Question to the brain

Was ist die Ursache für Matheschwäche?l

Questioner: Einstein23

Published: 04.03.2018

Wenn jemand eine Matheschwäche hat, woran liegt das? Was ist bei dem Schüler anders?

The editor's reply is:

Antwort von PD Dr. Karin Kucian, Neurobiologin am Forschungszentrum für das Kind des Universitäts-Kinderspitals Zürich Bei der Dyskalkulie, also einer Mathe- oder Rechenschwäche, gibt es ganz unterschiedliche Erscheinungsbilder – viel unterschiedlicher als etwa bei einer Leserechtschreibschwäche. Man könnte fast sagen, dass jedes Kind seine eigene Form der Dyskalkulie hat. Es können ganz verschiedene Aspekte des Rechnens und der Zahlenverarbeitung betroffen sein, etwa das Erfassen von Zahlen auf dem Zahlenstrahl, die Arithmetik mit Plus und Minus oder die Multiplikation.

Auf ganz basaler Ebene können Schüler zum Beispiel ein fehlendes Mengenverständnis haben. Legt man ihnen etwa ein Bild mit fünf Punkten links und acht Punkten rechts vor, können sie nicht zuordnen, auf welcher Seite sich mehr Punkte befinden. Ein anderes Problem ist die Verknüpfung von Zahlen mit dem zugehörigen Zahlwort. Das führt zu Problemen beim Zählen und Rückwärtszählen. Auch das Rechnen an sich kann schwierig sein: Schüler mit Dyskalkulie rechnen zum Beispiel oft zählend und nutzen ihre Finger. Sie erfassen vor allem Additionen und Subtraktionen nicht automatisch.

Interessant ist, dass einige Schüler mit Dyskalkulie das Einmaleins sehr gut beherrschen. Das liegt daran, dass es weniger mit dem Zahlenverständnis zu tun hat. Es geht beim Einmaleins eher darum, sich kleine Sprüche auswendig zu merken. Das funktioniert ganz ähnlich wie die Sprachverarbeitung, dafür sind auch Regionen in der linken Hirnhälfte wichtig. Dadurch ergibt sich auch eine Verbindung zur Leserechtschreibschwäche: Kinder mit Leserechtschreibschwäche haben öfter auch Schwierigkeiten mit dem Einmaleins. Generell treten beide Lernstörungen häufig zusammen auf – warum genau das so ist, ist bisher nicht geklärt. Eine Rolle könnte spielen, dass beim Rechnen praktisch das gesamte Gehirn involviert ist: Die sprachliche Verarbeitung, das Langzeitgedächtnis und Hirnbereiche, die für die Aufmerksamkeit zuständig sind genauso wie das Arbeitsgedächtnis.

Die Kernregion für das Rechnen ist aber der Interparietale Sulcus. Er liegt im Parietallappen, also im oberen, hinteren Bereich des Gehirns auf beiden Seiten. Er ist immer dann aktiv, wenn eine Aufgabe mit Zahlen zu tun hat. Bildgebende Studien haben gezeigt, dass Schüler mit Rechenschwäche vor allem hier Defizite haben. Die Aktivität im intraparietalen Sulcus ist bei ihnen geringer. Zudem gibt es Unterschiede in der Struktur des Gehirns. Der intraparietale Sulcus ist schlechter mit den anderen Netzwerken verbunden und hat ein geringeres Volumen. Als Ausgleich sind die übrigen Regionen, wie beispielsweise das Aufmerksamkeitszentrum, beim Rechnen ganz besonders aktiv. Das zeigt, dass Schüler mit Rechenschwäche sich für Matheaufgaben viel stärker konzentrieren müssen.

Die Chance, dass jemand eine Dyskalkulie entwickelt, ist höher, wenn ein Elternteil diese ebenso hat. Bis jetzt weiß man aber nur, dass es eine genetische Prädisposition gibt. Welche Gene genau beteiligt sind, ist noch nicht bekannt. Auch das Lernumfeld und die Umgebung spielen eine wichtige Rolle dafür, ob und wie stark sich eine Dyskalkulie ausprägt. Dabei können sogar so feine Faktoren entscheidend sein wie das Zahlensystem der Muttersprache. Deutsche Zahlbezeichnungen sind etwa eher unregelmäßig, im Französischen sind sie noch komplizierter. Wird ein Kind mit Veranlagung zur Dyskalkulie in Asien geboren, tut es sich unter Umständen leichter, da die asiatischen Zahlbezeichnungen viel regelmäßiger und einfacher sind.

Aufgezeichnet von Natalie Steinmann

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