Frage an das Gehirn

Konzentrierter mit Kaugummi?

Veröffentlicht: 12.08.2018

Wie erklären Wissenschaftler das Phänomen, dass wir uns offenbar besser konzentrieren können, wenn wir beim Arbeiten auf einem Kaugummi herumkauen?

Die Antwort der Redaktion lautet:

Antwort von Dr. Detlef Rost , Leiter der begabungsdiagnostischen Beratungsstelle BRAIN und Professor an der Philipps-Universität Marburg (Arbeitsgruppe Pädagogische Psychologie & Entwicklungspsychologie) sowie an der Südwest Universität Chongqing in China:

In der Frage steckt eine Annahme, die so nicht stimmt. Die Theorie ist, dass durch die Kaubewegung das Gehirn ein bisschen besser durchblutet wird. Aber ich habe noch keine überzeugende Studie gesehen, die zeigt, dass Kaugummikauen einen positiven Effekt auf irgendwelche kognitiven Leistungen – Gedächtnis, Intelligenz oder Konzentration – hat.

Die Untersuchungen, die gemacht wurden, haben in der Regel kleine Gruppen miteinander verglichen. Das ist schon das erste Problem. Schließlich können da sehr viele Zufallseffekte reinspielen. Zweitens wurde meist eine Gruppe, die Kaugummi kaut, mit einer zweiten Gruppe verglichen, die ganz still dasitzt. Solch ein Versuchsplan kann aber keine Antwort auf die Frage geben, ob Kaugummikauen die kognitive Leistungsfähigkeit steigert. Natürlich aktiviert Kaugummikauen dann ein bisschen. Man kennt das vom Autofahren: Da wird man nicht so schnell müde, wenn man Kaugummi kaut. Man schläft nicht so schnell ein, weil man etwas macht. Aber im echten Leben sitzt niemand still wie ein Leichnam da und macht nichts, sondern man wackelt mit dem Fuß, wippt mit dem Stuhl, kratzt sich an der Nase, steht auf und holt sich einen Kaffee. Der Vergleich ist einfach der falsche.

Um das korrekt zu untersuchen, müsste man zwei Gruppen von Versuchspersonen vergleichen, die dasselbe machen, aber nur eine davon kaut Kaugummi. Das haben wir getan, und zwar mit mehr als 500 Kindern: Während eines ganz normalen Schultages haben wir die Kinder pro Klasse zufällig in zwei Gruppen eingeteilt und verschiedene Aufgaben bearbeiten lassen. Die Schüler und Schülerinnen der einen Gruppe durften dabei zuckerfreie Kaugummis kauen. Die anderen durften das nicht.

Hätten wir eine ganze Klasse, die Kaugummi kaut mit einer verglichen, die das nicht tut und dann Unterschiede gesehen, dann müsste es noch lange nicht am Kaugummikauen liegen. Dann könnten auch andere Faktoren, in denen sich die Klassen unterscheiden, der Grund sein, zum Beispiel das Klassenklima, der Lernfortschritt, Lehrer oder Geräuschpegel. Die Ergebnisse wären so nicht aussagekräftig. Durch unsere große Versuchsgruppe und die zufällige Einteilung der Kinder können wir davon ausgehen, dass alle möglichen störenden Variablen, in denen sich die Klassen unterscheiden, in beiden Gruppen gleichermaßen vertreten sind – also keinen Einfluss haben.

Beide Gruppen haben dann verschiedene Intelligenz- und Konzentrationstests bearbeitet. Die Kinder bekamen beispielsweise ein Muster, in dem ein Stück fehlt. Aus verschieden geformten Segmenten mussten sie dann das auswählen, was am besten in das Muster passt. Oder sie mussten sich eine Reihe von Wörtern merken, die sie am Ende der Stunde wiedergeben sollten. Oder sie sollten Konzentrationsaufgaben bearbeiten: Es wurden Blätter vorgegeben, auf denen sich viele Reihen mit den Buchstaben d und p befanden, die oben und/oder unten mit einem, zwei, drei oder vier Strichen markiert waren. Jedes d, dass genau zwei Striche hatte, sollte durchgestrichen werden. Ein p durfte niemals durchgestrichen werden. Das ist keine große kognitive Leistung, sondern man muss sich wirklich konzentrieren und genau hingucken.

Als wir die Leistungen der beiden Gruppen verglichen haben, ließ sich kein bedeutsamer Unterschied feststellen. Es gab einen sehr kleinen Unterschied – der war aber zugunsten der Kinder, die nicht gekaut haben. Sie konnten sich etwas besser konzentrieren und mehr Begriffe merken. Der Effekt war aber minimal. Das bedeutet: Im normalen Schulalltag ist die Aktivierung der Hirnleistung groß genug. Kaugummikauen hat dann keinen Effekt mehr.

Mögliche Placebo-Effekte des Kaugummikauens will ich aber nicht ausschließen. Der Glaube versetzt ja bekanntlich Berge. Das ist aber nichts Kaugummispezifisches. Wenn irgendjemand daran glaubt, dass das Kaugummikauen ihm hilft, und er fühlt sich wohl dabei, dann soll er auch ruhig Kaugummikauen. Es dient auch offensichtlich der Zahngesundheit: Durch den vermehrten Speichelfluss bekommt man nicht so schnell Karies. Zumindest, wenn das Kaugummi zuckerfrei ist. Aber intelligenz- oder konzentrationssteigernd? Dahinter würde ich ein großes Fragezeichen setzen. Ganz sicher lassen sich dadurch nicht zwei oder drei Schuljahre einsparen – wie manch einer behauptet. Das ist völliger Unsinn.

Aufgezeichnet von Nicole Paschek

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