Wenn die Angst das Leben bestimmt - Ein Leitfaden für Patienten
Angst zu haben ist etwas ganz Normales. Allerdings kann sich Angst manchmal verselbstständigen und zu einem quälenden Problem werden. Fassen Sie Mut, gehen Sie zu einem Experten! Ihre Angst ist wahrscheinlich gut behandelbar.
Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. Matthias J. Wieser
Veröffentlicht: 27.01.2017
Niveau: mittel
- Angst ist eine lebensnotwendige Emotion, kann aber bei manchen Menschen zu einem Problem werden. Wenn die Angst das tägliche Leben bestimmt und Beruf sowie Familie Schaden nehmen, ist es Zeit, sich an einen Arzt oder Psychotherapeuten zu wenden. Hier könnte eine Angsterkrankung vorliegen.
- Finden Sie den Mut, sich professionellen Rat zu suchen. Denn einer der Hauptgründe für eine Verstetigung von Angsterkrankungen ist eine fehlende Behandlung. Angsterkrankungen verschwinden selten von alleine, können aber mittlerweile gut behandelt werden.
- Für die Behandlung von Angsterkrankungen existieren sowohl medikamentöse als auch psychotherapeutische Möglichkeiten. Die kognitive Verhaltenstherapie hat sich in der Vergangenheit als besonders wirksam erwiesen.
- Stellen Sie sich den Situationen, vor denen Sie Angst haben. Das ist das A und O einer erfolgreichen Therapie.
- Bleiben Sie aktiv und tun Sie weiterhin Dinge, die Ihnen Freude machen. Belohnen Sie sich für Fortschritte und verlieren Sie nicht den Glauben an sich selbst.
Angst ist eine zentrale Emotion in unserem Leben, die uns dabei hilft, Schaden von uns abzuwenden, gefährliche Situationen zu meiden und uns durch den Alltag zu navigieren. Ohne sie würde es uns wahrscheinlich heute nicht geben.
Viele Dinge machen Menschen Angst: Kaum jemand mag giftige Tiere streicheln, freie Reden vor großem Publikum halten oder in vollkommen überfüllten U-Bahnen fahren. Angst macht sich auch körperlich bemerkbar: Der Herzschlag erhöht sich, die Muskeln spannen sich an und unsere Atmung beschleunigt sich.
Obwohl Angst etwas sehr Natürliches ist, kann sie sich bei manchen Menschen ins Unerträgliche steigern und so zu einem quälenden Problem werden: Dies markiert den Übergang zu einer Angsterkrankung, bei der die Angst das Leben kontrolliert. Angst hat dann ihre eigentlich nur schützende Funktion verloren und kann unseren Alltag bestimmen und damit zur Hölle machen. Hier sollte professionelle Hilfe gesucht werden. Sie können dafür Ihren Hausarzt fragen oder auch direkt im Internet nach einem Therapeuten in Ihrer Nähe suchen.
Emotionen
Emotionen/-/emotions
Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.
Ein häufiges Leiden
Angsterkrankungen sind mitnichten eine Seltenheit: Die Häufigkeit (Prävalenz) von Angsterkrankungen in Deutschland wird auf über 15 Prozent in der Gesamtbevölkerung geschätzt. In jedem Fall sollten Sie das nicht als ein Zeichen von Schwäche oder Minderwertigkeit auffassen – eine Angsterkrankung kann jeden treffen.
Viele Menschen mit Angsterkrankungen warten aus missverstandener Scham oft Jahre, bevor sie sich ihr Problem eingestehen und den Mut fassen, einen Arzt oder Psychotherapeuten zu konsultieren. Dabei sucht sich doch niemand selbst bzw. bewusst aus, ob er krank oder gesund ist! Angsterkrankungen verschwinden selten von selbst und je länger Sie eine Behandlung vermeiden, desto schwieriger wird sich die Therapie gestalten.
Finden Sie den Mut für einen Termin bei einem Spezialisten
Was sollten Sie also tun, wenn Sie aufgrund Ihrer Ängste kein normales Leben mehr führen können? Die Antwort ist zunächst sehr einfach: Fassen Sie den Mut und gehen Sie zunächst zu Ihrem Hausarzt, einer psychologischen Beratungsstelle oder einem Psychotherapeuten (dafür brauchen Sie keine Überweisung!) und schildern Sie Ihre Probleme offen. Lassen Sie sich helfen: Je mehr Sie sich öffnen, desto mehr Details stehen dem Experten bei der Untersuchung zur Verfügung und umso genauer kann er sich ein Bild von Ihrer Situation machen und helfen.
Können körperliche Ursachen (z.B. eine Schilddrüsenüberfunktion) ausgeschlossen werden, erhärtet sich der Verdacht einer Angsterkrankung. Ihr Hausarzt wird Sie in diesem Fall an einen Facharzt überweisen, der die weitere Diagnostik und gegebenenfalls Therapieoptionen mit Ihnen bespricht. Ihre Familie wird Sie auf diesem Weg begleiten und Ihnen den Rücken stärken – nehmen Sie die Hilfe an und sagen Sie, was Sie sich wünschen oder was konkret getan werden kann, um Ihnen zu helfen. Bedenken Sie, dass Ihre Erkrankung auch Ihre Familie betrifft und beziehen Sie sie in Entscheidung mit ein.
Was passiert nach einer Diagnose?
Eine Diagnose kann sowohl Erleichterung als auch zusätzliche Belastung verursachen. Behalten Sie aber im Hinterkopf, dass zu wissen, was Ihnen fehlt, der erste Schritt in Richtung Heilung ist. Angsterkrankungen lassen sich heute auf viele unterschiedliche Weisen erfolgreich und sicher behandeln.
Generell gibt es sowohl medikamentöse als auch psychotherapeutische Ansätze, die bei der Behandlung von Angsterkrankungen zur Anwendung kommen können. Oft werden auch beide kombiniert, um so den Effekt für den Patienten zu optimieren. Entspannungsverfahren können dabei für zusätzliche Entlastung hilfreich sein.
Die Medikamententherapie zielt auf eine Normalisierung der Signalübertragung im Gehirn ab, die mit der Entstehung und Aufrechterhaltung von Angsterkrankungen in Verbindung gebracht wird. Dazu gibt es mittlerweile viele verschiedene Medikamente, die Ihr Arzt mit Ihnen im Detail bespricht, um dann das für Sie optimale auszuwählen. In jedem Fall sollten Sie sich vor online angebotenen Mitteln hüten, die eine schnelle Hilfe versprechen.
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Medikamente oder Psychotherapie oder beides?
Neben der Medikamententherapie hat sich in der Vergangenheit insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie bewährt. Die Grundlage der kognitiven Verhaltenstherapie ist es, angstauslösende bzw. angstkonservierende Gedanken (Kognitionen) zu erkennen. Auf diese Weise wird zusammen mit Ihnen ein grundlegendes Verständnis der Erkrankung erarbeitet, was erfahrungsgemäß bereits erste Erleichterung verschafft. In weiteren Sitzungen werden Sie Schritt für Schritt mit den angstauslösenden Reizen konfrontiert und angeleitet, sich Ihrer Angst zu stellen. Dies passiert zuerst mental, später dann virtuell – zum Beispiel am Computer, wo man das Bild einer Spinne präsentiert bekäme und per Joystick näher heranholen kann. Schließlich folgt die Begegnung mit einer echten Spinne. Die Stärke der Angstauslöser wird also kontinuierlich gesteigert, allerdings nur in engmaschiger Absprache mit Ihnen.
Ziel ist es, die körperlichen und geistigen Symptome der Angst voll zu erleben. Sicherheitsverhalten (z.B. Verlassen der Situation) oder Beruhigungsmittel sind dabei nicht erlaubt. Mit der Zeit werden Sie merken, dass die Angst von selbst nachlässt und Sie sich beruhigen. Sie lernen dabei, wie Sie am besten mit ihr umgehen und dass sie letztendlich von selbst verschwindet.
Machen Sie sich keine Sorgen: Auch wenn sich diese Herangehensweise sehr belastend und unangenehm anhört, erfolgt kein Schritt ohne Ihre Zustimmung und ohne ärztliche beziehungsweise psychologische Aufsicht. Zudem werden alle Übungen vorher sehr genau mit Ihnen besprochen und an das, was Sie sich selber zutrauen, angepasst.
Als weitere Hilfestellung werden Ihnen in der Therapie Fähigkeiten vermittelt, die Sie dabei unterstützen, mit Ihrer Angst besser umzugehen. Damit lernen Sie, angstauslösende Situationen aus einer realistischen Perspektive zu sehen und Ihr eigenes Verhalten besser zu verstehen.
Was Sie selbst tun können
Informieren Sie sich über Ihre Erkrankung! Wissen ist Macht und kann Ihnen dabei helfen, Ihr eigenes Verhalten, Ihre Gefühle und Emotionen zu verstehen. Außerdem kann das Erlernen von Entspannungsverfahren – wie z.B. die progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen – helfen, Stress abzubauen.
Bleiben Sie aktiv, treiben Sie Sport und versuchen Sie, sich angstauslösenden Situationen bewusst zu stellen. Viele Menschen vermeiden diese, stellen sich ihnen nur in Begleitung anderer Menschen oder greifen zu ihrer „Notfallmedizin“. Das können angstlösende Medikamente sein, oder auch “nur” ein Talisman. Versuchen Sie, sich den für Sie belastenden Situationen auszusetzen und die Angst ohne Ablenkung und Hilfsmittel zu ertragen. Sie werden erleben, dass die Angst bald von selber nachlässt.
Selbsthilfegruppen sind immer eine gute Anlaufstelle für Personen mit Angsterkrankungen. Hier können Sie sich in einem ungezwungenen Rahmen austauschen und sich gegenseitig Rat geben. Menschen in ähnlichen Lebenslagen können oft am besten verstehen, wie Sie sich fühlen.
Seien Sie offen und ehrlich zu Ihrem Partner, Ihrer Familie und Ihren Freunden. Erzählen Sie, was Sie bedrückt, wie Sie sich fühlen, was genau Ihre Sorgen sind und wie Ihnen Ihre Mitmenschen konkret helfen können. Verstehen Sie aber auch die Probleme Ihres Gegenübers und respektieren Sie Grenzen.
Achten Sie auf das Wohlbefinden Ihres Partners / Ihrer Familie, aber auch auf Ihr eigenes. Gehen Sie Hobbys nach, treffen Sie Freunde und tun Sie, was Ihnen Spaß macht. Das alles kann dabei helfen, sich wieder gut zu fühlen.
Emotionen
Emotionen/-/emotions
Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.
zum Weiterlesen:
- Wolf, Doris: Ängste verstehen und überwinden. Wie Sie sich von Angst, Panik und Phobien befreien, Mannheim (2011).
- Wehrenberg, Margaret: Die 10 besten Strategien gegen Angst und Panik: Wie das Gehirn uns Stress macht und was wir dagegen tun können, Weinheim (2012).