Erstmals Ähnlichkeit zwischen Schizophrenie und Demenz entdeckt

© MPI für Psychiatrie
Neuroanatomische Muster der behaviouralen Variante der frontotemporalen Demenz und der Schizophrenie

Forscher verglichen erstmals Schizophrenie und frontotemporale Demenz, Erkrankungen, die beide in den frontalen und Schläfenlappen-Regionen des Gehirns verortet werden. Diese Idee geht auf Emil Kraepelin zurück, der 1899 den Begriff der „Dementia praecox“ prägte, um den fortschreitenden geistigen und emotionalen Verfall junger Patienten zu beschreiben. Schnell wurde sein Ansatz angezweifelt, da nur circa 25 Prozent der Betroffenen diese schlechte Verlaufsform zeigten. Doch jetzt fanden die Wissenschaftler mithilfe von Bildgebung und maschinellem Lernen bei diesem Teil der Erkrankten tatsächlich erste stichhaltige Hinweise für neuroanatomische Muster im Gehirn, die der Signatur von Patienten mit frontotemporaler Demenz ähneln. Kraepelin hatte in Teilen wohl doch Recht.

Quelle: Max-Planck-Institut für Psychiatrie

Veröffentlicht: 04.08.2022

Forscher verglichen erstmals Schizophrenie und frontotemporale Demenz, Erkrankungen, die beide in den frontalen und Schläfenlappen-Regionen des Gehirns verortet werden. Diese Idee geht auf Emil Kraepelin zurück, der 1899 den Begriff der „Dementia praecox“ prägte, um den fortschreitenden geistigen und emotionalen Verfall junger Patienten zu beschreiben. Schnell wurde sein Ansatz angezweifelt, da nur circa 25 Prozent der Betroffenen diese schlechte Verlaufsform zeigten. Doch jetzt fanden die Wissenschaftler mithilfe von Bildgebung und maschinellem Lernen bei diesem Teil der Erkrankten tatsächlich erste stichhaltige Hinweise für neuroanatomische Muster im Gehirn, die der Signatur von Patienten mit frontotemporaler Demenz ähneln. Kraepelin hatte in Teilen wohl doch Recht. 

Es ist selten, dass Wissenschaftler in der Grundlagenforschung auf über 120 Jahre alte, scheinbar widerlegte Erkenntnisse zurückgreifen. Im Falle von Nikolaos Koutsouleris und Matthias Schroeter, die beide Forscher und Ärzte sind, war dies sogar Antrieb. Es geht um Emil Kraepelin und seinen 1899 geprägten Begriff „Dementia praecox“. Das war seine Definition für junge Erwachsene, die sich immer stärker aus der Wirklichkeit zurückziehen und in einen irreversiblen, demenzähnlichen Zustand verfallen. Kraepelin erlebte noch die Widerlegung seiner Definition, schon Anfang des 20. Jahrhunderts ging man dazu über, den Begriff „Schizophrenie“ für diese Patienten zu gebrauchen, da die Erkrankung nicht bei allen Betroffenen einen derart schlechten Verlauf nimmt.

Kraepelin hatte die Idee einer frontotemporalen Erkrankung, er ging davon aus, dass der Grund für die zum Teil dramatischen Entwicklungen bzw. Rückschritte der Patienten in den frontalen und Schläfenlappen-Arealen des Gehirns sitzt. Dort wird die Persönlichkeit, das Sozialverhalten und die Empathie gesteuert. „Diese Idee ging aber verloren, da in den Gehirnen dieser Patienten keine pathologischen Anzeichen für neurodegenerative Prozesse wie bei der Alzheimer-Krankheit gefunden wurden“, sagt Koutsouleris, der an Kraepelins Wirkungsstätten, dem MPI und der LMU, tätig ist und fährt fort: „Seitdem ich Psychiater bin, wollte ich mich mit dieser Frage beschäftigen.“ 15 Jahre später hatte der Professor mit ausreichend großen Datensätzen, bildgebenden Verfahren und Algorithmen des maschinellen Lernens die Werkzeuge an der Hand, um möglicherweise Antworten zu finden. Mit Matthias Schroeter, der sich am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften mit neurodegenerativen Erkrankungen, speziell frontotemporalen Demenzen beschäftigt, hatte er den richtigen Partner gefunden.

Emotionen

Emotionen/-/emotions

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Empathie

Empathie/-/empathy

Der Begriff „Empathie“ geht auf das altgriechische Wort für „Leidenschaft“ zurück. Heute versteht man unter Empathie das Vermögen, sich in andere hineinzuversetzen und deren Gefühle, Gedanken und Handlungsweisen nachzuvollziehen. Die physiologische Basis dafür sehen viele Neurowissenschaftler in den Spiegelneuronen: Nervenzellen, die beim Beobachten einer Handlung ebenso aktiv sind wie bei deren Ausführung.

Neurodegeneration

Neurodegeneration/-/neurodegeneration

Sammelbegriff für Krankheiten, in deren Verlauf Nervenzellen sukzessive ihre Struktur oder Funktion verlieren, bis sie teilweise sogar daran zugrunde gehen. Vielfach sind falsch gefaltete Proteine der Auslöser – wie etwa bestimmte Formen der Eiweiße Beta-​Amyloid und Tau im Falle von Alzheimer. Bei anderen Krankheiten, beispielsweise bei Parkinson oder Chorea Huntington, werden Proteine innerhalb der Neurone nicht richtig abgebaut. In der Folge lagern sich dort toxische Aggregate ab, was zu den jeweiligen Krankheitserscheinungen führt. Während Chorea Huntington eindeutig genetisch bedingt ist, scheint es bei Parkinson und Alzheimer allenfalls bestimmte Ausprägungsformen von Genen zu geben, welche ihre Entstehung begünstigen. Keine dieser neurodegenerativen Erkrankungen kann bisher geheilt werden.

Morbus Alzheimer

Morbus Alzheimer, Alzheimer-Krankheit/Morbus Alzheimer/Alzheimer's desease

Bislang unheilbare Form der Demenz, erstmals beschrieben von dem deutschen Psychiater Alois Alzheimer 1906. Zu den Symptomen gehören anfangs eine milde Vergesslichkeit und Orientierungsstörungen. Später kommt es zum Beispiel zu Sprachveränderungen und Gedächtnisverlust. Die Ursache ist noch unklar, es kommt jedoch zu pathologischen Eiweißablagerungen sowohl zwischen als auch in den Zellen. Betroffen sind corticale Areale.

Neurodegeneration

Neurodegeneration/-/neurodegeneration

Sammelbegriff für Krankheiten, in deren Verlauf Nervenzellen sukzessive ihre Struktur oder Funktion verlieren, bis sie teilweise sogar daran zugrunde gehen. Vielfach sind falsch gefaltete Proteine der Auslöser – wie etwa bestimmte Formen der Eiweiße Beta-​Amyloid und Tau im Falle von Alzheimer. Bei anderen Krankheiten, beispielsweise bei Parkinson oder Chorea Huntington, werden Proteine innerhalb der Neurone nicht richtig abgebaut. In der Folge lagern sich dort toxische Aggregate ab, was zu den jeweiligen Krankheitserscheinungen führt. Während Chorea Huntington eindeutig genetisch bedingt ist, scheint es bei Parkinson und Alzheimer allenfalls bestimmte Ausprägungsformen von Genen zu geben, welche ihre Entstehung begünstigen. Keine dieser neurodegenerativen Erkrankungen kann bisher geheilt werden.

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Gemeinsamkeiten zwischen Schizophrenie und frontotemporaler Demenz?

Die frontotemporale Demenz (FTD), insbesondere die behaviourale Variante (bvFTD), ist im Anfangsstadium schwer zu erkennen, denn sie wird häufig mit einer Schizophrenie verwechselt. Damit liegen die Ähnlichkeiten auf der Hand: Bei Betroffenen beider Gruppen verändert sich die Persönlichkeit sowie Verhaltensweisen. Eine oft dramatische Entwicklung für Betroffene und Angehörige setzt ein. Da beide Erkrankungen in den frontalen, temporalen und Inselregionen des Gehirns verortet werden, lag es nahe, sie auch direkt zu vergleichen. „Sie scheinen auf einem ähnlichen Symptomspektrum zu liegen, daher wollten wir im Gehirn gemeinsame Signaturen oder Muster suchen“, beschreibt Koutsouleris seinen Plan.

Mit einem international aufgestellten Team trainierten Koutsouleris und Schroeter mithilfe künstlicher Intelligenz neuroanatomische Klassifikatoren beider Erkrankungen, die sie an Hirndaten verschiedener Kohorten anwenden konnten. Das Ergebnis, das kürzlich im renommierten Fachjournal JAMA Psychiatry veröffentlicht wurde: 41 Prozent der Schizophrenie-Patienten wurden vom bvFTD-Klassifikator als bvFTD-Patienten identifiziert. „Als wir das bei den schizophrenen Patienten gesehen haben, waren wir überrascht - ein Hinweis auf eine Ähnlichkeit der beiden Erkrankungen“, erinnern sich Koutsouleris und Schroeter.

Das Forschungsteam fand heraus, dass je höher der bvFTD-Score der Patienten war, der die Ähnlichkeit zwischen beiden Erkrankungen maß, desto wahrscheinlicher war ein „bvFTD-artiger“ Phänotyp und desto geringer die Verbesserung der Symptome im Laufe von zwei Jahren.

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Intelligenz

Intelligenz/-/intelligence

Sammelbegriff für die kognitive Leistungsfähigkeit des Menschen. Dem britischen Psychologen Charles Spearman zufolge sind kognitive Leistungen, die Menschen auf unterschiedlichen Gebieten erbringen, mit einem Generalfaktor (g-​Faktor) der Intelligenz korreliert. Demnach lasse sich die Intelligenz durch einen einzigen Wert ausdrücken. Hierzu hat u.a. der US-​Amerikaner Howard Gardner ein Gegenkonzept entwickelt, die „Theorie der multiplen Intelligenzen“. Dieser Theorie zufolge entfaltet sich die Intelligenz unabhängig voneinander auf folgenden acht Gebieten: sprachlich-​linguistisch, logisch-​mathematisch, musikalisch-​rhythmisch, bildlich-​räumlich, körperlich-​kinästhetisch, naturalistisch, intrapersonal und interpersonal.

Ein 23jähriger Patient erholt sich nicht

„Ich wollte einfach wissen, wieso sich der Zustand meines 23jährigen Patienten mit beginnenden Symptomen einer Schizophrenie wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen und kognitiven Defiziten auch nach zwei Jahren überhaupt nicht verbessert hatte, während ein anderer, dem es anfangs genauso schlecht ging, seine Ausbildung fortsetzte und eine Freundin gefunden hatte. Immer wieder sah ich diese jungen Menschen, bei denen keinerlei Fortschritt möglich war“, beschreibt Koutsouleris.

Als die Forschenden die Zusammenhänge auch bei Hochrisikopatienten wie dem 23jährigen überprüften, fanden sie auf neuroanatomischer Ebene bestätigt, was Kraepelin als Erster dezidiert beschrieben hatte: keinerlei Verbesserung des Zustandes einiger Patienten, ganz im Gegenteil. Ähnliche neuronale Strukturen waren betroffen, insbesondere das sogenannte „Default-Mode“-Netzwerk und das Salienznetzwerk des Gehirns, verantwortlich für Aufmerksamkeitssteuerung, Empathie und Sozialverhalten, zeigten Volumenabnahmen im Bereich der grauen Substanz, die die Nervenzellen beherbergt. Bei der bvFTD gehen bestimmte Neuronen (von Economo Neurone) unter, bei der Schizophrenie sind diese Nervenzellen auch verändert. Das spiegelte der neuroanatomische bvFTD-Score: nach einem Jahr hatte er sich bei diesen Schwerstbetroffenen verdoppelt. Als Vergleich hatten die Wissenschaftler zudem den Alzheimer-Score mit Hilfe eines spezifischen Klassifikators berechnet und fanden dort diese Effekte nicht. „Damit kann man das Konzept der Dementia praecox nicht mehr komplett wegwischen, wir liefern erste stichhaltige Hinweise, dass Kraepelin zumindest bei einem Teil der Patienten nicht falsch lag“, resümiert Schroeter.

Heute bzw. in naher Zukunft bedeutet das, dass Experten vorhersagen können, zu welcher Subgruppe Betroffene gehören. „Dann kann man frühzeitig eine intensive therapeutische Begleitung einleiten, um verbliebene Genesungspotentiale auszuschöpfen“, fordert Koutsouleris. Außerdem könnten neue personalisierte Therapien für diese Subgruppe entwickelt werden, die die Entwicklung und Vernetzung der betroffenen Neuronen mit anderen Teilen des Gehirns fördern und sie vor dem Untergang zu schützen.

Empathie

Empathie/-/empathy

Der Begriff „Empathie“ geht auf das altgriechische Wort für „Leidenschaft“ zurück. Heute versteht man unter Empathie das Vermögen, sich in andere hineinzuversetzen und deren Gefühle, Gedanken und Handlungsweisen nachzuvollziehen. Die physiologische Basis dafür sehen viele Neurowissenschaftler in den Spiegelneuronen: Nervenzellen, die beim Beobachten einer Handlung ebenso aktiv sind wie bei deren Ausführung.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Originalpublikation

Nikolaos Koutsouleris et al.; Exploring Links Between Psychosis and Frontotemporal Dementia Using Multimodal Machine Learning; JAMA Psychiatry; DOI https://dx.doi.org/10.1001/jamapsychiatry.2022.2075

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