Jahre gestiegen. Die allermeisten Menschen müssen also jahrzehntelang damit umgehen, dass sie allmählich altern, dass Zipperlein zu– und manche Fähigkeiten abnehmen. Und auch unsere Gesellschaft als ganze ist betroffen: Das Durchschnittsalter steigt und steigt, die Alterspyramide stellt sich kopf. In Europa leben bereits jetzt mehr über 60-Jährige als unter 15-Jährige. Dieser Zustand ist „menschheitsgeschichtlich neu“, wie die Experten der „Akademiengruppe Altern in Deutschland“ schreiben: „So etwas hat es in früheren Jahrhunderten noch nicht gegeben.“
Andererseits ist die Frage mehr als berechtigt, ob Menschen jenseits einer bestimmten Altersgrenze – etwa dem gesetzlichen Rentenalter von derzeit etwas über 65 Jahren – automatisch als alt gelten können. Nicht nur Udo Jürgens („Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“) zieht das in Zweifel. Das Lebensgefühl vieler „junger Alter“ hat sich verändert: „70 ist das neue 50“.
Auch die Alternsforscher sind sich einig: „Alter“ ist kein klar umrissener, zahlenmäßig definierbarer Lebensabschnitt mehr. „In einer Gesellschaft des langen Lebens ist der Begriff ‘Alter’ zu statisch und zu eng, um die Vielfalt und die Dynamik individueller Lebenslagen und Entwicklungen zu beschreiben“, heißt es im sechsten Altenbericht der Bundesregierung von 2010. Stattdessen plädieren die Experten für den Begriff des „Alterns“ und begründen dies so: „Die Lebenslaufperspektive muss deutlicher akzentuiert werden.“ Oder, mit einem Buchtitel des Bremer Altbürgermeisters Henning Scherf ausgedrückt: „Grau ist bunt“.
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Armut und zu frühes Altern
Wie genau diese jeweils individuellen Alternsprozesse ablaufen, welche Einschränkungen wann eintreten und wie die Betroffenen das wahrnehmen, wird in großen und langfristig angelegten Studien untersucht. So erhebt der Deutsche Alterssurvey seit 1996 immer wieder repräsentative Daten als Grundlage sowohl für Forschungsprojekte wie auch für politische Entscheidungen.
Mit noch größerem Aufwand und noch gut zehn Jahre länger läuft die „Whitehall II“-Studie, für die rund 10.000 britische Beamte immer wieder befragt und untersucht werden. Zunächst ging es dabei darum, wie Gesundheit von sozialen Faktoren abhängt. Mit dem Älterwerden der Studienteilnehmer hat sich aber der Fokus hin zum Altern verschoben – und dabei wird ganz deutlich, wie die Forscher schreiben, dass die Menschen unterschiedlich schnell altern, wodurch kognitive Fähigkeiten, seelische und körperliche Gesundheit von Gleichaltrigen immer weiter auseinanderdriften.
Einen deutlichen Zusammenhang gibt es dabei zwischen geistigem und körperlichem Wohlergehen, wie zwei Veröffentlichungen von 2012 zeigen: Menschen mit erhöhtem Herz-Kreislauf-Risiko, also etwa Bluthochdruck– oder Fettleibigkeitspatienten, bauen bei Gedächtnis-, Schlussfolgerungs– und Verständnisaufgaben früher ab – mitunter schon ab einem Alter von 45 Jahren. Unabhängig vom Gesundheitszustand verschlechtern sich manche kognitiven Leistungen jedoch schon früher – bereits in den 20er– und 30er-Jahren, wie mehrere Studien gezeigt haben.
Was weiß man nun über die biologischen Grundlagen dieses Prozesses, der das Gedächtnis löchrig, die Haltung gebeugt, die Augen trübe, die Haut faltig werden lässt – um nur einige der Veränderungen zu nennen, die jeder Mensch unweigerlich hinnehmen muss, wenn er lange genug lebt? Es gibt darüber mehr als 20 ganz unterschiedliche Theorien – und noch keine gültige Zusammenschau. Die Rätselhaftigkeit des Alterns brachte der US-amerikanische Evolutionsbiologe George C. Williams 1957 in einem heute noch gern zitierten Satz auf den Punkt: „Es ist wirklich verwunderlich, dass – nachdem das Wunderwerk der Embryogenese vollbracht ist – ein komplexes Metazoon (vielzelliges Tier) an der viel simpler erscheinenden Aufgabe scheitert, einfach das zu erhalten, was schon geschaffen ist.“
Gedächtnis
Gedächtnis/-/memory
Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Porenproteine und Anstandsdamen
Klar ist, dass es sich eben nicht nur sozial, sondern auch biologisch und physiologisch um ein äußerst komplexes Geschehen handelt. Auf der Ebene des Zellkerns spielen etwa neben den Telomeren auch die sogenannten Porenproteine eine Rolle, wie Forscher der Salk-Institute in Kalifornien 2009 am Fadenwurm C. elegans – einem der Lieblingstiere biologischer Alternsforscher – zeigen konnten. Gerade langlebige, ausdifferenzierte Zellen wie etwa Neuronen sind betroffen: Wenn ihre als Poren fungierenden Eiweiß-Moleküle beschädigt werden, können sie nicht vollständig ersetzt werden. Die schützende Hülle um den Zellkern wird löchrig, die Genaktivität gestört. Die Zelle verliert ihre Funktionsfähigkeit.
Auch sonst sind Proteine anfällig für altersbedingte Schäden. Auch diejenigen Eiweißmoleküle, die von den Zellen selbst noch hergestellt werden können, sind nicht davor gefeit, durch falsche Faltung zum Problem zu werden. Statt ihre Aufgabe zu erfüllen, verkleben sie dann zu Plaques – toxischen Ablagerungen, wie sie etwa bei Alzheimer eine wichtige Rolle spielen. Mit steigendem Alter nimmt dieses Problem zu. Denn die eigentlich ausgeklügelte Qualitätskontrolle bei der Eiweißsynthese – für die kleine Helfermoleküle, die sogenannten Chaperone (englisch für „Anstandsdamen“) zuständig sind – funktioniert dann nachweislich immer schlechter.
Aber nicht nur auf molekularer und zellulärer Ebene studieren Biologen das Altern. Auch größere Systeme sind unter Beobachtung – beispielsweise das Gehirn (Das alternde Gehirn). Oder die „innere Uhr“, die nach der Hormonumstellung in den Wechseljahren nicht mehr richtig funktioniert; eine Folge davon ist ein vermindertes Schlafbedürfnis, die senile Bettflucht.
Schließlich versuchen verschiedene Alternstheorien aus evolutionärer Gesamtperspektive heraus nicht nur das Wie, sondern auch das Warum des Alterns zu erklären. Ein wichtiger Vertreter ist die „Pay Later“-Theorie oder antagonistische Pleiotropie. Sie baut auf der Tatsache auf, dass Gene oft mehrere Funktionen haben und bestimmte Mutationen deshalb einen Selektionsvorteil mit einem langfristig schädlichen Effekt in sich vereinen. Ein Beispiel wäre eine Mutation, welche die Ausschüttung von Sexualhormonen erhöht. Die Folgen wären steigende Libido und damit tendenziell größerer Fortpflanzungserfolg, andererseits würden bestimmte Krebserkrankungen begünstigt.
All das sind, wie gesagt, Puzzleteilchen. Eine einheitliche biologische Theorie ergibt sich daraus noch lange nicht. Vielmehr sieht es ganz danach aus, dass auch zehn Jahre nach Dollys Tod der Mensch noch weit davon entfernt ist, die Natur effektiv und in großem Maßstab nach seinen Vorstellungen zu manipulieren – egal ob es ums Klonen geht oder darum, das Altern zu unterbinden.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Plaques
senile Plaques/-/senile plaques
Senile Plaques lagern sich in der grauen Hirnsubstanz ab, wenn ein Eiweiß – das so genannte Amyloid-Vorläuferprotein – nicht korrekt abgebaut wird. Entzündungen sowie Erkrankungen des Fett– oder des Zuckerstoffwechsels können die Plaquebildung begünstigen. Im Schnitt erreichen die Ablagerungen einen Durchmesser von 50 Mikrometern. Das Auftreten von Plaques ist eine von mehreren anatomischen Veränderungen im Gehirn, anhand derer Pathologen nach dem Tod eine Alzheimer-Erkrankung diagnostizieren können.
Eiweißsynthese
Eiweißsynthese/-/protein biosynthesis
Der Prozess, bei dem Zellen Informationseinheiten auf der DNA in Funktionsträger in Form von Proteinen – also Eiweißen – übersetzen. Dem zentralen Dogma der Molekularbiologie zufolge besteht dieser Vorgang aus zwei Phasen: Während der Transkription wird ein Abschnitt des Erbmaterials in Ribonukleinsäure umgeschrieben. Diese gibt der Zelle die Reihenfolge vor, in welcher sie einzelne Aminosäuren zu einem Protein zusammenbauen soll. Das geschieht im Zuge der Translation. Manche Eiweiße müssen nach der Translation noch zusammengefaltet oder auf andere Weise modifiziert werden, bevor sie als Strukturprotein oder als Enzym einsatzfähig sind.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
zum Weiterlesen:
- Beilage „Ageing“, Nature, 2012; 492(7427):S1-S40 (zum Text).
- Empfehlungen der Akademiengruppe „Altern in Deutschland“, URL: http://www.altern-in-deutschland.de/de/empfehlungen/empfehlungen.html; (zur Webseite).
- Altenberichte der Bundesregierung, URL: http://www.dza.de/politikberatung/geschaeftsstelle-altenbericht/die-bisherigen-altenberichte.html [Stand: 2013]; (zur Webseite).