Schlaf und Traum im Überblick

Copyright: Joel Sartore/National Geographic/GettyImages Grafikerin: Meike Ufer
Schlaf und Traum im Überblick
Autor: Arvid Leyh

Wie haben Sie letzte Nacht geschlafen? Tief oder flach? Unruhig? Genug? Die letzte Frage ist die wichtigste, denn Schlaf ist eine Art Allheilmittel: Der Körper regeneriert, das Gedächtnis konsolidiert sich. Doch viele Fragen sind noch offen.

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Björn Rasch

Veröffentlicht: 30.10.2012

Niveau: leicht

Das Wichtigste in Kürze
  • Nicht alle schlafen mit beiden Hirnhälften
  • Nicht die Gase des Magens sind es, die uns schlafen lassen
  • Nicht alle Tiere können sich das Träumen erlauben
  • Nicht jeder esoterische Mumpitz ist auch einer – zumindest luzides Träumen nicht
  • Nicht ausreichend zu schlafen ist schlecht fürs Lernen

Ob lang oder kurz, tags, nachts oder den ganzen Winter. Liegend, stehend – auch auf nur einem Bein –, schwimmend, kopfüber, womöglich sogar fliegend – ein jedes Tier schläft nach seiner Manier. Doch Schlaf ist nicht gleich Schlaf – während die meisten Säugetiere im Schlaf das Bewusstsein komplett verlieren, sind Delfine und andere Meeressäuger auch im Schlaf zur Hälfte wach. Zu einer Hirnhälfte. Das ermöglicht dem Tier zwar nicht die komplette Bewegungsfreiheit, doch ein Auge behält die Umwelt immer im Blick und die Atmung ist gesichert. Auch diverse Vogelarten beherrschen den Trick, nur eine Seite des Gehirns schlafen zu lassen.

Beim Menschen ist das anders, hier schlafen zwei Hirnhälften und das ganze Bewusstsein. Das ist so alltäglich wie geheimnisvoll: Jede Nacht mit dem Einschlafen verlieren wir das Bewusstsein, löst sich unsere Persönlichkeit auf. Am nächsten Morgen können wir manchmal sogar zuschauen, wie sich unsere Welt langsam wieder zusammensetzt: Wo sind wir? Was war gestern? Was kommt heute? Mit diesen Erinnerungen einher geht das emotionale Hintergrundrauschen und wenn wir Glück haben, springen wir freudig aus dem Bett.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Nächtliche Gase

Doch warum schlafen wir überhaupt? Dieses berühmte Drittel Lebenszeit, gegen dessen Verschwendung Popstars regelmäßig ansingen – die Fantastischen Vier zum Beispiel mit „Sofort Vollgas, volle Dosis, Du kannst schlafen wenn Du tot bist“ – es ließe sich doch besser verbringen, als in der Bewusstlosigkeit. Für die physiologische Seite dieses Warum hatten bereits die antiken Griechen Erklärungen: Dämpfe seien der Auslöser, sie entstünden im Magen und sammelten sich im Kopf. Dort kühlten sie das Gehirn, sänken dann ins Herz und kühlten auch dieses. Soweit die Version von Aristoteles, für den das Gehirn vor allem ein Kühlschrank fürs Blut war und das Herz der Sitz der wichtigsten Seelen. Sein Lehrer Platon hatte eine fast noch schönere Erklärung – auch er sah Magendämpfe als auslösend, doch die verstopften die Poren des Gehirns. Und isolierten es so vom Körper.

Inzwischen wissen wir ein wenig mehr und Nicole Simon fasst das in ihrem Artikel zur Anatomie des Schlafes zusammen. An dieser Stelle daher nur ein kurzer Ausblick: Zum Beispiel beobachtete Allan Rechtschaffen vom Mt. Sinai Hospital in New York 1968 die Gehirne von Schlafenden per EEG. Er sah, wie sich die elektrische Aktivität der Hirnfrequenzen mit dem Einschlafen zunehmend verlangsamte – um nach 90 Minuten wieder anzusteigen. Und dann wieder abzusinken. Welle um Welle der Hirnaktivität lässt sich allnächtens beobachten, je nach Schlafdauer vier bis sechs, und die letzte dieser Wellen spült uns an den Strand des Erwachens. Sie, oder der Wecker.

EEG

Elektroencephalogramm/-/electroencephalography

Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.

Paradox

Man unterscheidet vier Schlafphasen, von denen in dreien Körper und Gehirn so ruhig sind, wie das für den Schlaf typisch ist. Doch Phase vier geht mit beschleunigter Atmung und auffälligen Augenbewegungen einher – Rapid Eye Movements. Sie sind Namensgeber des REM-​Schlafes, der seit seiner Entdeckung von den drei anderen Phasen des Nicht-​REM-​Schlafes unterschieden wird. Es waren Eugene Aserinsky und Nathaniel Kleitman, die an der Universität Chicago bereits 1953 die auffällige Hirnaktivität dieser Phase beobachteten. Und nicht nur die war auffällig hoch, sondern auch Energieverbrauch, Atemfrequenz, Pulsfrequenz und oft sogar die Durchblutung der primären Geschlechtsorgane. Insgesamt scheint das Gehirn dem Wachen viel näher als dem Schlafen – daher wird der REM-​Schlaf auch als paradoxer Schlaf bezeichnet. In dem allerdings die Muskeln maximal entspannt sind.

Eine solch tiefe Entspannung kann sich nicht jedes Tier leisten: Antilopen müssen im Notfall schnell flüchten und kennen keine REM-​Phase. Löwen schon, sie haben kaum jemanden zu fürchten. Womöglich hat die REM-​Phase auch etwas mit dem Entwicklungsgrad bei der Geburt zu tun. Das würde erklären, warum der menschliche Säugling – der vergleichsweise unterentwickelt zur Welt kommt – die Hälfte seiner Schlafenszeit in der REM-​Phase verbringt: Die rasante Hirnentwicklung in dieser Phase erfordert einen höheren Anteil an REM-​Schlaf. Doch für Menschen jeden Alters scheint diese Form des Schlafes enorm wichtig zu sein. Schon Allan Rechtschaffen beobachtete, dass der Bedarf an REM-​Schlaf ansteigt, wenn der in den Nächten davor zu kurz kam – nach fünf Tagen ohne REM scheint selbst der lauteste Krach ihn nicht mehr verhindern zu können.

Verträumt

Nicht nur, aber vor allem in REM-​Phasen wird geträumt. Mal von göttlichen Ratschlägen, mal von schrecklichen Geschehnissen, oft von Banalem und häufig jenseits der Gesetze von Logik und Physik. Und doch fühlt sich, was auch immer im Traum geschieht, für den Träumer an wie eine reale Situation und so ist es kein Wunder, dass von Zukunftsvisionen bis zu verdrängten Trieben allerlei Mysteriöses in Träume hineingeheimnist wurde und immer noch wird. Vermutlich sind Träume gar nicht so geheimnisvoll. Oder doch?

Luzides Träumen galt bislang als esoterischer Mumpitz und sorgte für einige Mythen: Der Mensch könne seinen Körper verlassen, und „schauen Sie dort: ein blauer Fleck, wo ich mich gestern Nacht an der Spitze des Mount Everest gestoßen habe. Das ist der Beweis.“ Ganz so außerkörperlich-​dualistisch geht es wohl nicht zu zwischen Körper und Geist, aber tatsächlich ist luzides Träumen auch alles andere als Einbildung: Es gibt Menschen, die sich während des Träumens bewusst werden, dass sie träumen. Und damit den Traum beeinflussen können. Michael Czisch vom Max-​Planck-​Institut für Psychiatrie hatte das Glück, einige luzide Träumer zum Schlaf im Scanner überreden zu können – erstmals überhaupt. Dabei entwickelte sich nicht nur eine sehr interessante Kommunikation über die Grenzen von Wachen und Schlafen hinweg – wie Sie hier in einem FoxP2 hören können. Es ergab sich auch eine sehr interessante Folgefrage, denn den Unterschied zwischen unbewusstem Traum und luzidem Traum macht der Grad an Bewusstheit. Welche Hirnareale sind beim luziden Träumer also zusätzlich aktiv? Mit dieser Fragestellung hat sich Czisch seine Daten noch einmal angeschaut – hier das Interview dazu.

Der erste Träumer übrigens war womöglich das Opossum – das mit einem evolutionären Alter von 180 Millionen Jahren als lebendes Fossil gilt.

Lernen im Schlaf

Trotz aller Forschung wissen wir vieles noch nicht – zum Beispiel, warum Schlaf so unbedingt notwendig ist, dass Schlaflosigkeit zu paranoiden Episoden führen kann, Schlafentzug zur Folter wird und in dauerhafter Form sogar zum Tode führen kann. Wir wissen aber, dass wir zwar schlafen, unser Hirn in dieser Zeit aber keineswegs faul ist, im Gegenteil: Wer auch immer für eine Prüfung zu lernen hat, tut gut daran, nicht die Nacht durchzupauken, sondern ausreichend zu schlafen. Denn das Gedächtnis braucht den Schlaf, um sich zu bilden. Was bei Vokabeln und chemischen Formeln von Vorteil ist, hat im Fall von traumatischen Erlebnissen in den Augen einiger Forscher eher nachteilige Effekte. Ragnar Vogt geht beiden Aspekten des nächtlichen Lernens in einem Artikel auf den Grund.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Genug geschlafen?

Eingangs sprachen wir von der Qualität des Schlafes, und wann er ausreichend sei. Das ist schwer zu sagen, denn anders als bei Hunger und Durst sendet unser Körper keine eindeutigen Signale, sobald dieses Bedürfnis befriedigt ist. Damit beschäftigt sich der Autor Peter Spork in gleich zwei Artikeln: Einer über den individuellen Schlaf, der auf Gene für Lang– und Kurzschläfer eingeht, aber auch auf unterschiedliche Bedürfnisse je nach Alter. In seinem Plädoyer für eine ausgeschlafene Gesellschaft finden Sie nicht nur eine Analyse des Problems, sondern auch viele gute Tipps. Dass er damit in eine wichtige Kerbe haut, zeigt übrigens der Beitrag von Anna Corves über Schlafstörungen.

In diesem Sinn: schlafen Sie gut!

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Schlafstörungen

Schlafstörung/-/sleep disorder

Ein Sammelbegriff für verschiedene Phänomene, die sich dadurch auszeichnen, dass die Betroffenen keinen erholsamen Schlaf haben. Hierzu können sowohl psychische als auch organische Ursachen beitragen. Die Symptome reichen von Problemen beim Einschlafen und Durchschlafen bis hin zu unerwünschten Verhaltensweisen im Schlaf wie etwa Schlafwandeln, ruhelose Beine beim Einschlafen („restless legs“), Atemaussetzer im Schlaf („Schlafapnoe“) etc. Schätzungen zufolge leiden in den westlichen Ländern bis zu 30 Prozent aller Erwachsenen an irgendeiner Form von Schlafstörung. Die Suche nach den Ursachen ist häufig kompliziert, eine Analyse im Schlaflabor die beste Untersuchungsmethode.

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One comment

Stefan Pschera 20.01.2017
Ich erlaube mir Hinweise:

Ein Gliaforscher formuliert so: "Bildhaft kann man sagen, Nervenzellen verdienen das Geld in der Familie, sind aber zu beschäftigt, um sich um den Haushalt zu kümmern. Die wichtigen Aufgaben Nahrungsbeschaffung und Aufräumen, also Nährstoffe heran- und verbrauchte Botenstoffe nach der Informationsvermittlung wegzuschaffen, übernehmen die Gliazellen."

Wenn dies gilt, brauchen Neuronen keinen Schlaf. Also ist die obige Funktionsdeutung falsch. Die Neuronen räumen selbst auf. Wohin aber mit der nicht benötigten Transmitter? Einfach abgeben? Dies würde eine Kaskade auslösen. Das Neuron würde feuern und die Erregung läuft auf vorgeprägten Bahnen zum Erfolgsorgan. Die Informationsverarbeitung wäre gestört. ABER:

Bei gehemmter Motorik können sich die Neuronen austoben. THESE: Und dies passiert im Traum und Schlaf.

Warum räumen die Gliazellen nicht auf? Die Neuronen wären so immer im status quo. Schlaf wäre nicht nötig. ABER: Die Abweichungen werden zur Informationsverarbeitung benötigt. Kreativität u.a. wäre ohne diese Abweichungen nicht möglich.

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