Die Gedanken sind frei – aber werden sie das auch bleiben?

Graphik: MW
Denken Güntürkün

Wie entsteht die Ordnung unseres Denkens, und was stört sie? Möglich, dass wir bald die Prinzipien des Denkens verstehen und kranken Menschen helfen können. Aber können wir dann auch Gedanken lesen? Mit technischen Systemen ist heute tatsächlich schon vieles möglich, aber um richtig Gedanken lesen zu können, müsste mehr geschehen.

Veröffentlicht: 24.02.2015

Niveau: mittel

Das Wichtigste in Kürze
  • Wahrscheinlich stellen Verbünde von Neuronen, die während eines bestimmten Gedankens gemeinsam aktiv sind, das zelluläre Korrelat des Denkens dar. Diese Verbünde sind flexible, kurzfristig gemeinsam feuernde Koalitionen (sog. „Assemblies“), die sich immer wieder zu neuen Gruppierungen formieren können.
  • Assemblies müssen nicht zwangsläufig räumlich benachbart sein, sondern sind häufig über die Hirnrinde verteilt. Mustererkennungsverfahren, die an ein bildgebendes System gekoppelt sind, können die für einen Gedanken spezifische Aktivitätsverteilung im Cortex erlernen und den Gedanken somit später aus der Aktivität des Gehirns „herauslesen“.
  • Es ist aber unwahrscheinlich, dass es möglich sein wird, die ganze Reichhaltigkeit des individuellen Denkens durch solche Verfahren vollständig zu detektieren, denn den unendlich vielen, teilweise nicht verbalisierbaren geistigen Vorgängen eines Menschen stehen unendlich viele Kombinatorien neuronaler Signale gegenüber.
Über den Autor

Onur Güntürkün ist Biopsychologe an der Ruhr-Universität Bochum. Nach dem Abitur in der Türkei studierte und promovierte er in der Psychologie in Bochum und war dann Postdoc in Paris, San Diego und Konstanz. Er ist Mitglied der Nationalen Akademie Leopoldina und erhielt viele Auszeichnungen wie den Alfried Krupp-Preis, die Wilhelm Wundt-Medaille, die Verdienstauszeichnung des Türkischen Parlaments, den Leibniz- sowie den Communicator-Preis. In seiner Forschung versucht er zu verstehen, wie das Denken entsteht.

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Immerzu denke ich. Schon oft habe ich versucht, mein Denken zu stoppen; eine Leere in mir zu erzeugen, um dann durch den Vergleich dieser Leere mit meinem alltäglichen Denken mehr über das Gefüge meiner Gedanken zu erfahren. Nie ist es mir gelungen. In der Meditation, so heißt es, gelänge dies nach langem Üben. Ich werde wohl eines Tages das Training des Meditierens auf mich nehmen müssen, um in innerer Leere meinem Denken auf den Grund zu gehen.

Ich beobachte an mir, dass mein Denken ständig seinen Charakter wechselt. Manchmal ist es verwaschen bis zur Unkenntlichkeit; ein dumpfes Chaos von Gedankensplittern und wortlosen Bildern, die sich aneinanderreihen und überlagern. Manchmal, für kurze Momente, bin ich nur Sehen, Fühlen oder Hören. Manchmal springt mein Denken plötzlich auf etwas Neues und ich weiß nicht warum. Und zuweilen ist mein Denken kristallklar. Ein luzider Gedanke trägt mich dann für Stunden durch das komplexe Geflecht einer Argumentation und ich erkenne mit Leichtigkeit die innere Struktur des Gegenstandes, an dem ich geistig arbeite. In solchen Zeiten ist Denken ein rauschhaftes Vergnügen. Als Psychologe und Hirnforscher versuche ich, die neuronalen Grundlagen des Denkens zu verstehen. Für diese Forschung brauchen wir die ganze methodische Bandbreite der kognitiven Neurowissenschaften. In Zellkulturen werden zum Beispiel hybride Kompositionen aus Nervenzellen und Mikrochips gebastelt, um einen momentan noch primitiven biologisch-​technischen Dialog mit kleinen Gruppen von Nervenzellen zu führen. In Tierexperimenten lernen verschiedenste Tierarten, von Forschern ertüftelte Aufgaben zu lösen, während man gleichzeitig die Aktivität von Dutzenden ihrer Nervenzellen aufnimmt und versucht, die Teilaufgaben zu entschlüsseln, die die einzelnen Neuronen ausführen.

Diese Experimente offenbaren, dass Neuronen wie kleine Zahnräder einer gewaltigen Maschine funktionieren, indem sie Teilaufgaben eines großen Funktionsgefüges übernehmen. In anderen Versuchen rekonstruieren Wissenschaftler die komplexen Vorgänge im menschlichen Gehirn und schaffen es, einzelne Bausteine des Denkens sowie ihre zugehörigen neuralen Signaturen zu isolieren. In klinischen Studien werden gelähmte Menschen mit Elektroden in oder an ihrem Gehirn ausgestattet, um sie zu befähigen, allein durch die Kraft ihrer Gedanken Rollstühle und Roboterarme zu steuern oder über Schrift mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. All diese Erkenntnisse helfen uns immer besser zu verstehen, wie Denken, Lernen, Erinnern, Entscheiden und Handeln funktioniert und warum diese Prozesse zuweilen versagen. Die von Neugier getriebene Grundlagenforschung macht dabei die spätere klinische Anwendung erst möglich. Wenn wir die psychologischen und neuralen Signaturen des Denkens entschlüsselt haben, können wir vielen Menschen mit Krankheiten und Behinderungen helfen. Aber können wir dann auch Gedanken lesen? Könnten all diese Erkenntnisse eventuell dazu führen, dass das berührende Volkslied „Die Gedanken sind frei“ nur noch mit bitterem Beigeschmack gesungen werden kann, weil wir in unserem Denken gläsern geworden sind?

Nichts ist für die Forschung so wichtig wie eine Theorie, die das Experimentieren leitet und dem Forscher hilft, gewonnene Daten in echte Erkenntnisse umzuwandeln. Die wahrscheinlich fundamentalste Theorie der kognitiven Neurowissenschaft wurde 1949 von dem kanadischen Psychologen Donald Hebb in seinem Buch „The Organization of Behavior: A Neuropsychological Theory“ ausformuliert. Hebb spezifiziert hierbei drei Postulate, die immer noch als Grundmuster der heutigen neurowissenschaftlichen Forschung dienen.

Das erste Postulat besagt, dass Neuronen, die gemeinsam aktiv sind (und somit im Jargon der Neurowissenschaften gemeinsam „feuern“), untereinander effektivere Synapsen entwickeln. Ich will dies an einem Beispiel erläutern. Stellen wir uns vor, dass Sie in eine andere Wohnung umgezogen sind und dort das erste Mal in Ihrer neuen Küche kochen. Während es in der Pfanne brutzelt, beugen Sie sich geschwind nach vorne, um ein Gewürz zu greifen. Ein Teil der Nervenzellen in Ihrem Gehirn verarbeitet gerade die Situation: „ich stehe vor dem Herd“, „Gewürze sind im Bord vor mir“, „ich greife in Richtung der Gewürzdosen“ und so weiter. In dem Moment kollidieren Sie schmerzhaft mit der Dunstabzugshaube. Sofort melden sich andere Nervenzellen: „Schmerz an der Stirn“, „Dunstabzugshaube hängt tiefer als in der alten Küche“ und so fort. Alle in dieser fiktiven Szene aufgeführten Nervenzellen feuern nun für einen kurzen Moment gemeinsam. Dadurch wird die synaptische Bindung zwischen ihnen stärker. Eine stärkere synaptische Bindung führt dazu, dass wenn Sie das nächste Mal an Ihrem neuen Herd kochen, wieder die Nervenzellen aktiv sind, die ihre jetzige Situation verarbeiten (etwa „ich stehe vor dem Herd“). Die Aktivierung dieser Neuronen ist aber nun durch die starken synaptischen Kontakte in der Lage, diejenigen Nervenzellen zu aktivieren, die damals die schmerzhafte Kollision verarbeitet haben. Dadurch erinnern Sie sich während des Kochens, wie weh es damals tat und dass Sie ein neues Bewegungsmuster brauchen, um ohne Blessuren Ihr Pfannengut zu würzen.

Das erste Postulat von Donald Hebb (neurons that fire together, wire together) hat sich neurobiologisch als absolut zutreffend erwiesen. So simpel dieses Postulat klingt, so genial ist die vorgeschlagene Lösung für ein grundlegendes Problem der Hirnforschung: wie organisiert sich das Gehirn selbst und wie integriert es die im Leben gemachten Erfahrungen ohne die Existenz eines übergeordneten Kontrollsystems, das dem Gehirn sagt, wie es das tun soll? Heute wissen wir, dass entsprechend der Hebb’schen Regel Synapsen durch die Korrelation der Aktivität gleichzeitig feuernder Neurone gestärkt werden. Dadurch organisiert sich die Gedächtnisbildung unseres Gehirns durch das gemeinsame Auftreten von Ereignissen, die dann neuronal assoziiert werden.

Für Sie als Leser dieses Artikels bedeutet das, dass ich gerade dabei bin, Ihr Gehirn zu verändern. Millionen Neuronen Ihres Nervensystems verarbeiten gerade die Inhalte dieser Seite. Die Synapsen an denen erfolgreich beide beteiligten Nervenzellen gleichzeitig aktiv sind, durchlaufen daher in diesem Moment eine komplexe Kette molekularer Prozesse, an deren Ende die Stärkung dieser Synapsen steht. Wenn Sie sich morgen noch an diesen Artikel erinnern, habe ich Ihr Gehirn erfolgreich modifiziert.

Das zweite Hebb’sche Postulat lautet, dass Nervenzellen sich zu flexiblen, kurzfristig gemeinsam feuernden Koalitionen (sogenannte Assemblys) formen, die dann ein Objekt, eine Handlungsintention oder einen Gedanken repräsentieren. Es ist an dieser Stelle wichtig, genau zu definieren, was mit einer neuronalen Koalition gemeint ist. Ein Neuron A kann beispielsweise Teil des Assemblys „Herd“ sein, wenige Minuten später im Assembly „Schreibtisch“ ebenfalls feuern und kurz danach schweigen, wenn Sie an Ihr Auto denken. Dagegen könnte ein Neuron B eventuell bei „Herd“ inaktiv bleiben, aber bei „Schreibtisch“ und „Auto“ feuern. Sollten Sie aber etwas Neues über Ihren Schreibtisch lernen, können sich die Zusammensetzungen ändern, so dass zum Beispiel Neuron A aufhört, Mitglied dieses Assemblys zu sein. Sollten Sie den Begriff Assembly noch nie in diesem Zusammenhang gehört haben, formt sich eventuell in diesem Augenblick eine neue Konstellation von Nervenzellen in ihrer Hirnrinde, die durch Ihre gemeinsame Aktivität die synaptische Effizienz innerhalb dieser Gruppe erhöht (erstes Hebb’sches Postulat) sowie Assoziationen mit anderen ähnlichen Begriffen etabliert (das heißt mit Assemblys, die schon früher in Ihrem Gehirn entstanden waren).

Jedes Mal, wenn Sie in Zukunft das Wort Assembly hören oder lesen oder wenn Sie über die neuralen Korrelate des Denkens nachdenken, werden Sie genau diese neue Konstellation von Nervenzellen aktivieren. Und wenn Sie bei diesem Nachdenken zu neuen Einsichten kommen, wird auch Ihr Assembly für den Begriff „Assembly“ sich in der Zusammensetzung seiner neuronalen Mitglieder verändern.

Es ist wichtig festzuhalten, dass die Neuronen, die ein Assembly bilden, nicht zwangsläufig räumlich benachbart sein müssen. Im Gegenteil, es ist wahrscheinlich, dass sie über verschiedene Bereiche Ihrer Hirnrinde verteilt sind. Nehmen wir das Assembly für den Herd in Ihrer Küche. „Herd“ ist ein Wort in der deutschen Sprache und so wird eine Reihe von Neuronen im Sprachareal der linken Hirnhälfte Teil des Assemblys „Herd“ sein.

Ihr Herd hat aber auch ein bestimmtes Aussehen und somit werden Nervenzellen im Bereich Ihres visuellen Systems an diesem Assembly teilhaben. Da Sie häufig die Knöpfe Ihres Herdes bedienen, werden ebenfalls Nervenzellen in der Nähe der motorischen Zentren Ihrer Hände Teil des Assemblys „Herd“ sein. Wahrscheinlich hatte Donald Hebb auch mit seinem zweiten Postulat weitestgehend recht, wobei ein endgültiger Beweis für Hebb’sche Assemblys noch aussteht. Selbst wenn über das Konzept von Assemblys momentan noch teilweise kontrovers diskutiert wird, sind Neurowissenschaftler sich jedoch einig, dass beim Denken große Gruppen von Neuronen in wechselnden Kombinationen aktiv sind. Diese Aktivitätsmuster wandern schnell über die Oberfläche der Großhirnrinde, wobei gleiche Denkinhalte in der Regel mit ähnlichen Aktivitätsmustern verbunden sind. Dadurch sind Hirnforscher bis zu einem gewissen Grad in der Lage nachzuvollziehen, woran eine Person gerade denkt.

Da aber jedes Gehirn noch viel einzigartiger ist als ein Fingerabdruck, muss ein Computer erst einmal die Aktivitätsmuster des Gehirns einer bestimmten Person erlernen. Dazu wird die Person in einen Scanner gelegt und bekommt vom Experimentator mehrfach entweder ein A oder ein B auf einem Monitor gezeigt. Jeder dieser Buchstaben führt zu einem spezifischen Aktivierungsmuster im Gehirn, welches von einem Computer erlernt wird. Jetzt kann die Versuchsanordnung geändert werden: Zwar wird immer noch der Versuchsperson manchmal ein A oder ein B gezeigt, aber der Experimentator weiß nun nicht mehr, welcher Buchstabe gerade auf dem Monitor erscheint. Das muss er jetzt anhand der Aktivierungsmuster des Gehirns erraten.

Auf diesem einfachen Niveau funktioniert Gedankenlesen bereits ganz gut. Man kann diese Experimente so weit treiben, dass man extrem grob nachvollziehen kann, an was eine Person gerade denkt, während sie beginnt zu träumen, oder für welche von zwei Alternativen sie sich in wenigen Sekunden entscheiden wird. Für das Gelingen all dieser Studien muss aber immer die Versuchsperson vorher mit einem Set von Stimuli konfrontiert werden, damit der Computer die individuellen Aktivierungsmuster des Gehirns jeder Person für jeden Stimulus erlernen kann. Das dritte Hebb’sche Postulat besagt, dass Assemblys so in Sequenzen geordnet sind, dass das Ende der Aktivität eines Assemblys den Beginn der Aktivität des nächsten markiert. Dies könnte eventuell die neuronale Grundlage für den ununterbrochenen Strom von Gedanken repräsentieren, den wir alle erleben. Die Überprüfung der Richtigkeit dieses Postulats ist eine schwierige Aufgabe. Tatsächlich beobachtet man, dass Nervenzellen in Arealen wie zum Beispiel dem für Gedächtnisbildung wichtigen Hippocampus in zeitlich angeordneten Staffeln organisiert sind und wie Taktgeber für Assemblys in anderen Bereichen des Gehirns fungieren könnten. Und es gibt viele Studien, die zeigen, dass Neuronen in kleinen Schaltkreisen in immer wiederkehrenden Sequenzmustern aktiv sind. Das Problem der jetzigen Hirnforschung sind aber nicht so sehr die kleinen repetitiven Schaltkreise. Die Frage ist eher, mit welchem Mechanismus Assemblys sich auf flexible Art und Weise immer wieder zu neuartigen Sequenzen organisieren. Sehr wahrscheinlich konkurrieren viele Assemblys darum, das nächste in der Kette zu sein. Wie die Auswahl des nächsten Assemblys gelingt und wie die ständige Überlagerung verschiedener Assembly-​Ketten verhindert werden kann, gehört zu einem Teil der momentan noch nicht befriedigend geklärten Rätsel.

Die Erforschung der neuronalen Grundlagen des Denkens ist die wahrscheinlich fundamentalste Herausforderung der Neurowissenschaft. Unsere Fähigkeit zu komplexem Denken hat uns zum Menschen gemacht, und Störungen des Denkens sind ein zentrales Merkmal vieler Erkrankungen des Gehirns. Noch sehr viel grundlagenwissenschaftliche Forschung ist notwendig, um die neuronalen Prinzipien des Denkens so weit zu verstehen, dass die kausalen Kernproblematiken der verschiedenen Erkrankungen des Gehirns geklärt werden können.

Bis dahin müssen die meisten therapeutischen Verfahren der Neurologie und Psychiatrie die Symptome lindern, statt die Ursachen der Erkrankung zu beseitigen. Doch die neurowissenschaftliche Erforschung des Denkens hat neben vielen Erkenntnissen für die klinische Anwendung ganz nebenbei auch ein Beiprodukt geschaffen, das für viele Patienten eine dramatische Qualitätssteigerung ihres Lebens bedeuten kann. Menschen mit vollständiger oder weitestgehender Lähmung sind momentan für ihre Versorgung und für die Erfüllung einfachster Wünsche auf ihre Umwelt angewiesen. Wie weiter oben ausgeführt, lassen sich aber Signaturen von Handlungsintentionen in jedem Gehirn identifizieren. Hierbei braucht man noch nicht mal einen großen Scanner zu verwenden, sondern kann mit einfachen Elektroden, die auf die Kopfhaut geklebt werden, die neuralen Korrelate von Handlungsintentionen ableiten. Durch systematisches Trainieren von Musterdetektoren sind später technische Systeme in der Lage, zum Beispiel Rollstühle zu manövrieren. Für komplexere Handlungen, die beispielsweise von Roboterhänden durchgeführt werden, müssen kleine Elektroden entweder auf oder in den Cortex des Patienten implantiert werden. Die Patienten bekommen dadurch eine technische dritte Hand, mit der sie viele alltägliche Dinge erledigen können.

Wenn wir heute bereits in der Lage sind, einfache Bilder, Worte und Entscheidungen aus dem Gehirn von Versuchspersonen zu lesen, müssen wir dann fürchten, dass wir bald geistig gläsern werden? Wo sind die Grenzen der technisch-​wissenschaftlichen Entwicklung des Gedankenlesens? Sollte in naher Zukunft die Auflösung von Scannern oder elektrophysiologischen Methoden besser werden, steigt natürlich auch die Güte des ausgelesenen neuralen Signals. Derzeitige Scanner mit sehr hohen Magnetfeldstärken sind allerdings bereits nahe der physikalisch sinnvollen Oberkante der Auflösung. Die elektrophysiologischen Verfahren werden diese Auflösung sehr wahrscheinlich nie erreichen. Das heißt, wir haben zwar noch nicht die Grenze erreicht, nähern uns aber den technischen Limits, die diese Technologien mit sich bringen. Mit der gleichzeitig ständig steigenden Rechenkapazität von Computern könnte es eventuell innerhalb der nächsten ein bis zwei Dekaden möglich sein, nicht nur grobe Kategorien des Denkens („Mann“, „Straße“, „Auto“), sondern auch differenziertere Gedanken, wie die an eine bestimmte Szene, eine konkrete Person oder ein Wort zu erfassen. Komplexe Gedankengänge wären immer noch nicht erfassbar. Zudem muss man bei diesen Überlegungen eine Randbedingung erwähnen.

Alle bisherigen Untersuchungen klappen nur durch hochgradig kooperative Versuchspersonen, die sich stundenlang bewegungslos Stimulusmaterial anschauen, damit der Scanner ihre entsprechenden Hirnaktivitäten lernen kann. Später, in der eigentlichen Testphase, halten sich diese Versuchspersonen auch brav an das Testprotokoll und denken zum Beispiel genau an das Bild oder das Wort, das der Computer in ihrem Gehirn erfassen soll. Sobald diese Systeme zur Überführung von potentiellen Verbrechern genutzt werden sollen, wird wahrscheinlich klar werden, welche geistigen Gegenstrategien Menschen entwickeln können, die nicht ihr Denken offenbaren wollen.

Doch was wäre, wenn uns morgen eine technische Revolution ein vollkommen neues Werkzeug in die Hand geben würde, mit dem wir die Aktivität praktisch aller Neuronen erfassen könnten? Ein solches fiktives Szenario ist kaum vernünftig zu beantworten. Aber ich vermute, dass selbst ein derartig hochauflösendes System das Problem des vollständigen Gedankenlesens nicht lösen kann. Dieses Problem liegt in der Korrelation des geistigen und des neuronalen Signals. Den theoretisch unendlich vielen geistigen Vorgängen eines Menschen stehen in einem solchen Szenario auch nahezu unendlich viele Kombinationen neuronaler Signale gegenüber. Diese müssen erst einmal aufeinander abgebildet werden. Dazu müsste die Versuchsperson eine extrem große Anzahl unterschiedlicher Gedanken denken und diese präzise mitteilen, damit die Musterdetektoren die dazugehörigen neuronalen Signale lernen. Wie lange braucht es wohl, bis man so viel Unterschiedliches gedacht und das Gedachte erzählt hat, bis der Musterdetektor aus mir herauslesen kann, was ich für mich behalten möchte? Und dann gibt es noch ein weiteres großes Problem, es wurde ganz zu Anfang skizziert: Mein Denken ist bei weitem nicht so klar, dass ich es immer präzise mitteilen kann. Nur ein Teil meines Denkens wird mir bewusst und nur ein Teil des mir bewussten Denkens kann ich in Worten wiedergeben. Der Rest meines Denkens ist selbst mir nicht zugänglich, trägt aber zu den neuronalen Signalen bei, die zukünftige Systeme erfassen könnten.

Ich glaube, es bleibt dabei: Die Gedanken sind frei.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Synapse

Synapse/-/synapse

Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Hippocampus

Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio

Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-​CA4.

Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Dieser Artikel erschien erstmals am 29.10.2014 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Teil der Vortragsreihe „Hirnforschung, was kannst du? — Potenziale und Grenzen“ von Gemeinnütziger Hertie-​Stiftung und FAZ.

Hier finden Sie das Video zum Vortrag Können wir bald Gedanken lesen?

zum Weiterlesen:

  • Haynes JD, Rees G.: Decoding mental states from brain activity in humans, Nat Rev Neurosci 2006.
  • Hebb DO: The Organization of Behavior: A Neuropsychological Theory, Wiley New York 1949.

One comment

Die Gedanken sind frei, aber der Organismus ist in seiner Hülle gefangen. Er gehört aber dem Mediziner, wenn der Probleme hat.

Die Leistungen des menschlichen Hirns sind wirklich beachtlich und überall zu sehen. Ob noch mehr Verständnis für die Hirnleistung benötigt wird bezweifele ich.

Wir müssten die Aufmerksamkeit auf den Organismus lenken, der als Sklave die Arbeit für die vom Hirn geplanten Aktivitäten leisten muss.

Der Spaltung von Hirn und Organismus sollte sich die Hirnforschung annehmen.

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