Wenn Herz und Hirn gemeinsam leiden
Dass das Herz und das Gehirn eng miteinander verknüpft sind, ist keine neue Erkenntnis. Jeder weiß, dass unser Denkorgan immer gut mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt sein muss, die das Herz über den Blutkreislauf liefert. Doch die Verbindung zwischen den beiden geht tiefer und betrifft auch die Psyche. Geht es uns mental nicht gut, kann das Herz darunter leiden, und Herzkrankheiten können umgekehrt zu psychischen Erkrankungen führen.
Scientific support: Prof. Dr. Thomas C. Baghai
Published: 01.10.2022
Difficulty: easy
- Psychische Erkrankungen können das Herz belasten und umgekehrt.
- Beispiele dafür finden sich etwa bei Depressionen, Angststörungen, posttraumatischer Belastungsstörung, Demenz und dem „Gebrochenes-Herz-Syndrom“.
- Die Mechanismen der gegenseitigen Beeinflussung sind vielfältig: Wichtig sind etwa Entzündungen, das vegetative Nervensystem und Stress-Kreisläufe.
- In der Praxis sollten Patienten möglichst ganzheitlich behandelt werden, bisher ist das leider noch nicht ausreichend umgesetzt.
Es gibt verschiedenste Studien, in denen der Einfluss von Sport als Intervention bei psychischen Erkrankungen untersucht wird. Gerade für Angststörungen und Depressionen scheint es durchaus hilfreich zu sein, sich regelmäßig zu bewegen. Wichtig ist dabei: Der Sport soll nicht die Behandlung mit Medikamenten und/oder Psychotherapie ersetzen, sondern sie ergänzen. So könnten die Effekte der Therapien verstärkt werden. Zwar ist nicht ganz klar, welche der zahlreichen Sportarten besonders gut helfen, allerdings erzielt ein kombiniertes Kraft-Ausdauer-Training die besten Effekte.
Vorausschauend könnte Sport zudem unsere kognitiven Fähigkeiten stärken und im Alter zu weniger Leistungsabbau führen. Ob wir damit auch einer Demenz vorbeugen oder sie behandeln können, ließ sich aber in Studien bisher nicht aussagekräftig klären.
Was bedeutet es eigentlich, gesund zu leben – einen so genannten Healthy Lifestyle zu pflegen? Unterschiedliche Fachorganisationen sind sich darin zwar nicht absolut einig, doch spiegelt sich der aktuelle Stand der Forschung recht gut in den Tipps, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammengestellt wurden:
- Gesund essen: Verschiedene Arten von Nahrungsmitteln kombinieren, mit Früchten, Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen und Vollkorn-Produkten, in ausreichendem Maß.
- Wenig Salz und Zucker konsumieren
- Weniger schädliche Fette (saturierte und trans-Fette) zu sich nehmen
- Schädlichen Alkoholkonsum vermeiden.
- Nicht rauchen
- Körperlich aktiv sein
- Regelmäßig den Blutdruck kontrollieren
- Tests für verschiedene Erkrankungen (wie HIV und Tuberkulose, trifft in Deutschland seltener zu)
- Impfen lassen (nicht nur, aber auch, gegen Corona)
- Sicherer Sex
In Studien haben sich häufig eine mediterrane Ernährung und ein reduzierter Konsum an rotem Fleisch als förderlich herausgestellt. Manche Organisationen und Fachgesellschaften empfehlen zudem geistige Betätigung und Fortbildung, soziales Engagement und ausreichenden Schlaf. Wichtig ist außerdem, krankmachende Stressoren zu vermeiden und an der eigenen Stressregulation zu arbeiten. Dabei hilft ein starkes soziales Netzwerk, das in Belastungssituationen unterstützen kann. Falls schon Herzerkrankungen, Diabetes oder Ähnliches vorliegen, sollten diese Erkrankungen natürlich gut behandelt und überwacht werden.
Selbst mit klaren Richtlinien ist es allerdings nicht einfach, die Tipps tatsächlich umzusetzen. Das Wissen allein reicht nicht unbedingt aus, und es fällt uns schwer, unsere Gewohnheiten zu ändern.
Dass das Herz und das Gehirn eng miteinander verknüpft sind, ist keine neue Erkenntnis. Jeder weiß, dass unser Denkorgan immer gut mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt sein muss, die das Herz über den Blutkreislauf liefert. Doch die Verbindung zwischen den beiden geht tiefer und betrifft auch die Psyche. Geht es uns mental nicht gut, kann das Herz darunter leiden, und Herzkrankheiten können umgekehrt zu psychischen Erkrankungen führen.
Ängste und Depressionen schlagen aufs Herz
Laut einer Studie der europäischen Kardiologenvereinigung litten in Rehabilitationseinrichtungen für Herzpatienten etwa ein Fünftel aller Kranken an Depressionen, Angststörungen oder Stress. Das wiederum wirkte sich auf das Reha-Programm selbst aus, denn Patienten mit psychischen Belastungen hielten sich häufig schlechter an die Maßnahmen. So kommen die Betroffenen schnell in einen Teufelskreis.
Umgekehrt belegt eine riesige Studie unter der Leitung von Scott Lear an der Simon Fraser University im kanadischen Burnaby, dass Menschen, die vier oder mehr Symptome einer Depression zeigen, ein um 20 Prozent höheres Risiko für Herzkrankheiten und einen frühzeitigen Tod haben. Im Mittel fast 150.000 Menschen aus 21 Ländern waren in dieser Untersuchung über neun Jahre hinweg begleitet worden.
Und auch unsere kognitiven Fähigkeiten können leiden, wenn das Herz nicht gesund ist. Zwar ist unter den „Gedächtniskrankheiten“ die Alzheimer-Demenz am häufigsten und bekanntesten. An zweiter Stelle folgen jedoch bereits die „vaskulären“ Demenzen, die ganz oder teilweise einem Drittel aller Fälle zugrunde liegen. Sie entstehen beispielsweise dadurch, dass das Gehirn nicht ausreichend mit Blut versorgt wird. Ein kritischer Faktor ist der Blutdruck. Ist er im frühen Erwachsenenalter zu hoch, so steigt mit jahrzehntelanger Verzögerung das Risiko für krankhafte Veränderungen der Hirnstruktur. Dies war ein Ergebnis der britischen Insight 46-Studie . Mehr als 500 im Jahr 1946 geborene Personen waren dafür zeitlebens medizinisch begleitet und schließlich im Alter von 70 Jahren mithilfe der Kernspinresonanztomographie untersucht worden.
Das Broken-Heart-Syndrome – ein filmreifes Drama
Eines der drastischsten Beispiele für die Wechselwirkungen zwischen Psyche und Herz ist das Gebrochene-Herz-Syndrom (engl. Broken-Heart-Syndrome). Die Symptome ähneln einem Herzinfarkt, jedoch finden sich keine Blockaden der Arterien, die einen Infarkt verursachen könnten. Stattdessen ist die linke Herzkammer scheinbar grundlos vergrößert, was zu akutem Herzversagen führen kann. Tatsächlich wird das Syndrom nicht immer zügig erkannt, denn die Auslöser dafür können vielfältig sein. In Filmen und Serien wird es häufig so dargestellt: Eine Patientin hat Herzprobleme, die sich nicht durch die üblichen Tests erklären lassen. Irgendwann realisiert eine schlaue Ärztin, dass es der Todestag eines geliebten Menschen ist – und endlich ist die Diagnose da.
Tatsächlich wird das Gebrochene-Herz-Syndrom bei einem großen Teil der Patienten (je nach Studie ungefähr ein Drittel bis die Hälfte) durch physischen Stress ausgelöst, etwa durch eine Operation oder ein akutes Lungenversagen. Allerdings gehen diese physisch belastenden Situationen auch mit mentalem Stress einher, was die eindeutige Identifizierung der Auslöser schwierig macht. Rein emotionale Ursachen finden sich bei rund einem Drittel der Betroffenen. Darunter fällt tatsächlich der Tod eines geliebten Menschen, außerdem Beziehungskonflikte, Angst oder Wut. Bei den restlichen Patienten lässt sich der Auslöser gar nicht erkennen. Die gute Nachricht: Etwa 95 Prozent der Betroffenen erholen sich vollständig.
Wie das Hirn das Herz belastet
Aber wie kann es überhaupt sein, dass der Kopf das Herz krank macht und umgekehrt?
Ein Weg geht über das vegetative Nervensystem, das dafür sorgt, dass das Herz bei Aufregung schneller schlägt. Diese physiologischen Reaktionen sind eigentlich ganz normal, können aber durch psychische Erkrankungen oder chronische Stressoren aus der Balance kommen. „Wenn beispielsweise der Blutdruck dauerhaft überhöht wird, kann das die Herzkranzgefäße und den Herzmuskel schädigen“, erklärt Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Göttingen.
Das wäre der direkteste Weg einer Beeinflussung. Daneben gibt es die Möglichkeit, dass im Verlauf einer psychischen Erkrankung vermehrt und chronisch Stresshormone freigesetzt werden. Diese wirken nicht nur auf das Herz, sondern auch auf den Stoffwechsel, wodurch unter anderem mehr Lipide (Fette) in die Herzkranzgefäße eingelagert werden. Zudem kann es passieren, dass der Körper in eine Art permanenten Konflikt zwischen Kampf oder Flucht gerät. Dann werden die Blutplättchen aktiver und die Gerinnungsneigung erhöht. In einer Kampfsituation wäre das sinnvoll, um notfalls eine Blutung schneller stoppen zu können. Hält dieser „Bereitschaftszustand“ aber über längere Zeit an, so begünstigt er die Entstehung von Herzerkrankungen.
Dazu kommt, dass Menschen mit psychischen Belastungen ein höheres Risiko für ungesundes Verhalten haben, also beispielsweise rauchen, Drogen einnehmen, sich ungesund ernähren oder sich zu wenig bewegen. Auch der Schlaf kann eine Rolle spielen – bei verschiedenen psychischen Störungen gehören Schlafprobleme zu den Symptomen.
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Wie das Herz auf die psychische Gesundheit schlägt
Auch beim umgekehrten Weg – nämlich der Beeinflussung des geistigen Zustandes durch eine Herzkrankheit, sind noch nicht im Detail alle Mechanismen verstanden. Ein Teil der Wirkung geht wohl auf die psychische Wahrnehmung der Herzerkrankung zurück. „Das Herz hat für uns eine große symbolische Bedeutung, als Ort von Kraft und Vitalität“, sagt Herrmann-Lingen. „Wenn es geschädigt wird, durch einen Infarkt, eine Rhythmusstörung oder andere Erkrankungen, ist das eine reale Bedrohungssituation.“ Das sei zunächst nicht problematisch und helfe uns teils sogar, besser auf unsere Gesundheit zu achten. Entstehen allerdings echte Angststörungen, könne das zu verstärkter Selbstbeobachtung führen, und in der Folge zu weiteren Arztbesuchen, unnötigen medizinischen Untersuchungen und dadurch noch mehr Ängsten.
Klar ist, dass Entzündungsreaktionen, Depressionen und Herzerkrankungen sowohl verschiedene Krankheitszeichen gemein haben als auch gemeinsame biologische Wirkfaktoren besitzen, wie inflammatorische Substanzen, hormonelles Ungleichgewicht und genetische Faktoren. Depressionen können wie die Herzerkrankungen durch eine inflammatorische Reaktion des Körpers gefördert werden, was wiederum dazu führen kann, dass man die Sozialkontakte reduziert.
„Ein Weg, über den wir noch zu wenig wissen, geht über das Mikrobiom“, fügt Herrmann-Lingen hinzu. Dass die Mikroorganismen in unserem Körper einen Einfluss auf das Gehirn haben, ist bekannt. Es könnte aber auch durch Herzerkrankungen verändert werden, was möglicherweise ebenfalls zu einer Ausbildung von Depressionen beitragen kann.
Was also tun?
Welche Probleme zuerst auftreten, ist nicht immer deutlich. Und es ist eine Herausforderung, die Verbindung zu erkennen. Theoretisch sollten alle Ärzte von den möglichen Wechselwirkungen wissen – in den einschlägigen Leitlinien zu psychischen und Herzerkrankungen stehen dazu Hinweise. „In der Praxis sind aber noch viele Ärztinnen und Ärzte bei ihren Kernkompetenzen und blicken zu selten über den Tellerrand“, sagt Herrmann-Lingen. Das sei schon allein aus Zeitmangel und aufgrund der finanziellen Situation verständlich. Selbst in Krankenhäusern sei es schwierig, bei einer Herzbehandlung zusätzlich eine psychiatrische oder psychologische Betreuung zu finanzieren.
Positiv ist, dass es Fortbildungen und Trainings gibt, in denen etwa Kardiologen und Psychotherapeuten gemeinsam lernen und somit auf beide Bereiche eingestellt sind. Noch sei das die Minderheit, so Herrmann-Lingen, aber zumindest ein Anfang.
Deutlich ist jedenfalls, dass Betroffene möglichst ganzheitlich behandelt werden müssen. Bleibt die psychische Erkrankung unbeachtet, kann sie dazu führen, dass die Patienten ihre Medikamente für das Herz nicht regelmäßig einnehmen oder die Herzerkrankung über andere Mechanismen verstärkt oder aufrechterhalten wird. Umgekehrt hilft eine Psychotherapie nur bedingt, wenn die Betroffenen kurz vor dem Herzinfarkt stehen.
Ärztinnen und Ärzte plädieren deshalb dafür, die Patienten als ganze Menschen zu sehen und gemeinsam auf eine allgemeine – physische und psychische – Gesundheit hinzuarbeiten, anstatt nur einzelne Beschwerden zu behandeln.
Zum Weiterlesen
- 20 Health Tipps for 2020; https://www.who.int/philippines/news/feature-stories/detail/20-health-tips-for-2020 [Stand 24.04.2022].