Frage an das Gehirn
Wo sitzt das Bewusstsein für den eigenen Körper?
Veröffentlicht: 27.08.2018
In welchen Arealen des Gehirns ist das Körperbewusstsein lokalisiert, und was geschieht mit Menschen, bei denen diese Regionen geschädigt werden?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Antwort von Prof. Dr. Martin Lotze, Professor für funktionelle Bildgebung am Institut für diagnostische Radiologie und Neuroradiologie der Universität Greifswald.
Um diese Frage zu beantworten, hilft uns die Theorie der so genannten somatischen Marker, die von Antonio Damasio entwickelt wurde. Somatische Marker kann man auch als Körpersignale bezeichnen, die uns bewusst werden, und uns so dabei helfen, Entscheidungen zu fällen, indem sie eine Tendenz in eine gewisse Richtung vorgeben. Beispielsweise das gute Gefühl, das ein Lob nach einer guten Tat auslöst, im Gegensatz zum schlechten Gefühl, das ein Tadel nach einer schlechten Tat nach sich zieht. Beide Empfindungen beruhen auf Körpersignalen, die uns bereits bei Gedanken an die entsprechenden Taten bewusst werden und so zukünftige Entscheidungen beeinflussen.
Das Körperbewusstsein ist nach Damasio im unteren Parietallappen verortet. Insbesondere in der rechten Hemisphäre befinden sich hier Areale, die räumliche Informationen vom Körper verarbeiten. Wie sind wir im Raum ausgerichtet? Wie stehen unsere Extremitäten zur Körperachse? Wie befinden sich unsere Hände in Bezug auf Objekte in unserer Umwelt? Treten in diesen Regionen Schädigungen auf, kann es zum sogenannten Neglect kommen. Dann kann zum Beispiel die linke Gesichts- oder Körperhälfte schlechter wahrgenommen werden.
Des Weiteren gibt es ein ständiges self-monitoring, das in der Insel verortet werden kann und eher emotionaler Natur ist. Diese Selbst-Beobachtung geschieht einerseits intern, hinsichtlich der eigenen Befindlichkeit, und andererseits hinsichtlich multimodaler Reize, die von außen kommen.
Wir untersuchen derzeit in einem von der DFG unterstützten Forschungsprojekt Patienten mit Schädigungen in der Inselregion. Hier gibt es spannende Befunde beispielsweise hinsichtlich der Erregungsdimension der emotionalen Verarbeitung. Das bedeutet, dass einige dieser Patienten nicht mehr das Gänsehautgefühl erleben, das üblicherweise durch Musik ausgelöst wird. Andere empfinden keinen "Kick" mehr bei Noxen, also nach schädlichen Reizen wie Nikotin. Zudem werden mehr Fehler im emotionalen Erkennen bei so komplexen Grundemotionen wie Ekelgesichtern beobachtet, die oben erwähnten multimodalen externen Reize.
Die Insel ist also eine Art interner Monitor, der wesentlich an der Wahrnehmung von Körperveränderungen beteiligt ist und ein Gänsehautgefühl an das Gehirn weitervermittelt. Oder eben nicht, wenn er geschädigt ist. Was sich dann auch dadurch auswirkt, dass diese Körperveränderungen auch bei anderen nicht mehr erkannt werden können.
Aufgezeichnet von Dr. Jochen Müller
Hemisphäre
Hemisphäre/-/hemisphere
Großhirn und Kleinhirn bestehen aus je zwei Hälften – der rechten und der linken Hemisphäre. Im Großhirn sind sie verbunden durch drei Bahnen (Kommissuren). Die größte Kommissur ist der Balken, das Corpus callosum.
Neglect
Neglekt/-/neglect
Ein Neglect ist eine Wahrnehmungsstörung, bei der aufgrund einer Gehirnläsion Körperteile oder Reize nicht beachtet werden. Die Störung betrifft die der Hirnläsion gegenüberliegenden Seiten. Sie tritt meist nach Läsionen im rechten Parietallappen auf. Dementsprechend werden visuelle, auditorische und somatosensorische Stimuli der linken Seite nicht beachtet.
Emotionen
Emotionen/-/emotions
Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.
Wahrnehmung
Wahrnehmung/Perceptio/perception
Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.