Wie sich Nervenzellen zum Abruf einer Erinnerung gezielt reaktivieren lassen

© Ana M.M. Oliveira
Die Abbildung zeigt den Teil des Hippocampus einer Maus, der beim Erlernen der neuen Aufgabe aktiviert wird. In grüner Farbe erscheinen die Neuronen, die die spezifische Erinnerung an diese Aufgabe codieren.

Heidelberger Wissenschaftler untersuchen Einfluss eines epigenetischen Faktors auf Gedächtnisleistung

Quelle: Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Veröffentlicht: 03.06.2020

Im Laufe des Lebens wird eine Vielzahl von Erinnerungen gespeichert. Dabei geht die Wissenschaft davon aus, dass jede Erinnerung eine individuelle Repräsentation im Gehirn aufweist. Sie wird codiert von Neuronen, die aktiv sind, wenn neue Informationen aufgenommen werden. „Dieses Abbild ist vergleichbar mit einem Puzzle, das sich aus vielen Teilen zusammensetzt, in diesem Fall aus dem Muster der Nervenzellen, die Informationen codieren“, so die Wissenschaftlerin. „Um eine Erinnerung abrufen zu können, müssen ausreichend viele der entscheidenden Neuronen im Gehirn reaktiviert werden, damit sich die einzelnen Teile des Abbildes wieder zu einem Ganzen zusammenfügen.“

Die Heidelberger Neurowissenschaftler haben in ihren Untersuchungen mit Mäusen herausgefunden, dass sich der Abruf einer Erinnerung verbessert, wenn der Level eines bestimmten Proteins in den Nervenzellen selektiv erhöht wird. Dabei handelt es sich um das Protein Dnmt3a2 – einen sogenannten epigenetischen Faktor, der die DNA chemisch modifiziert. Dnmt3a2 sorgt dafür, dass bestimmte Proteine verstärkt hergestellt werden, die ihrerseits die Erinnerung beeinflussen.

Für seine Untersuchungen trainierte das Team von Dr. Oliveira Labormäuse in einer sogenannten Pawlowschen Konditionierungsaufgabe und markierte im Hippocampus die Nervenzellen, die für die Erinnerung an die erlernte Aufgabe relevant waren. In einem zweiten Schritt erhöhten die Wissenschaftler in genau diesen Zellen den Level des Proteins Dnmt3a2. „Schon eine geringe Steigerung führte bei den Mäusen zu einer verbesserten Gedächtnisleistung, da die ‚richtigen‘, das heißt die für die Erinnerung entscheidenden Neuronen, besser reaktiviert wurden“, erläutert Dr. Oliveira. „Dabei war es faszinierend zu sehen, dass wir diese Reaktivierung präzise modulieren können.“

In vorangegangenen Studien konnten die Wissenschaftler bereits nachweisen, dass das Protein Dnmt3a2 bei Mäusen altersbedingt gestörte kognitive Funktionen wiederherstellen und das „Löschen“ traumatischer Erinnerungen erleichtern kann. Von ihren Ergebnissen erhoffen sie sich neue Impulse für die Erforschung der Frage, wie Nervenzellen, die für die Steuerung der Gedächtnisleitung zuständig sind, gezielt beeinflusst werden können.

Die Forschungsgruppe von Dr. Oliveira beschäftigt sich mit den molekularen Mechanismen, die bei der Bildung und dem Erhalt des Gedächtnisses von Bedeutung sind. Die jüngsten Arbeiten wurden im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1134 „Funktionelle Ensembles: zelluläre Elemente, Aktivitätsmuster und Plastizität von ko-aktiven Neuronen in lokalen Netzwerken“ durchgeführt. Eine Veröffentlichung der Forschungsergebnisse ist im Fachmagazin „Nature Communications“ erschienen.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Hippocampus

Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio

Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-​CA4.

Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Plastizität

Plastizität/-/neuroplasticity

Der Begriff beschreibt die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzen Hirnarealen, sich abhängig vom Grad ihrer Nutzung zu verändern. Mit synaptischer Plastizität ist die Eigenschaft von Synapsen gemeint, ihre Erregbarkeit auf die Intensität der Reize einzustellen, die sie erreichen. Daneben unterliegen auch Größe und Vernetzungsgrad unterschiedlicher Hirnbereiche einem Wandel, der von ihrer jeweiligen Aktivität abhängt. Dieses Phänomen bezeichnen Neurowissenschaftler als corticale Plastizität.

Originalpublikation

K. Gulmez Karaca, J. Kupke, D.V.C. Brito, B. Zeuch, C. Thome, D. Weichenhan, P. Lutsik, C. Plass, A.M.M. Oliveira: Neuronal ensemble-specific DNA methylation strengthens engram stability. In: Nature Communications 11, 639 (2020). https://doi.org/10.1038/s41467-020-14498-4

 

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