Frage an das Gehirn
Welcher Anteil der Schlaganfall-Patienten wird rechtzeitig behandelt?
Veröffentlicht: 24.07.2018
Welcher Anteil der Schlaganfall-Patienten wird rechtzeitig in spezialisierten Zentren (‚Stroke-Units‘) behandelt, und wie kann man diesen Anteil erhöhen?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Antwort von Prof. Dr. med. Felix Schlachetzki, kommissarischer Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie und Chefarzt der Klinik für neurologische Rehabilitation Zentrum II am Bezirksklinikum Regensburg: Annähernd 170.000 Menschen jährlich erleiden in Deutschland einen Schlaganfall. Die Krankheit verursacht etwa acht Prozent aller Todesfälle hierzulande und ist damit eine der häufigsten Todesursachen, vor allem bei Menschen über 65. Die aus dem Schlaganfall resultierende Pflegebedürftigkeit, die ca. 66 Prozent der Schlaganfallüberlebenden mehr oder weniger betrifft, stellt eine immense familiäre und sozio-ökonomische Belastung dar.
Beim Schlaganfall unterscheidet man zwischen Hirninfarkt (ca. 80 Prozent aller Schlaganfälle) und Hirnblutung (ca. 20 Prozent). Bei der Hirnblutung kommt es zu einem Gefäß-Einriss mit Blutverlust, der schnell zum teilweisen Funktionsverlust der betroffenen Gehirnregion führen kann. Währenddessen kommt es beim Hirninfarkt („ischämischer Schlaganfall“) zu einer plötzlichen Mangelversorgung eines Gehirnabschnitts. In beiden Fällen kommt es darauf an, die Patienten möglichst schnell zu behandeln, um den Schaden zu begrenzen.
Für eine schnelle Diagnostik und Therapie von Schlaganfällen wurden in ganz Deutschland spezialisierte Zentren gegründet, die „Stroke Units“. Diese haben vor allem das Ziel, Gerinnsel wieder aufzulösen (sog. Thrombolyse). Diese Therapie kann zu einer Wiederherstellung der kompletten Hirnfunktion führen, wenn sie schnell angewandt wird. Werden die Patienten innerhalb von 90 Minuten nach Symptombeginn behandelt, so gelingt dies bei jedem Vierten. Vergehen bis zur Behandlung zwischen 90 und 180 Minuten, gelingt es nur noch bei jedem Neunten, und im Zeitfenster zwischen 180 bis 270 Minuten nur noch in einem Fall von 14, bleibende Behinderungen vollständig zu verhindern. Diese Zeitabhängigkeit ist Folge von Schädigungen wie Entzündungen und programmiertem Zelltod (Apoptose). Außerdem kann die Lysetherapie selbst zu Blutungen führen (Reperfusionsblutungen). Große Hirnarterienverschlüsse können mittlerweile durch Katheter über die Leiste rekanalisiert werden, was bei diesen oft sehr schweren Schlaganfällen eine hohe therapeutische Wirkung hat.
Neben der Rekanalisation von Hirnarterienverschlüssen trägt die multidisziplinäre Behandlung durch verschiedene Fachärzte, das Pflegeteam sowie Therapeuten dazu bei, die Behandlungsergebnisse in einer Stroke Unit bei beiden Formen des Schlaganfalls zu optimieren. Hierzu gehört die Regulierung von Blutdruck, Zucker- und Elektrolythaushalt, um erneute Schlaganfälle zu verhindern.
Der Anteil der Personen, die einen Schlaganfall erleiden und in einer Stroke Unit zeitnah behandelt werden, ist in den letzten Jahren dank der wachsenden Abdeckung durch solche Einrichtungen stark gestiegen – von den meisten Orten in Deutschland sind sie unter 90 Minuten erreichbar, und mobile Diagnostik-Methoden helfen schon während des Transportes. Die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft listet 311 Stroke-Units auf (2011 waren es noch 180!). Bestehende Versorgungslücken, vor allem in ländlichen Gebieten, werden durch Telestroke-Netzwerke (Fernberatung von Ärzten vor Ort) abgedeckt. Damit könnte der Schlaganfall auf der Liste der häufigsten Todesursachen in den nächsten Jahren nach unten rutschen – und, noch wichtiger, die Zahl derjenigen, die ihre Selbstständigkeit erhalten können, sich erhöhen.. Übrigens sollte jeder wissen, woran man einen Schlaganfall bei anderen erkennt, da eine Selbstdiagnose durch Betroffene selten zuverlässig ist. Unter anderem haben Betroffene meist Sprachschwierigkeiten, keine Kontrolle über ihre Gesichtsmuskulatur sowie generelle Lähmungserscheinungen.
Aufgezeichnet von Andreas Grasskamp