Question to the brain

Träumen unter Narkose?

Published: 26.10.2016

Woher wissen Forscher, dass Menschen unter sehr tief gefahrener Narkose nicht träumen? Schließlich träumen Menschen offenbar auch im Tiefschlaf.

The editor's reply is:

Prof. Dr. Jan Born, Schlaf- und Gedächtnisforscher am Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie, Universität Tübingen: Zunächst einmal gibt es keinen sicheren Beweis dafür, dass Menschen überhaupt im Schlaf träumen. Man weiß nur: Wenn man Menschen aus verschiedenen Stadien weckt, sind sie unterschiedlich gut in der Lage, über ihre Träume zu berichten. Aber das ist immer im Nachhinein, post hoc. Die Trauminhalte können wir nur aus dem schließen, was das wache Gehirn vermeint, erinnern zu können. Als gewissenhafter Gedächtnisforscher muss ich sagen: Das ist ein angreifbares Vorgehen. Deshalb sage ich auch immer meinen Leuten: Wir wissen nicht, ob wir im Schlaf träumen. Hinweise darauf bekommen wir allenfalls aus Berichten nach dem Aufwachen.

Ich bevorzuge deshalb eine Alternativhypothese, für die es eine gewisse Evidenz gibt: Träume könnten nicht wirklich im Schlaf, sondern an der Übergangsphase entstehen, wenn wir etwa vom REM-Schlaf in den Wachzustand eintreten. Viele Träume werden etwa berichtet, wenn Menschen lange ausschlafen und spontan aus dem REM-Schlaf aufwachen.

Dabei ist das Aufwachen allerdings kein Alles-oder-nichts-Vorgang, sondern das Gehirn wechselt eine Weile zwischen beiden Zuständen hin und her. Und dann gibt es besonders viele Traumberichte. Auf der neuronalen Ebene kann man auch feststellen, dass das Aufwachen des Gehirns auch räumlich kein Alles-oder-nichts-Prozess ist. Einige Teile sind schon im Wachzustand, andere noch nicht.

Ein Traum könnte gut dadurch produziert werden, dass etwa das Arbeitsgedächtnis im Präfrontalcortex schon wach ist, aber zum Beispiel das limbische System und tieferliegende Regionen noch schlafen. Das würde dann einmünden in einen berichteten Traum. Allerdings ist auch dafür die Evidenz nicht wirklich gut.

Der stärkste Hinweis dürften die Ergebnisse der Gruppe von Giulio Tononi (University of Wisconsin) sein, dass bei vermehrter Gamma-Aktivität im EEG auch mehr Träume berichtet werden. Wenn etwa in den Traumberichten Gesichter vorkamen, konnte auch im EEG in den zwanzig Sekunden vor dem eigentlichen Erwachen eine stärkere Aktivität über den Gesichtsarealen nachgewiesen werden. Das geht also schon ein bisschen in Richtung Wachaktivität. Vielleicht ist es aber auch eine akademische Frage, ob der Moment des Träumens als Schlaf einzuordnen ist oder nicht.

Was man von Traumberichten weiß: Sie kommen sowohl nach REM- als auch nach Non-REM-Schlaf vor. Bei Narkose gibt es häufig keine Traumberichte, man hat das Gefühl, zwischen Wirkung der Narkose und Aufwachen ist nichts. Bei uns würde wohl keine Ethikkommission eine Vollnarkose nur für die Traumforschung zulassen. Aber es gibt Studien, die solche Untersuchungen kombiniert haben mit Verfahren mit einer leichten OP unter Narkose. Da kann man hinterher sehr schön Traumberichte abfragen. Aber, und das ist bisher der eindeutigste Hinweis auf einen Unterschied zwischen Schlaf und Narkose: Unter bestimmten Narkotika wie etwa Propofol gibt es nach der Vollnarkose einfach keine Traumberichte.

REM-Schlaf

REM-Schlaf/-/REM sleep

„REM“ steht für „rapid eye movement“ – und rasche Augenbewegungen sind auch charakteristisch für den REM-​Schlaf. Im Laufe einer Nacht durchleben wir mehrere solcher REM-​Phasen, die von non-​REM-​Phasen unterbrochen werden. REM-​Schlaf zeichnet sich durch schnelle Augenbewegungen aus, niedrig-​amplitudige Hirnaktivität gemischter Frequenzen sowie einem reduzierten Muskeltonus. Puls und Atemfrequenz sind dagegen erhöht. Zudem träumen wir während dieser Phasen besonders bildhaft und intensiv. Menschen, die aus dem REM-​Schlaf geweckt werden, berichten häufig bildhafte, konkrete und auch emotionale Träume, während nach dem Wecken aus dem non-​REM-​Schlaf eher abstraktere und an Gedanken erinnernde Träume berichtet werden.

Arbeitsgedächtnis

Arbeitsgedächtnis/-/working memory

Eine Form des Kurzzeitgedächtnisses. Es beinhaltet gerade aufgenommene Informationen und die Gedanken darüber, also Gedächtnisinhalte aus dem Langzeitgedächtnis, die mit den neuen Informationen in Verbindung gebracht werden. Das Konzept beinhaltet nach Alan Baddeley eine zentrale Exekutive, eine phonologische Schleife und ein visuell-​räumliches Notizbuch.

EEG

Elektroencephalogramm/-/electroencephalography

Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.

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