Alzheimer-Forschung: Entzündungsmarker frühzeitig auffällig

Schon lange vor dem Auftreten von Demenz gibt es Anzeichen für eine erhöhte Aktivität des Immunsystems des Gehirns. Zu dieser Einschätzung kommen Forschende des DZNE und des Universitätsklinikums Bonn (UKB) auf der Grundlage einer Studie an mehr als 1.000 älteren Erwachsenen. Diverse Proteine wurden dazu im Nervenwasser erfasst: Sie dienten als sogenannte Biomarker, die auf Entzündungsprozesse des Nervensystems hinweisen. Wie sich herausstellte, sind manche dieser Moleküle offenbar Teil eines Programms des Immunsystems zur Schadensbegrenzung – was für die Entwicklung neuer Medikamente nützlich sein könnte. Die Studienergebnisse sind im Wissenschaftsjournal „Neuron“ erschienen.

Quelle: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE)

Veröffentlicht: 12.01.2022

In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass das Immunsystem des Gehirns und darauf zurückgehende Entzündungsprozesse – auch „Neuroinflammation“ genannt – die Entwicklung der Alzheimer-Erkrankung maßgeblich mitbestimmen. Vor diesem Hintergrund analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedene immunologische Biomarker, die sich durch gute Nachweisbarkeit im Nervenwasser und reproduzierbare Ergebnisse auszeichnen. „Man wusste bereits, dass diese Marker auf Immunprozesse im Kontext der Alzheimer-Erkrankung hinweisen. Bisher allerdings hatte man nicht so umfassend untersucht, wie wir es nun getan haben, wie diese Marker mit Hirnvolumen, kognitiver Leistung und anderen Parametern zusammenhängen“, erläutert Prof. Michael Heneka, der die aktuelle Studie im Rahmen seiner langjährigen Tätigkeit am DZNE und UKB leitete. Seit Anfang dieses Jahres ist er Direktor des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine.

„Wir haben festgestellt, dass manche dieser Entzündungsmarker schon dann auffällig sind, wenn es noch keine Symptome von Demenz gibt“, so Heneka. „Anhand der bisher vorliegenden Daten können wir die Vorlaufzeit noch nicht spezifizieren. Aber nach meiner Einschätzung beträgt sie mindestens zehn bis zwanzig Jahre.

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Umfangreicher Datenbestand

Ausgangspunkt der Untersuchungen waren Daten der sogenannten DELCODE-Studie, in deren Rahmen das DZNE gemeinsam mit bundesweit mehreren Universitätskliniken Demenz und deren Vorstadium erforscht. In das aktuelle Studienprojekt flossen Befunde von rund 300 Frauen und Männern ein, alle im Alter über 60 Jahre. Zur Probandengruppe zählten neben kognitiv unauffälligen Erwachsenen auch solche mit Gedächtnisproblemen unterschiedlich starker Ausprägung sowie Personen mit Alzheimer-Demenz. Von allen Studienteilnehmendem lagen Proben des Nervenwassers und standardisierte Gedächtnistests vor, von den meisten auch per Magnetresonanztomographie generierte Aufnahmen des Gehirns. Die Daten umfassten neben der Eingangsuntersuchung mindestens eine Nachuntersuchung ein Jahr später. Bei manchen Probanden erstreckten sich die Befunde auf mehrere Nachuntersuchungen aus einem Zeitraum von bis zu fünf Jahren.

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Magnetresonanztomographie

Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging

Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.

Auffällig auch ohne Demenz

„Es gibt etablierte Biomarker für Amyloid und Tau. Das sind Proteine, die sich bei einer Alzheimer-Erkrankung im Gehirn ansammeln und auch im Nervenwasser nachweisen lassen. Deren Messspiegel verändern sich in der Regel noch bevor Symptome von Demenz auftreten, was als Zeichen für nervenschädigende Prozesse gilt. Wir wollten wissen, ob die Entzündungsmarker in ähnlicher Weise anschlagen“, sagt Dr. Frederic Brosseron, Wissenschaftler am DZNE und einer der Erstautoren der aktuellen Veröffentlichung in „Neuron“. „Tatsächlich haben wir festgestellt, dass die meisten Entzündungsmarker erhöht sind, insbesondere wenn ein Marker für Nervenzellschäden erhöht ist. Das gilt auch, wenn diese Personen noch keine Symptome von Demenz aufweisen. Die von uns erfassten Entzündungsmarker eignen sich also insbesondere, um Neuroinflammation in frühen Krankheitsstadien zu untersuchen.“

Biomarker

Biomarker/-/biomarker

In der Medizin versteht man unter einem Biomarker eine Substanz, die Hinweise auf den physiologischen Zustand eines Organismus gibt. Biomarker können entweder im Körper selbst entstehen oder chemische Verbindungen beschreiben, die Ärzte dem Körper zuführen, um an ihrem Schicksal bestimmte physiologische Funktionen zu testen. In Bezug auf die Alzheimer-​Krankheit sind mehrere Indikatoren als mögliche Biomarker im Gespräch. Hierbei handelt es sich beispielsweise um die Konzentration an löslichem Amyloid-​Vorläuferprotein im Blut sowie um die Aktivität des Enzyms, welches das Vorläuferprotein so zerschneidet, dass hieraus das plaquebildende Beta-​Amyloid hervorgeht. Oft werden auch krankheitsbezogene Veränderungen, die mit bildgebenden Verfahren nachgewiesen werden, als Biomarker bezeichnet. So kann man zum Beispiel den Abbau von Gehirngewebe im MRT erkennen.

Tau-Protein

Tau-Protein/-/tau protein

Tau-​Proteine sind vor allem im zentralen Nervensystem verbreitet. Ihre Funktion besteht darin, dass sie die Mikrotubuli stabilisieren – also jene Strukturen, welche den Zellen Form und Halt verleihen. Unter bestimmten Umständen hängen Enzyme den Tau-​Proteinen zu viele Phosphatgruppen an. Dies hat zur Folge, dass die Proteine nicht mehr richtig abgebaut werden und innerhalb der Neurone toxische Aggregate bilden. Neben senilen Plaques gelten aggregierte Tau-​Proteine als klassische Kennzeichen für die Alzheimer-​Krankheit.

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Hinweise auf Neuroprotektion

Insbesondere zwei dieser Marker – Proteine der „TAM-Rezeptor-Familie“ – scheinen mit einem Schadensbegrenzungsprogramm zusammenzuhängen. Denn bei Studienteilnehmenden mit besonders hohen Werten dieser Marker war das Hirnvolumen vergleichsweise groß und die kognitiven Funktionen gingen im zeitlichen Verlauf langsamer zurück. Um diese Befunde zu verifizieren, analysierte das Team um Heneka die Daten einer Studienkohorte des ACE Alzheimer Center Barcelona mit mehr als 700 Erwachsenen und überwiegend milden kognitiven Beeinträchtigungen. Fazit: Die Ergebnisse aus der DELCODE-Studie wurden bestätigt.

„Entzündungsprozesse sind per se nicht schlecht, sondern vor allem zu Beginn eine normale, schützende Reaktion des Immunsystems auf bedrohliche Reize. Aber sie dürfen nicht zu lange andauern, dafür müssen sie reguliert werden“, so Heneka. Von den Proteinen der TAM-Familie sei bekannt, dass sie Immunreaktionen beeinflussen und die zelluläre Abfallbeseitigung fördern, erläutert er. „Diese Schutzfunktion zu unterstützen, wäre ein interessanter Ansatzpunkt für die Pharma-Forschung. Hier sehe ich Anwendungspotenzial für die von uns identifizierten Marker. Für die Früherkennung von Demenz im Rahmen der Routineversorgung ist die Messung dieser Marker zu aufwändig. Aber bei der Erprobung neuer Medikamente in klinischen Studien gibt es andere technische Möglichkeiten. Für solche Studien benötigt man Indikatoren, um bewerten zu können, ob Maßnahmen anschlagen und getestete Arzneimittel wirksam sind. Die TAM-Marker könnten dafür sehr nützlich sein.“

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Originalpublikation

Soluble TAM receptors sAXL and sTyro3 predict structural and functional protection in Alzheimer’s disease; Frederic Brosseron, Anne Maass, Luca Kleineidam et al.; Neuron (2022)
DOI: 10.1016/j.neuron.2021.12.016

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