Frage an das Gehirn

Wie kommt es zu Leserechtschreibschwäche?

Fragesteller/in: Schülerin, 9. Klasse

Veröffentlicht: 26.11.2017

Wenn jemand eine Leserechtschreibschwäche hat, woran liegt das? Was ist bei diesem Schüler anders?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von PD Dr. Karin Kucian, Neurobiologin am Forschungszentrum für das Kind des Universitäts-Kinderspitals Zürich: Lesen können wir auf zwei unterschiedlichen Wegen: Einem schnellen, direkten und einem indirekten. Auf dem direkten Weg sehen wir ein Wort und gleichen es sofort neuronal mit unserem orthografischen Lexikon im Gehirn ab. Sehen wir etwa das Wort „Katze“, haben wir direkt eine Samtpfote vor Augen. Auf dem indirekten Weg können wir ein Wort hingegen nicht sofort zuordnen, sondern müssen es erst in seine einzelnen Silben und Buchstaben zerlegen und diese mit unserem Wissen abgleichen – also eine sogenannte Schriftlautdecodierung vornehmen. So gehen wir auch vor, wenn wir das Lesen erst erlernen oder unbekannte Wörter lesen.

Schüler mit einer Leserechtschreibschwäche (Dyslexie) unterschieden sich von „normalen“ Lesern oft dadurch, dass sie den direkten Leseweg nicht entwickeln, sondern immer die einzelnen Buchstaben betrachten müssen. Häufig haben sie aber auch Schwierigkeiten, auf dem indirekten Weg zu Lesen. Der Hauptgrund für die Leseprobleme: Den Schülern fehlt phonologische Bewusstheit. Sie ist wichtig für das Lesen und umfasst zum Beispiel die Fähigkeit, die ersten Laute eines Worts benennen zu können, festzustellen, ob ein Wort kurz oder lang ist oder ob Wörter sich reimen.

Die phonologische Bewusstheit und die Lesenetzwerke sind in der linken Gehirnhälfte lokalisiert. Im hinteren, linken Bereich des Gehirns findet etwa die visuelle Verarbeitung von Wörtern statt. Von dort werden die Informationen in die Region zwischen temporalem und parietalem Lappen weitergeleitet. Hier werden den Worten die passenden Laute zugeordnet. Studien haben gezeigt, dass Schüler mit Dyslexie in diesen für das Lesen wichtigen Bereichen des Gehirns Defizite aufweisen. Die Hirnaktivität im Lesezentrum ist reduziert, außerdem ist es schlechter vernetzt. Obwohl das Lesenetzwerk im Gehirn links lokalisiert ist, zeigt sich bei Schülern mit Dyslexie beim Lesen außerdem oft auch Aktivität auf der rechten Seite des Gehirns, beide Hirnhälften sind stärker miteinander verbunden.

Die genauen Ursachen für eine Leserechtschreibschwäche sind noch unklar. Man kennt jedoch schon bestimmte Gene, die für eine Dyslexie relevant sind. Trotzdem muss ein Kind nicht zwingend eine Leserechtschreibschwäche entwickeln, nur weil ein Elternteil betroffen ist. Auch die Umgebung und das Lernumfeld spielen eine wichtige Rolle.

Aufgezeichnet von Natalie Steinmann

Autor

Lizenzbestimmungen

Keine Nutzungslizenz vergeben:
Nur anschauen erlaubt.