Forschung an der lebenden Zelle

© Dietztel/Meier

Mikrotunnel und Flusskammern: Wenn Forscher Nervenzellen und ihren Bestandteilen bei der Arbeit zuschauen wollen, müssen sie sich einiges einfallen lassen, um in diese Miniaturwelt einzutauchen.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Andreas Vlachos

Veröffentlicht: 15.03.2023

Niveau: leicht

Das Wichtigste in Kürze
  • Einzelne Bestandteile von Neuronen wie Axone zu untersuchen, ist eine echte Herausforderung.
  • Etwa wenn Forscher unter die Lupe nehmen wollen, wenn eigentlich fein abgestimmte Stoffwechselvorgänge der Nervenzellen aus dem Gleichgewicht geraten.  
  • Stoffwechselvorgänge in Nervenzellen lassen sich mit isotopenmarkierten Tracern untersuchen.  
  • Solche Methoden erlauben aber nicht, einzelne Bestandteile von Neuronen detailliert zu untersuchen.
  • Neu entwickelte Durchflusskammern und Mikrotunnel sollen genau das ermöglichen.
  • Mit den Durchflusskammern lässt sich auch präzise steuern, mit welchen Substanzen oder Krankheitserregern einzelne Bestandteile von Nervenzellen in Kontakt kommen.      

Forscher erhoffen sich Erkenntnisse im Kampf gegen neurodegenerative Erkrankungen.

Sie sind winzig klein und leisten im Gehirn dennoch große Arbeit: Neurone. Ihre schiere Winzigkeit stellt Forscher vor große Herausforderungen. Vor allem dann, wenn sie gar nicht die Neurone als Ganzes untersuchen wollen, sondern vielmehr ihre Bestandteile wie beispielsweise die Synapsen. Nervenzellen bestehen aus vier Kompartimenten: Dendriten, Zellkörpern (Soma), Axonen und Präsynapsen. Dabei handelt es sich um durch Membranen abgegrenzte Räume der Zelle. Die Dendriten, astartige Fortsätze, nehmen elektrische Nervenimpulse auf und leiten sie weiter an das Soma, den Zellkörper. Die Nervenimpulse vom Soma weg leiten wiederum die Axone, Nervenzellfortsätze. An seinem Ende verzweigt sich das Axon in der Regel baumartig und mündet in einer Vielzahl von knopfförmig verdickten präsynaptischen Endigungen. Sie bilden einen Teil der Synapsen, die Verbindungsstellen zu anderen Nervenzellen.    

Der Durchmesser eines Nervenzellkörpers bewegt sich in der Größenordnung von tausendstel Millimetern. Abhängig von Typ und Größe des Neurons misst ein Zellkörper zwischen 5 Mikrometern und mehr als 100 Mikrometern. Die Axone der Nervenzellen sind etwa 0,05 bis 20 Mikrometer dick.

Diese Zahlen schrecken Wissenschaftler des Forschungsprojekts „Homeo-Hirn“ der TU Braunschweig und anderen Forschungsinstitutionen nicht ab. Sie wollen untersuchen, wie Zellkörper, Dendriten, Axone und Synapsen zusammenwirken. Was geschieht etwa, wenn ein Bestandteil einer Nervenzelle verändert wird? Wie wirkt sich das auf die anderen Bestandteile aus? Ein Beispiel: Man lässt einen Wirkstoff nur auf die Axone einwirken. Verändert das auch die Dendriten, den Zellkörper und die Synapsen? 

Eine zentrale Frage, die die Forscher umtreibt: Was passiert genau, wenn die eigentlich fein abgestimmten Stoffwechselvorgänge der Nervenzellen aus dem Gleichgewicht geraten? Schon länger vermuten Wissenschaftler, dass Störungen der Energieversorgung eine mögliche Ursache für neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz oder Parkinson sein können. 

Es gibt bereits einige etablierte Methoden, um Stoffwechselvorgänge in Nervenzellen zu untersuchen. "Bei der einfachsten Methode bestimmt man unter anderem, wie viel Glukose Zellen in einem Wachstumsmedium benötigen“, sagt der Bioinformatiker Karsten Hiller von der TU Braunschweig. „Damit kann man den groben Energiestoffwechsel der Zellen ermitteln.“ Doch den Forschern reicht das nicht. Sie wollen in Erfahrung bringen, was die Zelle beim Stoffwechsel genau macht. 

Dafür greifen sie auf sogenannte isotopenmarkierte Tracer zurück. Das ist ein bisschen so, als wenn man kleine Spione in den Stoffwechsel der Zellen einschleust. In den Zucker eingebaut, erhöhen stabile Isotope dessen Masse, was sich mithilfe eines Massenspektrometers sehr genau messen lässt. Die Zellen selbst merken keinen Unterschied. Sie verstoffwechseln den manipulierten Zucker genauso wie den normalen. „Jedoch können wir die schwereren Isotope dann in allen Stoffwechselprodukten der Glukose nachweisen“, sagt Hiller. „Und wir können auch bestimmen, wie viel Glukose über welchen Stoffwechselweg wohin geht.“ Diese Methode lässt sich nicht nur auf Glukose anwenden, sondern auch auf andere Kohlenstoffquellen wie beispielsweise Aminosäuren oder Fettsäuren. 

Keine Sorge übrigens: Die verwendeten stabilen Isotope sind nicht radioaktiv. Ansonsten könnten Hiller und seine Kollegen auch gar keine Versuche mit Menschen durchführen. Die verwendeten Substanzen sind gesundheitlich völlig unbedenklich. „Wenn man den Probanden den markierten Zucker zu trinken gibt, ist das für den Körper wie ganz normaler Zucker. Aber wir können dann den Stoffwechsel des Zuckers im gesamten Körper verfolgen.“  

Allerdings reichen den Wissenschaftlern auch die kleinen Spione im Stoffwechsel und die Erkenntnisse, die sie ihnen liefern, nicht aus. Denn: „Mit den gängigen Methoden kann man nur viele Zellen ganz global in den Blick nehmen“, so Hiller. Bei ihren Fragen zum Energiestoffwechsel wollen die Forscher aber eben einzelne Bestandteile der Neurone untersuchen. Beispielsweise nur ganz bestimmte Bereiche von Axonen. Wenn sie etwa den Austausch in den Blick nehmen wollen zwischen Axonen und Oligodendrozyten – einem Typ von Hirnzellen, der für den Energiestoffwechsel wichtig ist. Oder bei der Frage, welche Metabolite in das Axon an speziellen Stellen rein und rausgehen.

Mikrotunnel und Flusskammern

Hier kommen die Technologie-Experten wie der Physiker und Mikrotechnologe Andreas Dietzel von der TU Braunschweig ins Spiel. Er und seine Kollegen arbeiten an sogenannten „mikrofluidischen Systemen“ im Chip-Format. Konkret entwickelt Dietzel stark miniaturisierte Durchflusskammern, die es erlauben, Neurone in einzelne Kompartimente unterteilt zu kultivieren. So lassen sich ganz gezielt einzelne Bestandteile von Neuronen unter die Lupe nehmen, etwa bei der Erforschung des Stoffwechsels. Mithilfe der Durchflusskammer lässt sich aber auch präzise steuern, mit welchen Substanzen oder Krankheitserregern einzelne Kompartimente von Nervenzellen in Kontakt kommen. 

Als wichtiges Element in der Herstellung verwenden Dietzel und seine Kollegen die sogenannte Zwei-Photonen-Polymerisation. Sie ähnelt dem 3D-Druck, allerdings auf sehr viel kleinerer Skala. „Damit werden Mikrotunnel erzeugt, durch die sich Axone gerichtet ausdehnen“, sagt Dietzel. Eine Vielzahl dieser Mikrotunnel sind die einzige Verbindung zwischen den Zellkammern. Die Mikrotunnel mit einem Querschnitt von wenigen Mikrometern ermöglichen den Durchgang von Axonen aus dem ursprünglichen in das angrenzende Kompartiment. Während die Wanderung der Zellkörper eingeschränkt bleibt, so dass sie im ursprünglichen Kompartiment verbleiben.

LED-Module als Mikroskope

"Unsere Chips sind optisch transparent, so dass man Zellen und subzelluläre Strukturen mit hochauflösender Bildgebung darstellen kann", sagt Andreas Dietzel. Zudem bringen die Forscher eine regelmäßige Anordnung von Mikroelektroden in die Kammern ein. Damit wollen sie die Erregungsleitung entlang der Axone auslesen und diese in direkten Zusammenhang mit der elektrischen Aktivität im Zellkörper stellen. Nano-LED-Module sollen zudem als kleine Mikroskope dienen und eine langfristige Beobachtung ermöglichen. So lässt sich beispielsweise über mehrere Wochen beobachten, wie Nervenzellen und ihre Kompartimente sich aufgrund von Viren oder Bakterien verändern, oder welche langfristigen Auswirkungen Wirkstoffe auf Nervenzellen haben.

Die Mikrotunnel mit ihren ausgerichteten Axonen ermöglichen es, Vorgänge zu beobachten, die für die Kommunikation zwischen Nervenzellen wichtig sind. Dietzel nennt als Beispiel eine menschliche Pyramidenzelle. Sie muss synaptischen Informationstransfer über eine Länge von bis zu rund einem Meter zwischen motorischem Cortex zum Rückenmark bis fast in die Lendenregion gewährleisten. "Wenn man nun den Zellkörper als eine Art Kommandozentrale betrachtet“, sagt Dietzel, „dann ist es eventuell nicht möglich, den direkten Dialog zu den Hunderten von Synapsen desselben Neurons im Lendenbereich herzustellen." Von daher kommt es zu Fehlern in der Kommunikation zwischen beiden Kompartimenten. "Bei der Epilepsie beispielsweise gehen wir davon aus, dass solche Fehlleistungen pathologisch relevant sein können.“ Mit Hilfe des Einsatzes von mikrofluidischen Systemen wollen die Forscher solche Fehlleistungen studieren, um letztlich zur Entwicklung neuartiger Medikamente beizutragen. 

Axon

Axon/-/axon

Das Axon ist der Fortsatz der Nervenzelle, der für die Weiterleitung eines Nervenimpulses zur nächsten Zelle zuständig ist. Ein Axon kann sich vielfach verzweigen, und so eine Vielzahl nachgeschalteter Nervenzellen erreichen. Seine Länge kann mehr als einen Meter betragen. Das Axon endet in einer oder mehreren Synapse(n).

Soma

Soma/-/cell body

Der Zellkörper, auch Soma genannt, ist das Stoffwechselzentrum der Zelle. Er trägt neben den Zellorganellen – zum Beispiel die Mitochondrien – auch den Zellkern mit den Erbanlagen. Vom Zellkörper gehen die Dendriten und das Axon (langer faserartiger Fortsatz von Nervenzellen) ab.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Axon

Axon/-/axon

Das Axon ist der Fortsatz der Nervenzelle, der für die Weiterleitung eines Nervenimpulses zur nächsten Zelle zuständig ist. Ein Axon kann sich vielfach verzweigen, und so eine Vielzahl nachgeschalteter Nervenzellen erreichen. Seine Länge kann mehr als einen Meter betragen. Das Axon endet in einer oder mehreren Synapse(n).

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Rückenmark

Rückenmark/Medulla spinalis/spinal cord

Das Rückenmark ist der Teil des zentralen Nervensystems, das in der Wirbelsäule liegt. Es verfügt sowohl über die weiße Substanz der Nervenfasern, als auch über die graue Substanz der Zellkerne. Einfache Reflexe wie der Kniesehnenreflex werden bereits hier verarbeitet, da sensorische und motorische Neuronen direkt verschaltet sind. Das Rückenmark wird in Zervikal-​, Thorakal-​, Lumbal und Sakralmark unterteilt.

Synapse

Synapse/-/synapse

Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.

Große Hoffnungen

Hier liegt die große Hoffnung, die Forscher von "Homeo-Hirn" mit dem Projekt verbinden. Da Störungen der Zellkommunikation und Störungen der Energieversorgung zu neurologischen und neurodegenerativen Erkrankungen führen können, soll die Forschung auch klinische Bedeutung haben.  

"Wir können an den einzelnen Kompartimenten der Zelle in kurzer Zeit verschiedene Therapeutika ausprobieren", sagt der Biologe Martin Korte, Leiter des Zoologischen Instituts an der TU Braunschweig. Es gehe also auch darum, Medikamente zu finden. "Zudem hoffen wir, frühe Biomarker im Metabolismus zu finden, die Hinweise liefern, dass gerade etwas schief geht." Wenn die Wissenschaftler etwa geeignete Metaboliten, vielleicht sogar schon im Blut fänden, könnte man schon früh medizinisch eingreifen. „Gerade bei neurodegenerativen Erkrankungen ist ja das Problem: Bis etwa die Diagnose bei Parkinson gestellt wird, sind schon 80 Prozent der Zellen mit Dopamin abgestorben." Die Vorgänge in kleinen Zellen mit ihren noch winzigeren Bestandteilen zu untersuchen, birgt somit große Hoffnungen für die Neurologie der Zukunft.

Neurodegeneration

Neurodegeneration/-/neurodegeneration

Sammelbegriff für Krankheiten, in deren Verlauf Nervenzellen sukzessive ihre Struktur oder Funktion verlieren, bis sie teilweise sogar daran zugrunde gehen. Vielfach sind falsch gefaltete Proteine der Auslöser – wie etwa bestimmte Formen der Eiweiße Beta-​Amyloid und Tau im Falle von Alzheimer. Bei anderen Krankheiten, beispielsweise bei Parkinson oder Chorea Huntington, werden Proteine innerhalb der Neurone nicht richtig abgebaut. In der Folge lagern sich dort toxische Aggregate ab, was zu den jeweiligen Krankheitserscheinungen führt. Während Chorea Huntington eindeutig genetisch bedingt ist, scheint es bei Parkinson und Alzheimer allenfalls bestimmte Ausprägungsformen von Genen zu geben, welche ihre Entstehung begünstigen. Keine dieser neurodegenerativen Erkrankungen kann bisher geheilt werden.

Biomarker

Biomarker/-/biomarker

In der Medizin versteht man unter einem Biomarker eine Substanz, die Hinweise auf den physiologischen Zustand eines Organismus gibt. Biomarker können entweder im Körper selbst entstehen oder chemische Verbindungen beschreiben, die Ärzte dem Körper zuführen, um an ihrem Schicksal bestimmte physiologische Funktionen zu testen. In Bezug auf die Alzheimer-​Krankheit sind mehrere Indikatoren als mögliche Biomarker im Gespräch. Hierbei handelt es sich beispielsweise um die Konzentration an löslichem Amyloid-​Vorläuferprotein im Blut sowie um die Aktivität des Enzyms, welches das Vorläuferprotein so zerschneidet, dass hieraus das plaquebildende Beta-​Amyloid hervorgeht. Oft werden auch krankheitsbezogene Veränderungen, die mit bildgebenden Verfahren nachgewiesen werden, als Biomarker bezeichnet. So kann man zum Beispiel den Abbau von Gehirngewebe im MRT erkennen.

Dopamin

Dopamin/-/dopamine

Dopamin ist ein wichtiger Botenstoff des zentralen Nervensystems, der in die Gruppe der Catecholamine gehört. Es spielt eine Rolle bei Motorik, Motivation, Emotion und kognitiven Prozessen. Störungen in der Funktion dieses Transmitters spielen eine Rolle bei vielen Erkrankungen des Gehirns, wie Schizophrenie, Depression, Parkinsonsche Krankheit, oder Substanzabhängigkeit.

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