Humor im Labor
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Viele Jungtiere spielen, viele Ratten lachen – fühlen sich aber nicht immer wohl dabei. Und auch wir zeigen beim Lachen Zähne. Michael Brecht über die biologischen Wurzeln des Humors: Ein zweischneidiges Spiel.
Veröffentlicht: 01.03.2025
Niveau: leicht
Michael Brechts Werdegang ist eng mit zwei der weltweit rennomiertesten deutschen Neuro- und Zellbiologen verbunden. Nach seinem Studium der Biologie in Tübingen 1994 und einem Forschungsaufenthalt in San Francisco promovierte Michael Brecht bei Wolf Singer in Frankfurt und habilitierte sich bei Nobelpreisträger Bert Sakmann in Heidelberg. Seit 2006 ist er Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin und Sprecher des Bernstein Zentrums für Computational Neuroscience Berlin.
Seine Forschungsarbeit konzentriert sich auf den Tastsinn, das Spielen und die Neurobiologie von Elefanten.
George Carlin sagte mal „Jahrelang hielt ich mein Gehirn für mein wichtigstes Organ. Aber dann, eines Tages, dachte ich: He, Moment, wer sagt mir das eigentlich …“. Trotzdem: Das Gehirn ist wohl der richtige Ort, um nach Fühlen, Denken und schlussendlich auch nach dem Humor zu suchen, oder?
Absolut, das ist eine Fähigkeit von uns. Und wahrscheinlich auch etwas, das älter ist, als man gedacht hat – Humor hat wahrscheinlich tatsächlich tierische Wurzeln.
Dass Säugetiere Freude empfinden, können wir wohl als gegeben ansehen – unser Belohnungssystem ist dasselbe, wir alle freuen uns entlang von Dopamin und Endorphinen …
Ich glaube, dass der Schlüssel zum Humor tatsächlich das Spiel ist. Viele Tiere spielen, nicht nur Säuger. Zum Beispiel spielen ganz viele Vögel unglaublich toll und da sieht man auch gleich schon einen Zusammenhang zwischen Intelligenz und im Wesentlichen dann Gehirngröße und Verspieltheit. Das ist kein strenger Zusammenhang, es ist nicht so, dass wenn das Gehirn ein klein wenig größer ist, das Tier ein klein wenig verspielter ist, doch im Groben trifft es das. Also Tiere mit großem Gehirn, wie zum Beispiel eben Primaten, sind sehr verspielt. Und Tiere mit kleinerem Gehirn sind in der Tendenz weniger verspielt.
Beuteltiere, hat man früher gesagt, spielen gar nicht. Das ist nicht richtig, sie können auch spielen, wenn auch deutlich weniger. Bei Reptilien gibt es auch schon ganz gute Evidenzen dafür, dass sie spielen und bei Vögeln sogar ein sehr beeindruckendes Spielverhalten. Vielleicht haben Sie ja das Video mit dieser Krähe gesehen, die auf einer Orangenschale Schlitten fährt. Das ist wirklich ein Klassiker.
Und okay, Spielen ist nicht das gleiche wie Humor, aber ich denke, dass tatsächlich zentrale Elemente von Spielen und Lachen aus einem gespielten Kampf kommen – also dem kindlichen Üben von Kampf und Jagd.
Betrifft das nur Jungtiere, oder bleibt das Spiel erwachsenen Tieren erhalten?
Es ist unterschiedlich, aber in allen Arten sind Jungtiere verspielter. Das ist auch ein Hauptgrund, weshalb wir denken, dass Spielen ein Lernverhalten ist. Meine eigene Perspektive ist, dass es ein Trainingsverhalten fürs Gehirn ist.
Mechanistisch wissen wir allerdings nicht, wieso Jungtiere so viel mehr spielen als erwachsene Tiere. Denn leider verstehen wir die Strukturen, die Spielverhalten kontrollieren, bisher nur sehr schlecht – Spielforschung ist ein Stiefkind der Hirnforschung.
Allerdings gibt es bemerkenswerte Unterschiede: Bei einigen Arten hält sich das Spielverhalten bis in die Erwachsenzeit, bei anderen vergeht es fast völlig, zum Beispiel bei Ratten. Bei Löwen dagegen, mit ihrem großen Gehirn, bleibt das Spielverhalten stark erhalten und ist auch sehr komplex.
Nun ist unser Thema der Humor, aber bisher sprechen wir bei Tieren eigentlich mehr über Freude, oder?
Ich glaube der Humor kommt aus dem Spielen, aber ist natürlich nicht das Gleiche wie spielen. Es gibt hier eine Debatte, wie eng das zusammenhängt. Bei Tieren allerdings gibt es einen engen Verhaltenszusammenhang zumindest zwischen Kitzligkeit und Verspieltheit. Bei den Ratten sieht man das sehr schön: Je verspielter die Ratte, desto kitzliger ist sie. Bei Menschen gibt es auch Hinweise für diese Idee, doch das ist umstritten.
Nun ist Kitzligkeit auch wieder nicht das gleiche wie Humor, aber nach meiner Meinung liegt das schon in die Nähe. Fragt man Menschen wie verspielt sind Sie? Wie kitzelig? Wie lustig? Wie viel Humor haben Sie? – dann zeigt sich eine robuste Korrelation. Genau diesen starken Zusammenhang sehe ich als Tierforscher auch bei Ratten, eben zwischen Kitzligkeit und Verspieltheit.
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Kann man überhaupt sagen, dass – und womöglich wie – Humor und Witz und Verspieltheit und Kitzligkeit zusammenhängen?
Nun, bei Tieren gibt es Elemente in diesem komplexen Verhalten, die man nicht gut versteht. Das ändert sich, wenn man mit Kindern interagiert, da zeigen sich als wichtiges gemeinsames Element von Humor und tierischer Verspieltheit und menschlicher Verspieltheit diese ambivalenten Verhaltensweisen.
Hinweise darauf haben wir im Tierversuch mit Ratten gefunden, die wir trainiert haben, ihren Kopf in ein Loch zu stecken, damit wir sie kitzeln. Dieser „nose poke“ wird üblicherweise mit einer Belohnung garniert und in unserem Fall war die Belohnung eben das Kitzeln. Doch was wir dann gesehen haben, hat sich deutlich von einer Futterbelohnung unterschieden. Beim Futter macht die Ratte einen nose poke nach dem anderen, beim Training auf Kitzeln nicht – dann umstreicht sie das Loch, geht oft hin und auch wieder weg. Zuerst dachten wir, die Tiere seien schlecht trainiert, doch das ist es nicht – sie haben einfach gemischte Gefühle, was das Kitzeln angeht. Manchmal stecken den Kopf in das Loch und rennen dann gleich um ihr Leben. Das ist dann ein Spurt, wie man ihn noch nie gesehen hat. Was eigentlich albern ist, denn die Ratte weiß ja, dass wir sie dann kitzeln. Oder sie streckt den Kopf in das Loch und macht einen Alarmruf. Oder sie zeigt ein Erstarrungsverhalten, wie es typisch ist für Angst in einer Bedrohungssituation. Auf den ersten Blick macht das alles überhaupt keinen Sinn – die Ratte hat den Kopf ja selbst reingesteckt, um gekitzelt zu werden.
Zuerst war das für uns sehr verwirrend. Doch im Grunde ist es genau das, was man auch sieht, wenn man Kinder kitzelt: Beim Kitzeln kratzen sie einen, treten und wehren sich. Aber sobald man aufhört, kommen sie angelaufen und wollen mehr. Dasselbe beim Spielen, dann rennen sie hintereinander her, sind hochvergnügt, schreien aber die ganze Zeit „ Hilfe, Hilfe, Hilfe! “ Das ist dieser gespielte Kampf. Und der hat zwei Elemente, eben dieses ambivalente Verhalten zwischen Spaß und Furcht.
Ich glaube, das ist es, was wesenhaft ist für Humor. Und was tierischem und menschlichem Verhalten gemeinsam ist. Und wohl auch, was einige Witze ausmacht. Ein guter Witz kann eine größtmögliche Unverschämtheit sein, über die man gerade noch lachen kann. Etwas, das man eigentlich nicht sagen darf, aber weil der andere lacht, ist es in Ordnung. Wenn die Leute über die Witze nicht mehr lachen, dann ist es auch nicht lustig, dann bricht das Ganze zusammen.
Der Witz als eine Art soziales Spiel …
Genau, eine gemeinsame Spielrealität. Wobei selbst das Lachen eine hochgradig ambivalente Verhaltensweise ist – das wird nicht in allen Einordnungen, die man zum Lachen liest, wirklich deutlich. Zum einen sind diese Lachgeräusche meistenteils freundlich sind, und signalisieren: es ist alles in Ordnung. Das ist auch beim Kitzeln ganz wichtig – schon bevor man Kinder kitzelt, lachen sie total. Das Signal ist, man darf sie anfassen und es macht Spaß. Lachgeräusche haben also eine wichtige Funktion im Herstellen der Spielrealität für beide Partner. Das ist essenziell, denn oft handelt es sich beim Spiel ja um einen gespielten Kampf. Doch der Angriff ist in Ordnung, weil diese Lachgeräusche da sind.
Doch Lachgeräusche sind das eine, das andere ist ja das Zeigen der Zähne. Und dieses „bared-teeth display“, das ist die stärkste Drohung, die ein Säuger hat. Einen Hund, eine Katze, einen Affen darf man nie anfassen, wenn er die Zähne zeigt. Denn das nächste ist das Zubeißen, also der stärkste Angriff. Dann ist der Spaß vorbei.
Und das ist etwas, das man verstehen muss, das macht Lachen zu einer völlig widersinnigen Verhaltensweise: Auf der einen Seite macht das Tier seine stärkste Drohung, gleichzeitig macht es diese Geräusche und es ist alles in Ordnung.
Das ist bei vielen gekitzelten Tieren so. Bei Primaten, natürlich, aber sogar bei Erdmännchen. Die haben ein unglaublich lustiges Kitzelverhalten, aber sie zeigen die Zähne. Gleichzeitig sieht man an den Augen, dass sie nicht zubeißen werden. Die Pfleger wissen das ganz genau.
Lachgeräusche synchronisieren also sozusagen über die Spieler, dass es ein Spaß ist, dass alles in Ordnung ist. Und das stellt diese Spielrealität her. Die wird auch strikt eingehalten – Kinder rangeln, aber sie schauen auch auf die Signale: So lange der andere noch lacht, ist alles gut, dann wird halt weiter gerangelt. Lacht der andere nicht mehr, muss aufgehört werden, dann ist diese gemeinsame Spielrealität nicht mehr existent.
Und hier, in der gemeinsamen Spielrealität, liegt meiner Meinung nach der Kern von Humor. Man versteht einen Witz nicht, wenn man keine gemeinsame Realität hat. Man versteht auch Lachen nicht ohne diese gemeinsame Realität.
Denn Lachen wird oft als etwas ganz Nettes beschrieben, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Lachen kann auch bedrohlich sein – meine Tochter zum Beispiel hatte früher so eine Art Seeräuberlachen, direkt aus Jim Knopf. Aber auch diese Bedrohungselemente gehören zum Humor, zum gespielten Kampf.
Wir haben jetzt viel über lachende Erdmännchen und Ratten gesprochen. Aber die wenigsten Leute haben je Gelächter aus der Kanalisation gehört. Spätestens jetzt sollten wir klar machen: Wie lachen Ratten, Herr Brecht?
Ratten haben zwei Klassen von Geräuschen. Zum einen niederfrequente Alarmrufe, die negativ besetzt sind, die signalisieren Alarm oder Warnung. Zum anderen haben sie sehr hochfrequente Geräusche, so um 50 KHz, also oberhalb unserer Hörschwelle. Diese Geräusche sind positiv besetzt, das hat bereits Jaak Panksepp gezeigt. Spielt man Ratten von der einen Seite normale Käfiggeräusche und von der anderen Seite Töne anderer Ratten vor, während die gekitzelt wurden, dann gehen die Ratten in Richtung der Lachgeräusche.
Wir Menschen können diese Geräusche natürlich nur hören, wenn man sie auf unseren Hörbereich runtertransformiert. Ein ehemaliger Mitarbeiter von mir hat sie dann mal Menschen vorlaufen lassen, und selbst wir empfinden diese Töne als lustiger im Vergleich zu anderen Rattenlauten. Das Lachen großer Affen, wie der Schimpansen hört sich frappierend wie unseres an. Aber es gibt natürlich auch große Unterschiede und wir verstehen noch lange nicht alles.
Nur am Rande: Hundebesitzer sind ja davon überzeugt, dass ihre Hunde lächeln können. Was meinen Sie, stimmt das?
Meiner Meinung nach ja, wobei auch das diskutiert wird. Doch es gibt durchaus ein „Playface“ bei Hunden, das zeigt, dass sie spielen wollen. Das ist Gesichtsmimik, aber natürlich spielt der ganze Körperausdruck mit hinein. Hunde sind ja bestimmt auf gute Einsehbarkeit gezüchtet. Übrigens können Hunde Menschen sehr viel besser lesen als Wölfe, dazu gibt es einige Arbeiten.
Ihre Kollegen untersuchen entweder Grundlagen oder Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Schlaganfall. Sie untersuchen Kitzeln. Auf eine Art sind Sie ein Exot, oder?
Ja, wir sind wohl eine Minderheit. Und das ist, glaube ich, auch bedauerlich. Also zwei Punkte dazu. Natürlich ist es völlig richtig, dass wir Alzheimer, Autismus, Depressionen und diverse andere Krankheiten heilen wollen und dass da viel Forschung reingeht. Aber gerade die Neurowissenschaften sind hier auch etwas obsessiv – es geht viel um negative Emotionen und Probleme. Diese Exklusivität halte ich für einen Fehler. 75 oder 60 Prozent wären völlig in Ordnung, aber es sind mehr als mehr als 95 und das ist eine Dummheit.
Die positiven Aspekte werden unterschätzt, aber sie gehören auch zum Leben und sie sind etwas Wichtiges. Junge Ratten spielen den ganzen Tag – und wir wissen nicht, warum. Wir wissen genau, warum die Mutterratte sexuell aktiv ist, dazu kennen wir die Schaltkreise und Prozesse auf molekularem Level. Auch den Schlaf und überhaupt die meisten basalen Verhaltensweisen haben wir wirklich gut verstanden. Doch Spielverhalten verstehen wir nicht. Auch warum die jungen Ratten so ausdauernd spielen und die alten nicht – diese Hirnmechanismen werden viel zu wenig untersucht. Es ist ein Fehler, sich nicht um die positiven Emotionen zu kümmern, das ist einfach bedauerlich.
Nehmen wir das mal als Ausrufezeichen an Ihre Kollegen. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Brecht!